Wechsel im Weißen Haus: Aus dem Westen nichts Neues für Nahost

Karin Leukefeld

Joe Biden hat das Rennen um die US-Präsidentschaft wohl für sich entschieden. Donald Trump will das Ergebnis aber noch juristisch anfechten. Welche Auswirkungen hätte es auf die US-Außenpolitik, insbesondere im Nahen Osten, wenn Biden im Januar als 46. US-Präsident vereidigt wird?

von Karin Leukefeld

Joe Biden nimmt als zukünftiger Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika bereits Glückwünsche entgegen, doch juristische Auseinandersetzungen und mögliche innere Unruhen in den USA könnten die Bildung einer neuen Administration hinauszögern. Das betrifft auch die zukünftige Außenpolitik des Landes, die wesentlich auch davon abhängen wird, wer den Posten des obersten US-Diplomaten übernehmen wird.

Das internationale Magazin Politico hat eine Liste möglicher Kandidatinnen und Kandidaten vorgelegt, die hinter den Kulissen seit Monaten untereinander um die Führung in "Foggy Bottom" – wie der Sitz des US-Außenministeriums in Washington auch genannt wird – konkurrieren.

Neben den demokratischen Senatoren Chris Coons (Delaware) und Chris Murphy (Connecticut) sowie Susan Rice, die unter den demokratischen Präsidenten Clinton und Obama verschiedene Posten innehatte, nennt das Magazin zahlreiche weitere potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten.

Susan Rice könnte als erfahrene Politikerin ganz oben auf der Liste stehen, so eine Vermutung. Ursprünglich war sie als Vizepräsidentin für Biden gehandelt worden – ein Posten, den nun Kamala Harris einnehmen soll. Da Biden sich zunächst nicht auf die Außenpolitik, sondern auf die Eindämmung der COVID-19-Pandemie konzentrieren will, könnte Rice als außenpolitisch erfahrene "vertraute Hand" das Rennen machen. Schwierigkeiten könnten ihr allerdings ihre Rolle beim Angriff auf das US-Konsulat in Bengasi bereiten, bei dem der damalige US-Botschafter Christopher Stevens und drei Sicherheitsbeamte getötet wurden. Man wirft ihr vor, die Öffentlichkeit über das dortige Geschehen falsch informiert zu haben.

Bis eine neue US-Regierung unter Joe Biden Ende Januar 2021 vereidigt werden wird, dauert es noch. Diese Zeit will der noch amtierende Außenminister Mike Pompeo offenbar nutzen, um im Mittleren Osten und der Golfregion Tatsachen zu schaffen, die von einer Nachfolgeregierung im Weißen Haus nicht ignoriert werden können.

Während sich die Medien in aller Welt auf die Frage konzentrierten, ob Trump oder Biden bei der Stimmenauszählung vorn lagen, schickte Pompeo am vergangenen Samstag einen Scharfmacher gegen Iran in die Region. Der Sonderbeauftragte für Iran (und Venezuela), Elliott Abrams, werde vom 7. bis zum 12. November "zu Beratungen über Iran" nach Israel, Saudi-Arabien und in die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) reisen, teilte das State Department mit. Noch am selben Tag traf Abrams bereits zu ersten Gesprächen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und dem Nationalen Sicherheitsberater Meir Ben-Shabbat in Tel Aviv zusammen.

Das Internetportal Axios berichtet, Abrams solle Israel, Saudi-Arabien und die VAE darüber unterrichten, dass die Trump-Administration bis zum 20. Januar 2021 – dem Tag, an dem der 46. US-Präsident Joe Biden vereidigt werden soll – "eine Flut von Sanktionen" gegen Iran verhängen werde. Das solle den Druck auf Iran erhöhen und es einer zukünftigen Biden-Administration schwer machen, das Nuklearabkommen mit Iran wiederzubeleben, aus dem US-Präsident Donald Trump einseitig ausgestiegen war. Axios-Reporter Barak Ravid nennt für diese Angaben "israelische Quellen". Die Pompeo-Strategie des "maximalen Drucks gegen Iran" ist ganz in Israels Interesse.

Der Emissär aus Washington ist Experte in Sachen "Anti-Terror-Krieg", eine Kategorie, in die Pompeo und Israel die Bekämpfung Irans und seiner Verbündeten einordnet. Als außenpolitischer Sonderberater hat der Rechtsanwalt Elliott Abrams schon für die republikanischen Präsidenten Ronald Reagan, George H. W. Bush, George W. Bush und Donald Trump gearbeitet. Unter Reagan und Bush Senior war Abrams unter anderem als Staatssekretär für interamerikanische Angelegenheiten in Mittelamerika mit dem "Kampf gegen Kommunisten" und der dafür entwickelten "Aufstandsbekämpfung" betraut. In diese Zeit fielen unter anderem Einsätze von Todesschwadronen in Guatemala und El Salvador, wo 1982 in El Mozote "vorsätzlich und systematisch" – so eine Untersuchung der salvadorianischen Wahrheitskommission später – 5.000 Zivilisten ermordet wurden. Die Todesschwadronen waren in den USA ausgebildet und von den USA unterstützt worden. Seine Verwicklung in damit zusammenhängende Waffenlieferungen im Rahmen der Iran-Contra-Affäre brachte Abrams zwei Jahre Haft und den Entzug seiner Anwaltszulassung ein. Bush Senior begnadigte ihn. Politisch ist Abrams den Neokonservativen zuzurechnen.

Die Front gegen Iran

Abrams Auftrag könnte also durchaus über das, was das Portal Axios unter Verweis auf israelische Quellen berichtet, hinausgehen. Pompeo hat wiederholt die "geheimdienstliche Kooperation zwischen den USA und Israel" gelobt und entsprechende Aktionen, verdeckte Angriffe inklusive, nicht ausgeschlossen.

Möglicherweise soll Abrams auch Druck auf Saudi-Arabien ausüben, damit das Königreich – wie bereits die VAE und Bahrain – einem "Normalisierungsabkommen" mit Israel zustimmt. Damit wäre quer durch den Mittleren Osten – vom Persischen Golf bis zum östlichen Mittelmeer – die Frontlinie gegen Iran geschaffen, an der Mike Pompeo im Laufe seiner politischen Karriere unermüdlich gearbeitet hat. Offenen und verdeckten Krieg gegen Iran verfolgte er als CIA-Direktor (2017/18) ebenso wie als Abgeordneter im Repräsentantenhaus (2011 bis 2016), wo er Widerstand gegen den "Joint Comprehensive Plan of Action" (JCPOA) organisierte. In einem Pressegespräch Ende 2014 sprach sich Pompeo für Angriffe auf die Atomanlagen Irans aus. Man brauche "weniger als 2.000 Luftangriffe, um die iranischen nuklearen Kapazitäten zu zerstören. Das ist für die Koalitionsstreitkräfte keine unüberwindbare Aufgabe", sagte er laut ABC News. Mit "Koalitionsstreitkräften" meinte Pompeo die im September 2014 gegründete US-geführte Allianz gegen den Islamischen Staat in Irak und in der Levante, der auch Deutschland angehört.

Das JCPOA-Abkommen, mit dem die USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich und Deutschland unter Vermittlung der EU ein Atomabkommen mit Iran verhandelten, trat in zwei Schritten 2015 und 2016 in Kraft, kurz bevor Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen Ende 2016 siegte. Kurz nachdem Mike Pompeo im April 2018 US-Außenminister wurde, erklärte Trump Anfang Mai 2018 den Austritt aus dem Abkommen.

Mit "einer Flut von neuen Sanktionen" gegen Iran will die ausgehende Trump-Administration Tatsachen schaffen, die von einer zukünftigen Biden-Regierung nicht ignoriert werden können. Sollte Saudi-Arabien auch noch einem "Normalisierungsabkommen" mit Israel zustimmen, hinterließen US-Außenminister Pompeo und die Trump-Administration Sprengfallen, die Frieden in der Region verhindern. Dabei geht es nicht nur um bilaterale Wirtschaftsabkommen, sondern auch um den Aufbau einer "arabischen NATO", wie sie seit Jahren im Gespräch ist und mit der anhaltenden Aufrüstung der Region auch von den USA und europäischen NATO-Mitgliedern vorangetrieben wird. Eine führende Rolle dabei wäre – neben Israel – Saudi-Arabien gewiss.

Tatsachen schaffen, die Frieden verhindern

Joe Biden hatte während seines Wahlkampfes kein Hehl daraus gemacht, die besondere Partnerschaft der USA mit Saudi-Arabien zumindest auf den Prüfstand zu stellen und beispielsweise die US-Unterstützung Saudi-Arabiens im Krieg in Jemen einzustellen. Gegenüber Iran sei ein Wiedereintritt in ein neu verhandeltes JCPOA möglich, heißt es. Der ebenfalls als Außenminister gehandelte Chris Murphy, eher dem linken Lager der Demokraten zuzurechnen, hatte sich im Februar 2020 mit dem iranischen Außenminister Mohammed Dschawad Sarif getroffen, weil es "gefährlich" sei, "nicht mit seinen Gegnern zu sprechen".

Eine Biden-Administration wird – nicht zuletzt, um Israel nicht zu verstimmen – den Druck gegen Iran aufrechterhalten. Einer Neuverhandlung des JCPOA-Abkommens könnte Biden dennoch zustimmen, um Zeit zu gewinnen. Der deutsche Außenminister Heiko Maas erklärte bereits in einem Interview mit dem Deutschlandfunk (9.11.2020) die Bereitschaft zu Neuverhandlungen. Dabei müsse es nicht nur um das Atomprogramm Irans, sondern auch um dessen ballistisches Raketenprogramm gehen.

Iran wird dem nicht zustimmen. Nach dem vorläufigen Wahlsieg Joe Bidens hatte der iranische Präsident Hassan Rohani erklärt, er hoffe auf eine konstruktive Zusammenarbeit. Die zukünftige US-Regierung habe "eine Chance, die Fehler der Vergangenheit wieder gutzumachen und die internationalen Vorschriften und Verpflichtungen einzuhalten", erklärte das iranische Präsidialamt. Teheran halte sich an Verpflichtungen, die es eingegangen habe, solange diese auch von anderen Parteien eingehalten würden.

Sanktionen als Mittel westlicher Außenpolitik

Die Politik des "maximalen Drucks" gegen Iran wird im Mittleren Osten flankiert von einseitigen wirtschaftlichen Straf- oder Beugemaßnahmen (Sanktionen) der Europäischen Union und der USA. Sie werden von reichen, westlichen Industrienationen zumeist gegen sich entwickelnde oder arme Staaten eingesetzt, um diese politisch zu unterwerfen und zu enteignen, deren Regierungen zu isolieren und durch wirtschaftliche Zerstörung zur Gefolgschaft zu zwingen. Diese neuen Mittel westlicher Außenpolitik verletzten das Völkerrecht, weil sie nicht vom höchsten internationalen Ordnungsgremium, dem UN-Sicherheitsrat, bewilligt sind.

Auch eine Biden-Administration wird an der Sanktionspolitik nicht nur gegen Iran festhalten. Das im Juni 2020 in Kraft getretene US-amerikanische "Caesar-Gesetz" richtet sich zwar offiziell gegen Syrien, ist aber de facto Teil der US-Politik des "massiven Drucks gegen Iran" und richtet sich auch gegen Russland und China. Beide Staaten kooperieren militärisch, politisch und wirtschaftlich mit Iran – und beide Staaten haben Syrien Unterstützung beim wirtschaftlichen Wiederaufbau zugesagt.

Mit dem "Caesar-Gesetz" wird jedes Land der Region und weltweit jedes Unternehmen, jede Bank, jede Einzelperson mit wirtschaftlichen und finanziellen Sanktionen bedroht, sollten sie Geschäfte mit Syrien oder Iran machen wollen. Die ersten (bekannten) Diskussionen über dieses Gesetz gehen zurück auf das Jahr 2014. Damals war der Demokrat Barack Obama US-Präsident und Joe Biden sein Vize. Insofern haben die Staaten der Region auch von einer US-Administration unter Joe Biden nicht viel zu erwarten – aus dem Westen nichts Neues.

Die EU verspielt ihre Chancen in der Region

So schwierig die letzten Jahre seit der Irak-Invasion der USA (2003) auch waren, die Kriege in Libyen, Syrien und Jemen, die einseitige Parteinahme des Westens für Israel und gegen die Rechte der Palästinenser – so sehr war diese Zeit zwischen dem östlichen Mittelmeer und der Golfregion auch von politischen Veränderungen geprägt.

Die Abwesenheit der USA als Vermittler und der Streit innerhalb der Trump-Administration über die Frage, ob die US-Truppen aus Irak, aus Syrien oder auch aus Afghanistan abgezogen werden oder bleiben sollen, haben dazu geführt, dass die miteinander konkurrierenden Regionalmächte – Türkei, Iran, Israel, Saudi-Arabien, Ägypten – mehr ihren eigenen nationalen Interessen folgen, als auf ein Machtwort aus Washington zu warten. Sie tragen ihre Interessen offen und verdeckt militärisch gegeneinander aus, suchen aber gleichzeitig nach starken Bündnispartnern jenseits der USA und europäischer Staaten.

Die Europäische Union hat ihre Chance auf eine neue Politik in der Region verspielt. Ihre enge Anknüpfung an die Politik der US-Administration, die militärische Abhängigkeit von den USA innerhalb der NATO, die Verknüpfung von NATO und EU zu einem zivil-militärischen Projekt findet im Mittleren Osten wenig Vertrauen.

Mit einer US-Administration unter Joe Biden versprechen sich EU und Deutschland mehr Spielraum für eigene Weltmachtpläne, die im Kern nicht von den USA und der NATO abweichen. Sie sollen in der "europäischen Nachbarschaft", dem Nahen und Mittleren Osten sowie Afrika Gestalt annehmen. Mehr europäische und NATO-Truppen sollen stationiert werden, um den Zugriff zu Rohstoffen und die Kontrolle der strategisch wichtigen Meerengen (Straße von Hormus, Bab al-Mandab und Suezkanal) zu sichern. Die Kooperation und der Schutz Israels stehen an erster Stelle. Die Palästinenser und die arabischen und islamischen Staaten, die nach wie vor auf ihren Rechten und einer souveränen, selbstbestimmten nationalen Entwicklung beharren, sollen langfristig gebrochen werden.

Diese "EU-Nachbarschaftspolitik" ist im Sinne der US-Demokraten, weil sie sich letztlich auch gegen Russland und China richtet, die aus der Region verdrängt oder mit ihren Bündnispartnern zumindest "eingehegt" werden sollen. Mehr EU-Engagement im Mittleren Osten verschafft dem US-Militär auch unter einem demokratischen US-Präsidenten mehr Spielraum im Südchinesischen Meer und der wirtschaftlichen Destabilisierung der beiden großen Widersacher.

Der Blick nach Osten

China und Russland stehen im Mittleren Osten als neue Partner hoch im Kurs. Anders als die USA und die Europäische Union und der von ihnen verfolgte "Krieg gegen den Terror" vertreten beide Staaten das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Nationen.

China verfügt über Geld, um bilaterale Entwicklungs- und Handelsbeziehungen auf- und auszubauen. Das seeseitige Projekt der "Neuen Seidenstraße" verbindet die Häfen Chinas und Asiens mit der Golfregion und Europa. China importiert zudem Öl und Gas aus der Region, sowohl aus den arabischen Golfstaaten als auch aus Iran. Die Islamische Republik ist für China ein wichtiger Handelspartner, was mit einem auf 25 Jahre angelegten Abkommen unterstrichen wird.

Russland weist sich vor allem durch eine aktive, friedensstiftende Regionalpolitik aus, wie sie in dem Konzept einer "Organisation für Frieden und Zusammenarbeit in der Golfregion" deutlich wird.

Moskau kooperiert dabei eng mit Iran, der seit der (völkerrechtswidrigen) Irak-Invasion der USA 2003 seinen Einfluss in der Region ausbauen konnte. Mit dem Astana-Abkommen (2017) hat Russland die unterschiedlichen Interessen der Türkei und Irans im Syrien-Krieg verbunden, um Kämpfe zu reduzieren und die konkurrierenden Ansprüche an den Verhandlungstisch zu bringen.

Dazu war in den vergangenen 30 Jahren weder eine republikanische noch eine demokratische US-Administration willens und in der Lage.

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