von Karin Leukefeld
Bei einem Vortrag über Syrien berichtete ich einmal über die Arbeit der Versöhnungskomitees. Von Anfang an hatte die syrische Gesellschaft in eigener Initiative versucht, die Gewalteskalation im Land zu stoppen. Viele Persönlichkeiten, die sich für die Versöhnung zwischen Armee und bewaffneten Gruppen in Syrien eingesetzt hatten, bezahlten ihr Engagement mit dem Leben. Andere übernahmen die Arbeit der Getöteten. Es entstand ein Ministerium für die nationale Versöhnung und 2015 griff Russland die Initiative auf und unterstützte die Suche nach Frieden und Versöhnung mit einem "Russischen Zentrum für die Versöhnung der verfeindeten Seiten in Syrien" - mit großem Erfolg.
Während ich bei der besagten Veranstaltung Beispiele der Versöhnungsarbeit in Syrien erläuterte, sprang ein Zuhörer auf und rief laut in den Saal: "Sie lügen! Sie haben sich das ausgedacht! Ich habe noch nie irgendwo in den Medien darüber gehört!"
Tatsächlich ist über die Versöhnungsarbeit in Syrien in deutschen Mainstreammedien kaum berichtet worden. Auch Angriffe der so genannten Rebellen auf die zivile Infrastruktur wie die Strom- und Wasserversorgung wurden kaum erwähnt. Es gab keine Schlagzeilen darüber, dass 2014/15 die "moderaten Rebellen" im Osten von Aleppo die Wasserversorgung Dutzende Male stoppten.
Und als die Fijeh-Quelle bei Damaskus kurz vor Weihnachten 2016 von bewaffneten Gruppen besetzt wurde, um die syrische Regierung dazu zu erpressen, sich den Forderungen der Kampfgruppen in den östlichen Vororten von Damaskus (Ghuta) zu fügen, schoben deutsche Medien mindestens indirekt die Schuld dafür dem "Assad-Regime" zu. Wollte man alles auflisten, was in den vergangenen sieben Jahren über den Krieg in Syrien nicht oder einseitig dargestellt wurde, wäre die Liste lang.
Nicht überprüft, trotzdem gesendet
Die Darstellung des Geschehens in Syrien ist ausgewählt und geprägt von wiederholten, kampagnenartigen Medienhypes. Bestimmte Meldungen werden aufgebauscht und übertrieben und selbst wenn ein Nachrichtensprecher sagt, dass man das Gemeldete "nicht unabhängig überprüfen" könne, wird es trotzdem gemeldet. Die Öffentlichkeit wird beeinflusst, Stimmung wird geschürt, auf diese Weise will man Strafmaßnahmen gegen Syrien, von der politischen Isolation über Sanktionen bis hin zu militärischen Angriffen vorbereiten.
In Zeiten des Internets und so genannter Sozialer Medien geschieht das innerhalb kürzester Zeit und je öfter diese "Hypes" sich wiederholen, desto mehr setzen sie sich in den Köpfen der Öffentlichkeit fest. Kinder sind ein häufiges Opfer solcher Medienhypes. Man denkt, man sieht ihr Leid – das im Krieg zweifelsohne geschieht –, tatsächlich aber werden sie benutzt. Ein Feindbild soll gefestigt, die Akteure des Syrienkrieges in "Gut" und "Böse" aufgeteilt werden. Jeder erinnert sich an die kleine Bana Alabed aus Aleppo, die sich die Herzen der "freien Welt" ertwitterte.
Dass die Tweets von ihrer Mutter verfasst worden war, um Stimmung gegen die syrische Regierung und Russland zu erzeugen, wurde später zwar bekannt, aber kaum berichtet. Fotos des kleinen Omran aus Aleppo, den "Weißhelme" in einem Rettungswagen fotografierten, gingen um die Welt. Opfer eines Luftangriffs des "syrischen Regimes und Russlands", berichteten die Medien. Erst später wurde bekannt, dass der kleine Junge ohne Wissen und Genehmigung seiner Eltern in den Krankenwagen gesetzt und fotografiert worden war.
Propagandistischer Kinderkreuzzug
Die Medien sind geschult darin, Tatsachen und wichtige Zusammenhänge auszulassen, um eine Nachricht möglichst griffig und skandalisierend zu verbreiten. Was bleibt, ist das Bild leidender, angsterfüllter, verlassener Kinder in einem Krieg, für den das "Assad-Regime" und dessen Unterstützer verantwortlich sind. Das Bild des Jungen Raslan, dem vor laufender Kamera die Kehle von angeblich "moderaten Rebellen" durchgeschnitten wurde, war in deutschen Leitmedien nicht zu finden.
Auch Politiker bedienen sich einer ausgewählten Darstellung von Syrien und beeinflussen damit die Sichtweise auf das Land. Bundeskanzlerin Angela Merkel telefonierte vor wenigen Tagen (2. Februar 2018) mit US-Präsident Donald Trump. Beide stimmten darin überein, dass "das syrische Regime und dessen russische und iranische Verbündete zu einer umgehenden und vollständigen Umsetzung der Resolution 2401 (2018) des UN-Sicherheitsrates aufgerufen" seien, teilte Regierungssprecher Seibert in einer Presseerklärung mit.
Die Resolution fordert alle militärischen Akteure in Syrien zu einer 30-tägigen Waffenruhe auf. Doch Merkel und Trump konzentrierten sich lediglich auf zwei von Dutzenden Akteure im Syrienkrieg, auf Russland und auf das "Assad-Regime". Russland müsse "seine Beteiligung an der Bombardierung Ost-Ghutas" beenden und das "Assad-Regime zu einem Stopp der Offensivoperationen gegen zivile Gebiete" bewegen. Das "syrische Regime" müsse "zur Rechenschaft gezogen werden", so die Regierungsmitteilung. Das gelte "sowohl für den Einsatz von Chemiewaffen durch das Assad-Regime als auch für dessen Angriffe gegen Zivilisten und die Blockade humanitärer Unterstützung."
Die Meldung, dass der französische Präsident Emmanuel Macron Syrien mit Luftangriffen droht, sollte dort Giftgas eingesetzt werden, findet weite Verbreitung. Dass sowohl Macron als auch US-Verteidigungsminister James Mattis eingeräumt haben, dass Beweise für einen Giftgaseinsatz der syrischen Regierungstruppen nicht vorliegen, wird kaum gemeldet. In der deutschen Öffentlichkeit ist die Meinung, dass das "Assad-Regime" Giftgas einsetzt, weit verbreitet, obwohl zwischen 2013 und 2016 sämtliche Chemiewaffenbestände Syriens unter internationaler Kontrolle abtransportiert und vernichtet worden war.
Umsturz statt Reform
Anstatt auf diese sehr positive Tatsache zu verweisen, wiederholen Medien unbestätigte Gerüchte von "moderaten Rebellen", die seit 2011 ein Eingreifen der NATO, ein militärisches Eingreifen "wie in Libyen"(2011) fordern. Auch oppositionelle Gruppen aus Syrien stellen den Konflikt einseitig dar und erhalten viel Raum in hiesigen Medien. Vertreter der "Nationalen Koalition der oppositionellen und revolutionären Kräfte in Syrien" haben seit 2011 "Waffen, Waffen, Waffen" für die Opposition in deutschen Medien gefordert. Andere Oppositionelle, die für einen Dialog mit der syrischen Regierung eintreten, finden kein Gehör.
Seit Beginn der türkischen Offensive auf die nordwestsyrische Region um die Kleinstadt Afrin (Provinz Aleppo) schaffen es auch die syrischen Kurden in die Schlagzeilen. Eine Demonstration "Frieden für Afrin" Anfang März in Berlin brachte nach kurdischen Angaben 20.000 Menschen auf die Straßen, darunter auch Vertreter von Gewerkschaften, der Friedensbewegung und Parteien. So richtig die Kritik an dem Krieg der Türkei gegen die Kurden (nicht nur) im Norden Syriens ist, so einseitig bleibt sie. Krieg wird nicht nur gegen die Kurden in Afrin, sondern seit sieben Jahren in und gegen ganz Syrien geführt.
Die Darstellung der Lage in Syrien ist von Interessen geprägt. Das verhindert Aufklärung und vermittelt in der Öffentlichkeit lediglich Teileinsichten in den komplexen Syrien-Krieg, in den innersyrische, regionale und internationale Akteure verwickelt sind. Die Bundesregierung prangert Russland, Iran und die syrische Regierung an, weil Deutschland im Bündnis mit den USA, Großbritannien, Frankreich, Jordanien, Saudi-Arabien und Israel Wege zu einer möglichen Aufteilung Syriens erörtert.
Die in Deutschland unterstützte syrische Opposition verbreitet Meldungen, die ihr Anliegen - den Sturz der syrischen Regierung - fördern. Die kurdischen Verbände und Organisationen um die syrische Partei der demokratischen Union (PYD) prangern die Türkei und ihre Verbündeten an und stellen ihr Projekt einer nordsyrischen Föderation unter Selbstverwaltung als einzige Alternative dar. Dass in ihrem Einflussgebiet im Nordosten Syriens mittlerweile 20 US-amerikanische Militärbasen und Flughäfen gebaut wurden, kommt in ihrer Darstellung nicht vor.
Schwarz-Weiß-Bild wird komplexer Realität nicht gerecht
Aufgabe der Medien wäre es, alle Seiten zu Wort kommen lassen, damit die Öffentlichkeit ein möglichst reales Bild der Lage in Syrien erhält. Ansätze für Versöhnung, für Frieden, Waffenstillstände, staatliche Amnestie, Vorschläge für politische Veränderungen kommen aber in den großen Medien kaum vor. Und wenn darüber berichtet wird, wie über die "Konferenz für den nationalen Dialog" in Sotschi oder die Genfer Syriengespräche, geschieht es mit Häme, Zweifel, Skepsis. Jeder Dialog- und Verständigungsversuch in Syrien wurde niedergeschrieben oder –berichtet, noch bevor die Gesprächspartner überhaupt eingetroffen waren.
Für mögliches oder tatsächliches Scheitern werden Russland, Türkei und Iran verantwortlich gemacht, die Garantiemächte für Deeskalationsgebiete und Waffenstillstände in Syrien. Deren Politik wird nicht in ihren konfliktlösenden Ansätzen und Initiativen dargestellt, sondern als kriegstreibend. Russland, das das "Assad-Regime" bei den "Massakern an der eigenen Bevölkerung" unterstützt. Der Iran, der Israel bedroht und die Türkei, die deutsche Journalisten inhaftiert.
Die interessensgeleitete Darstellung des Krieges in Syrien in deutschen Medien und in der Politik teilt ein in "Gut" und "Böse", in "Freund" und "Feind". Das fördert Feindbilder und entspricht einem Weltbild nach dem Motto: Entweder Ihr seid für uns oder Ihr seid gegen uns. Die Welt so zu polarisieren – ob medial, politisch oder militärisch – entspricht nicht der Realität. Nicht in Syrien und auch nicht anderswo.
RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.