von Pierre Lévy, Paris
Was ist er doch für ein Dummkopf, dieser Putin! Im März versucht er, und das auch noch, ohne es zu schaffen, auf britischem Boden einen ehemaligen russischen Spion vergiften zu lassen, der vor zehn Jahren Verrat begangen hatte. Und das, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, wie der Westen darauf reagieren würde - in diesem Fall mit der Ausweisung hunderter Diplomaten.
Nur wenige Wochen später schießt er sich wieder ins Knie, indem er seinen syrischen Verbündeten "sein eigenes Volk" in Ghuta vergasen lässt, zu einem Zeitpunkt, als die regimetreue Armee bereits 95 Prozent dieses von den "Rebellen" gehaltenen Gebietes zurückerobert hatte. Und wieder hat er nicht einen Moment daran gedacht, dass die gleichen führenden Kräfte - hier die amerikanischen, englischen und französischen - zu "Vergeltungsschlägen" in Form gezielter Bombardierungen syrischer Standorte ausholen könnten. Wenn man also der offiziellen These folgt, nach der die Verantwortung für den Angriff mit chemischen Waffen nur Damaskus und Moskau zugeschrieben werden kann, drängt sich eine Schlussfolgerung auf: Im Kreml muss wohl bornierte Unvorsichtigkeit herrschen.
Von Washington bis London und Paris wird ständig wiederholt, man habe die "Beweise" für die Schuld Baschar al-Assads. Eigentlich hatte man diese Beweise, wie im Fall Skripal, sogar schon, bevor eine Untersuchung vorgenommen werden konnte: Die Bomber haben noch am Tag vor der Ankunft der internationalen Inspekteure der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), eine der UNO verbundene Organisation, zugeschlagen... Beweise hat man bis heute nur in Form von Behauptungen der westlichen Geheimdienste – aber immerhin ist das eine Quelle, die, wie man ja weiß, über jeden Zweifel erhaben ist.
Souveränität der Nationen als Lippenbekenntnis
Aber selbst wenn sich, nur einmal theoretisch angenommen, tatsächlich herausgestellt hätte, dass die syrischen Machthaber verantwortlich wären, so könnte daraus niemand auch nur im Geringsten einen gerechtfertigten Anspruch ableiten, sich als Sheriff der Welt aufzuspielen, und sei es als selbst ausgerufene "internationale Gemeinschaft". Wenn die Souveränität eines Landes auf dem Spiel steht, darf der Zweck niemals die Mittel heiligen. An dieser Arroganz lässt sich messen, wie schwerwiegend die in der Nacht vom 13. April durchgeführte gemeinsame Operation ist.
Bei der Entscheidung, einzugreifen, kommen mehrere Faktoren zusammen, von innenpolitischen Herausforderungen bis hin zu den wohlverstandenen Interessen der Händler sehr teurer Raketen, die begeistert waren, ihre technischen Schmuckstücke einmal im wirklichen Einsatz testen zu können und sich damit zukünftige Aufträge zu sichern.
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Aber der wichtigste Faktor ist geopolitischer Natur. Emmanuel Macron hat im Rahmen seiner im Fernsehen übertragenen Intervention vom 15. April einen Zipfel des Schleiers gelüftet, als er sagte, dass den westlichen Partnern durch die Operation wieder Glaubwürdigkeit verschafft werden solle. Anders ausgedrückt, sie sollte die westlichen Partner auf politisch-diplomatischer Ebene wieder ins Spiel bringen. Denn es passt ihnen so gar nicht, von diesem derzeit ausgeschlossen zu sein. Sie mussten verärgert feststellen, dass jede Hoffnung, den syrischen Präsidenten zu Fall zu bringen, geschwunden ist, und dass das Bündnis Damaskus-Moskau-Teheran jetzt die Machtposition innehat, ein Bündnis, dem sich Ankara angeschlossen hat.
Abfuhr für Möchtegern-Napoleon Macron aus dem Weißen Haus
Der französische Präsident bestätigte darüber hinaus, dass es durch die Schläge gelungen sei, die Türkei und Russland voneinander zu trennen - was ihm prompt ein Dementi vonseiten der türkischen Diplomatie einbrachte, die daran erinnerte, dass zwischen Ankara und Moskau ein solides Einvernehmen herrsche. Emmanuel Macron musste noch einen weiteren Affront einstecken.
Er gab vor, Donald Trump davon überzeugt zu haben, dauerhaft in Syrien zu bleiben, doch die Sprecherin des US-amerikanischen Präsidenten antwortete darauf, dass das Weiße Haus seine Haltung nicht geändert habe: Das amerikanische Militär werde sich so bald wie möglich zurückziehen.
Als Kollateralschaden gab es vor allem ein Opfer: die Europäische Union. Denn sobald es in puncto Außenpolitik eine schwere Initiative zu ergreifen gilt, bereitet man sich spontan lediglich zwischen Nicht-EU-Macht Washington, Austrittskandidat London und Paris auf den Schlag vor - obwohl sich dessen Staatschef gern als Verkünder der europäischen Integration gibt. Erst eine Woche später haben die Minister der 28 Mitgliedsstaaten eine Mitteilung verfasst, in der sie, gewiss, den angeblichen Chemiewaffeneinsatz verurteilen, aber in weiterer Folge nur "Verständnis" für die militärische Operation ausdrückten - so groß sind mittlerweile die Differenzen in den Ansichten und Interessen.
Das aber ist eine Bestätigung dafür, dass ein "Europa der Verteidigung" politisch absurd und operativ untauglich ist. Endlich eine gute Nachricht.
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