von Pierre Lévy
Der wirtschaftliche Sturm ist bereits da. Die größte Welle des sozialen Tsunamis wird jedoch voraussichtlich erst im Herbst kommen. Im zweiten Quartal fiel das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Eurozone um mehr als 12 Prozent; in Frankreich, wo gleichzeitig 715.000 Arbeitsplätze vernichtet wurden, sogar um 13,8 Prozent.
Das Virus hat zugegebenermaßen einen Schneeballeffekt ausgelöst. Aber viele Unternehmen, vor allem die großen, haben nicht gezögert, sich auf diesen "Glücksfall" einzulassen, indem sie Umstrukturierungspläne herausholten, die sie schon vor der Epidemie in den Schubladen hatten.
Die großen französischen und europäischen Konzerne taten sich mit der Ankündigung massiver Stellenkürzungen hervor: Nokia, Airbus, Sanofi, auch Einzelhandelsgiganten wie Carrefour, Auchan usw. General Electric seinerseits hat die Kürzung von 750 Stellen in Frankreich angekündigt – ein Thema, das Emmanuel Macron gut kennt, da er damals, im Jahr 2014 als stellvertretender Generalsekretär des Präsidentenamtes im Élysée-Palast den Verkauf von Alstom Energie an den amerikanischen Riesen beaufsichtigte, der damals versprach, 1.000 Arbeitsplätze – zu schaffen!
Hinzu kommt, dass viele Bosse jetzt den Charme eines Systems ausnützen, das unter der Ägide des heutigen Staatschefs eingeführt wurde und das ihnen erlaubt, von ihren Angestellten unter Androhung der ansonsten "alternativlosen" Entlassung Opfer zu fordern: mehr arbeiten, und weniger verdienen.
Auf dem Rücken von COVID-19 lässt sich definitiv sehr viel austragen: Es ist aber nicht das Virus, sondern das Dogma des "ökologischen Übergangs", das die Abschaffung einiger Inlandsflugverbindungen rechtfertigt – eine staatliche Forderung, die gar nicht ohne Folgen für Flug-, Wartungs- und Bodenpersonal bleiben kann, ganz zu schweigen von den indirekten Beschäftigungen im Umfeld der Flughäfen. Gleiches gilt für die Automobilindustrie, die durch die Förderung von Elektroantrieben, die weit weniger Arbeitsaufwand und Arbeitsplätze erfordern als Verbrennungsmotoren, hart getroffen werden dürfte.
Ein weiterer Glücksfall: Die "Unterstützung für Unternehmen" macht ein Drittel der 100 Milliarden Dollar des – vom Premierminister mit großem Tamtam – angekündigten nationalen "Aufschwungplans" aus. Eine beschäftigungspolitische Sicherung als Gegenstück zu den fiskalischen Gaben gibt es jedoch nicht – da bleibt eine klaffende Lücke, was selbst unter Abgeordneten der Macron-Mehrheit für Aufruhr gesorgt hat.
Von den 100 Milliarden zur Finanzierung des Regierungsplans werden 40 Milliarden "von Europa" zur Verfügung gestellt, prahlte der Herr im Élysée. Dabei vergaß er zwei Details. Erstens wird dieser Geldsegen der EU von der Vorlage eines nationalen Plans abhängig gemacht, der den EU-europäischen Institutionen erst noch vorgelegt werden und bestimmte Prioritäten enthalten muss: ökologischer Übergang, digitale Wirtschaft – und Strukturreformen. Da sind sie wieder, die alten Bekannten! Für Frankreich ist die Rentenreform eine der klassischen "europäischen Empfehlungen"...
Vor allem aber werden die Zuschüsse und Darlehen in Höhe von 750 Milliarden Euro, die Brüssel den Mitgliedsstaaten gewährt, eine gemeinsame Schuld gegenüber den Finanzmärkten darstellen. Diese Schulden müssen vom Gemeinschaftshaushalt der Europäischen Union im Verhältnis zum BIP der Mitgliedsstaaten zurückgezahlt werden.
Italien, Spanien und vor allem die EU-Länder in Osteuropa werden zwar davon profitieren. Die "Nettozahler" aber werden am Ende viel mehr zurückzahlen, als sie erhalten: für Frankreich sind es 37 Milliarden, die es erhält... aber 80 Milliarden, die es wird zurückzahlen müssen. Worauf die Befürworter der Integration entgegnen, dass sicherlich noch neue Steuern in der EU gefunden werden, um die geliehenen Summen zu finanzieren. Bisher ist nur eine "Plastiksteuer" im Gespräch. Sie wird bestenfalls aber nur einen Bruchteil der oben genannten 750 Milliarden einbringen.
Für Emmanuel Macron und Brüssel bedeutet dies auch eine Möglichkeit, die "europäische Integration" voranzutreiben: Die Vergemeinschaftung einer für über dreißig Jahre aufgenommenen Schuld zeigt den Wunsch, wirklich zusammenzuleben, sagte zum Beispiel Louis Michel, der Präsident des Europäischen Rates, am Ende des EU-Gipfels, der am 21. Juli zu diesem Kompromiss geführt hat. Als ob die Aufnahme eines langfristigen Immobilienkredits wie zum Beispiel bei einem Ehepaar eine Garantie gegen die Risiken einer Scheidung wäre...
In Wirklichkeit enthält das im Juli erzwungene Abkommen den Keim für weitere Spaltungen, für wachsende gegenseitige Vorbehalte und sogar eine mögliche Explosion. Denn wenn die Niederländer, die Skandinavier und einige andere entdecken, dass sie noch mehr zahlen müssen, um die Länder des Südens zu "retten" – in Wirklichkeit den Binnenmarkt und die gemeinsame Währung zu retten – dann ist es nicht sicher, dass sie, die schon jetzt nicht sehr Euro-begeistert sind, vor Freude Luftsprünge machen werden.
Die Franzosen übrigens auch nicht.
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