von Leo Ensel
Vergangene Woche war auf Einladung des Deutsch-Russischen Forums eine prominente russische Politikerin in Berlin, die es verdient, in Deutschland oder besser: in Westeuropa bekannter zu werden. Veronika Kraschenninikowa, Mitglied des Obersten Rates von Russlands Regierungspartei „Einiges Russland“, gehört zu den wichtigen politischen Meinungsbildnern des Landes. Und die Sicht der einflussreichen Journalistin – derzeit auch Mitglied der Gesellschaftlichen Kammer der Russischen Föderation und stellvertretende Vorsitzende der Kommission für Öffentliche Diplomatie – auf die Außenpolitik ihres Landes widerspricht mit provokanten Thesen dem gängigen Bild in Europa und den USA, Russland beeinflusse medial und politisch den Westen.
Im Juli hatte Frau Kraschenninikowa in einem vielbeachteten Essay im angesehenen politischen Journal Expert russische Politiker unzweideutig vor einer Zusammenarbeit mit rechtspopulistischen Strömungen und ultrarechten Parteien in der Europäischen Union gewarnt. Letzten Donnerstag hielt sie in der Repräsentanz der Robert Bosch GmbH einen Vortrag zum Thema „Europa und die außenpolitischen Interessen Russlands – Eine russische Sicht“.
Westliche Isolierung und russische Unkenntnis
Als Hauptursache für die zeitweisen Kontakte russischer Politiker mit ultrarechten Parteien in der EU wie dem Front National, der Lega Nord, der Freiheitlichen Partei Österreichs und der AfD nannte Kraschenninikowa die Isolierung Russlands durch den Westen im Zuge der Ukrainekrise seit 2014 und die Unkenntnis russischer Journalisten und Politiker im Hinblick auf diese Gruppierungen. Infolge der westlichen Sanktionspolitik seien in das Vakuum der europäisch-russischen Beziehungen opportunistische Kräfte geströmt, die diese Situation für sich ausgenutzt hätten. Kraschenninikowa:
Andere kamen zu uns nicht! In Frankreich zum Beispiel gab es damals in Parteien und Medien eine Totalabsage, russische Themen zu kommentieren. Die Einzigen, die sich dort für uns interessierten, waren der Front National mit Marine le Pen! In Russland kannten diese Strömungen nur Experten. 95 Prozent der Russen kennen sie und ihre genauen Ziele immer noch nicht!
Das habe auch für eine Reihe junger russischer Journalisten gegolten, die, wie alle Journalisten, tägliches Futter bräuchten, ohne die Zeit für intensivere Hintergrundrecherchen zu haben. „Und diese rechten Politiker kamen mit Freude nach Russland, weil sie hier sofort die Anerkennung erhielten, die ihnen in ihren Heimatländern versagt blieb – und das gleich auf internationaler Ebene.“
Der Faschismus habe in den letzten Jahren sein Gesicht verändert. Da der nach wie vor vorhandene Antisemitismus aufgrund der strengen europäischen Gesetze nicht öffentlich deklariert werden könne, konzentriere sich die rassistische Ideologie nun auf andere Minderheiten wie Flüchtlinge, Migranten und Moslems oder Sinti und Roma. Das Wort „Populismus“ sei für solch ultrarechte Kräfte noch ein Kompliment! Kraschenninikowa sprach in diesem Zusammenhang von einer „Schwarzen Internationale“ und „kryptofaschistischen Netzwerken“.
Für einen polykonfessionellen Vielvölkerstaat wie Russland mit seinen 200 Nationen seien solche Kräfte in höchstem Maße gefährlich. Man wisse, wovon man spreche, schließlich habe man zwischen 1941 und 1945 einschlägige Erfahrungen mit dem Faschismus gemacht; obendrein habe der Nationalismus die Sowjetunion zerstört. Nationalistische und rassistische Strömungen würden daher in Russland nicht geduldet, Präsident Putin habe sich eindeutig gegen jegliche Ideologie des Hasses ausgesprochen. Aufgrund der westlichen Isolationspolitik seien in den letzten Jahren auch in Russland rechtsextreme Kräfte angewachsen. Die staatliche Administration habe sie genau im Blick. Veronika Kraschenninikowa:
Diese Kräfte sind für uns nicht akzeptabel! Natürlich gibt es auch bei uns Menschen, die Angst haben vor zu viel Neuem. Wir setzen da aber auf einen gemäßigten Konservativismus à la CDU/CSU.
Liebeswerben in Richtung zentristischer Kräfte
Frau Kraschenninikowas Vortrag geriet zeitweise fast schon zu einem Liebeswerben in Richtung der zentristischen Kräfte in der Europäischen Union. Nicht Russland oder Putin würden mit Ultrarechten zusammenarbeiten, sondern einzelne Personen. Russland sei nicht an einer Destabilisierung, sondern nach wie vor an einer starken EU interessiert. Ein „Europa der Nationen“ wie in der Zwischenkriegszeit oder ein Deutschland wie in den 1930er Jahren, würden für Russland nichts als unkalkulierbare Risiken darstellen.
Nutzen könnten solch reaktionäre Konzepte nur hochgefährlichen Leuten wie dem ehemaligen US-amerikanischen Präsidentenberater und Herausgeber des ultrarechten Portals Breitbart News, Stephen Bannon, der sich nach seiner erfolgreichen Manipulation der US-Präsidentschaftswahlen via Cambridge Analytica zugunsten Trumps nun daran mache, auch die Wahlen zum Europäischen Parlament zum Vorteil der zentrifugalen Kräfte zu beeinflussen. Die Europäische Union mit ihrem aufgeblähten Brüsseler Apparat benötige jedoch keinen Totalabriss, sondern tiefgreifende Systemreformen. Ihre Vision sei ein starkes souveränes Europa, wie es seinerzeit auch Charles de Gaulle vorgeschwebt habe.
Leidenschaftlich plädierte Frau Kraschenninikowa für einen Abbau der Spannungen in Europa und für ein Ende der Isolationspolitik Richtung Russland. Kraschenninikowa: „Es geht um unser gemeinsames europäisches Haus!“ Es sei absurd, die Sicherheit Europas gegen die Sicherheit Russlands auszuspielen. Eine Militarisierung des Baltikum beispielsweise nutze niemandem außer dem amerikanischen Militärkomplex. Erste Anzeichen einer Umorientierung in Europa glaube sie den jüngsten Äußerungen des französischen Präsidenten Macron zu entnehmen, der eine Erneuerung der Kollektiven Sicherheitsstruktur mit Russland ins Spiel gebracht habe. Ganz ähnlich habe sich Präsident Putin bereits vor zehn Jahren geäußert.
Die Beziehungen wieder aufnehmen und ausbauen
Die Politik der Isolierung Russlands bringe allen Beteiligten nur Schaden und treibe ihr Land immer weiter in Richtung China. Frau Kraschenninikowa:
Wir müssen die Beziehungen wieder aufnehmen und die Zusammenarbeit ausbauen! Und dabei müssen wir weitergehen und kommenden Krisen vorbeugen. Die Welt verändert sich rasant. Wir sollten eine konzeptuelle Strategie für Jahre im Voraus planen!
Es gebe ‚sanfte Transatlantiker‘, die diese Entwicklung stören wollten. Daran müsse man sie hindern. Veronika Kraschenninikowas abschließende versöhnliche Sentenz:
Wir haben schon schwerere Zeiten zusammen durchgestanden!
In der anschließenden Diskussionsrunde auf die Frage angesprochen, wie mehrheitsfähig denn ihre Position in Russland sei, versicherte Frau Kraschenninikowa: „Alle meine Parteikollegen sind einverstanden, wenn sie aufgeklärt sind. Es fehlt aber nach wie vor bei vielen russischen Politikern an konkretem Wissen!“ Zur Frage, ob die NATO-Länder die strategischen Interessen Russlands ernst nähmen, meinte sie, die NATO sei kein Verteidigungsbündnis und beim EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine sei explizit von einer „Konvergenz der Außen- und Verteidigungspolitik“ die Rede gewesen. Auch hier sprach Kraschenninikowa Klartext:
Wir haben die NATO-Erweiterung mit großen Kämpfen gestoppt. Wir hatten nur die Alternative zwischen sehr schlecht und schlecht! Und es kostet uns nach wie vor sehr große Mühen.
Was die Umsetzung von Minsk II angehe, so hänge nicht alles von Russland ab, da es auch noch den Akteur USA im Hintergrund gäbe. Es solle jetzt aber alles getan werden, was möglich sei, um die Spannungen zu reduzieren. Sie sei nach wie vor optimistisch:
Unser konstruktiver Wille wird siegen!
Dass bei dieser beachtenswerten Veranstaltung des Deutsch-Russischen Forums fast alle Mainstreammedien mit Abwesenheit glänzten – von Politikern der gesellschaftlichen Mitte ganz zu schweigen –, versteht sich angesichts der brisanten, liebgewordene Feindbilder erschütternden Thesen Kraschenninikowas von selbst. Umso mehr ist ihnen eine weite Verbreitung sowohl in Russland als auch in Westeuropa zu wünschen.
Nicht zuletzt auf dem Hintergrund der jüngsten Verlautbarungen aus den USA.
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