Auch die Große Koalition in Berlin kann Macrons Europa-Vision keinen Schwung verleihen

Pierre Lévy

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erinnert mit seinen pathetischen Reden über ein Vereintes Europa immer mehr an den Motivationstrainer eines Strukturvertriebes. Die Kunden, nämlich die Wähler in den EU-Staaten, wollen das Produkt trotzdem nicht kaufen.

von Pierre Lévy

Champagner? Der Abschluss einer Regierungsvereinbarung zwischen CDU, CSU und SPD hat den französischen Präsidenten durchaus erfreut. Die Aussicht auf eine sich in Berlin abzeichnende Große Koalition entspricht der Lösung, die auch Emmanuel Macron bevorzugt, der sich die "Wiederbelebung Europas" auf die Fahnen geschrieben hat. Der Herr des Élysée-Palastes wird aber noch die Bestätigung durch die Mitglieder der SPD abwarten müssen.

Deutschlands Europagesinnung stößt an monetäre Grenzen

Selbst wenn diese Hürde überwunden ist, ist seiner Vision der Weg aber noch nicht geebnet. Auf Drängen des mittlerweile von der eigenen Partei aus dem Amt gemobbten Martin Schulz, eifriger Verfechter der Vereinigten Staaten von Europa, wurde zwar die EU symbolisch zum ersten Kapitel des Regierungsvertrags erhoben. Aber auch die hehre Lyrik vermag kaum den Mangel an konkreten Verpflichtungen im Sinne der Macronschen Ziele zu verdecken. Es ist zwar die Rede von einer Reform der Eurozone und zusätzlichen finanziellen Mitteln für gemeinschaftliche Investitionen, aber

dabei bleibt der Stabilitäts- und Wachstumspakt auch in Zukunft unser Kompass", heißt es im Text der Vereinbarung. Und weiter: "Das Prinzip der wechselseitigen Solidarität muss auch für den EU-Haushalt gelten."

Das "wechselseitig" erinnert daran, dass Deutschland noch immer gegen Finanztransfers unter den Mitgliedsstaaten ist. Kurz gesagt hat der zur Schau gestellte politische Valentinstag zwischen Paris und Berlin keine der Meinungsverschiedenheiten beseitigt.

Europaparlament gegen übergreifende Länderlisten

Und da ist ja nicht nur Deutschland. Der französische Staatschef hat kürzlich auch zwei Ohrfeigen vom Europaparlament einstecken müssen. Sein Projekt, einige Dutzend Europaabgeordnete über eine länderübergreifende Liste wählen zu lassen, wurde kurzerhand abgelehnt und alles weist darauf hin, dass der Europarat, der in dieser Sache die Entscheidungsgewalt hat, diese Ablehnung bestätigen wird.

Diese Innovation sollte - in Ermangelung eines Volkes - die Geburt einer "öffentlichen europäischen Meinung" symbolisieren, die den Befürwortern eines einheitlichen europäischen Bundesstaates am Herzen liegt. Die Europaparlamentarier hingegen wollen den Chef jener länderübergreifenden Partei, die bei den zukünftigen Europawahlen die meisten Stimmen erhält, als Präsidenten der nächsten Europäischen Kommission durchsetzen - ein Vorrecht, das Emmanuel Macron und einige von Seinesgleichen gern, wie in den Verträgen vorgesehen, wieder beim Rat sehen möchten.

Die "Werte" bleiben ein Ladenhüter

Diese kleinen Demütigungen, die dem Hausherrn des Elysée-Palastes zuteilwurden, erinnern daran, dass seine flammenden, in Athen und an der Sorbonne gehaltenen Reden, mit denen er ein supranationales Europa gründen wollte, in der Realität schneller als erwartet auf Widerspruch stoßen. All das ließ das pro-europäische Internet-Nachrichtenportal Euractiv zu der Feststellung gelangen:

Der Wind der Begeisterung, den der Sieg Emmanuel Macrons im letzten Juni wehen ließ, verschwindet.

So wird erneut die Vergeblichkeit der "narratives" der EU-Eiferer offenbar, die noch vor kurzem erzählt hatten, dass "Europa wieder da ist" - wie die leitende Redakteurin der französischen Tageszeitung Le Monde (01.02.18), noch ganz angetan von der freundlichen Stimmung in Davos. Dort, so schrieb Sylvie Kauffmann begeistert, waren die verantwortlichen europäischen Politiker

Überbringer einer positiven Botschaft: Europa ist wiederhergestellt, es hat ein Projekt, es hat Werte, und es öffnet sich der Welt." Und plötzlich ist "das Vertrauen in die Europäische Union in der öffentlichen Meinung aller Mitgliedsstaaten stärker geworden."

Europa-Skeptiker weiter im Aufwind

Das Problem ist nur, dass die wahlberechtigten Bürger sich nicht dazu herablassen, sich genau diesen angeblichen Ergebnissen von Meinungsumfragen anzupassen. So haben die tschechischen Wähler gerade dem bisherigen Präsidenten, dem (angeblichen) Antieuropäer Milos Zeman, ihre Billigung ausgesprochen. Ihre österreichischen Nachbarn haben der "populistischen" FPÖ im letzten Oktober ein solches Rekordergebnis verschafft, dass die Partei in der neuen Regierung Schlüsselposten besetzen konnte. Die deutschen Wähler hatten im September eine beeindruckende Anzahl an AfD-Abgeordneten in den Bundestag geschickt und dieser Gruppierung wahrscheinlich den Status der ersten Oppositionskraft verliehen.

Es wäre gewiss unvorsichtig, diesen drei zitierten Gewinnern zugute zu halten, dass sie aus der Europäischen Union austreten wollen. Aber ihre Wähler, deren Anzahl beständig zunimmt, vermochten sicherlich keine riesige Liebe zur EU offenbaren, als sie so abgestimmt hatten. Wohl ebenso wenig wie wahrscheinlich ihre italienischen (im März), ungarischen (im April) und auch schwedischen (im September) Pendants Brüssel befürworten werden.

Es könnte sein, dass der Champagner für Macron noch ein wenig kalt stehen muss.

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