von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam
Die Berichterstattung war bloß quantitativ beeindruckend. Sogar eine Sondersendung der Tagesthemen war drin. Die wichtigsten Konferenzteilnehmer wurden im Filmchen gezeigt: UN-Generalsekretär Guterres, die beiden Staatspräsidenten Putin und Erdoğan, US-Außenminister Pompeo, Bundeskanzlerin Merkel ... Dass sich die Teilnehmer zuvor zu Einzelgesprächen getroffen hatten, wurde ebenfalls brav gemeldet. Mit grafisch illustrierter Beschreibung ihrer politischen Lager fanden auch Libyens Präsident al-Sarraj und sein Gegner, General Haftar, Erwähnung. Die Redaktion ARD-aktuell hatte verinnerlicht, was Adabei Heiko Maas den Mainstreammedien vorgesagt hatte:
Die teilnehmenden Staaten müssen beweisen, wie ernst sie es mit ihrer Unterstützung des Berliner Prozesses meinen.
Eine zündende Idee, womit er die Teilnehmer dazu bewegen könnte, war unserem Minister für Selbstinszenierung und Dicketun nicht anzumerken. Für Leute wie ihn schrieb Bertolt Brecht im "Lied von der Unzulänglichkeit" speziell diesen Vers:
Ja, mach nur einen Plan / sei nur ein großes Licht / und mach noch einen zweiten Plan / geh'n tun sie beide nicht.
Kaum war die Konferenz beendet, herrschte über Libyen schon wieder weitgehend Schweigen im Medienwalde. Auch die Tagesschau fand tagelang nichts Berichtenswertes mehr. Dabei hatte sie in einer Filmreportage schon am Konferenztag vorahnen lassen, dass der "Berliner Prozess" sich bloß als peinliche Blähung erweisen werde: "Zum gemeinsamen Treffen der beiden Libyer (gemeint Premier al-Sarraj und General Haftar) kommt es allerdings nicht." Die beiden libyschen Streithähne mochten nicht einmal miteinander reden. Das Drumherum um dieses Nichts war reine Dekoration. Außer Spesen nichts gewesen.
Nachrichten über Libyen lieferte das "Flaggschiff des deutschen Nachrichtenjournalismus" dann erst wieder nach einer Schamfrist von mehreren Tagen, an unauffälliger Stelle unter "ferner liefen":
Waffenruhe in Libyen wird offenbar gebrochen.
Die Tagesschauer können es einfach nicht lassen, sich trotz der Unbestreitbarkeit des Faktums noch mit einem "offenbar" wichtig zu machen und distanziert zu tun.
Die öffentlich-rechtlichen Sender ARD, DLF und ZDF sind bekanntlich weder staats- noch parteifern. Sie stellen bei politisch wichtigen Fragen "Meinungskorridore" her, die fast vollständig und unkritisch deutsche Regierungspolitik präsentieren und Gegenpositionen weitestgehend ignorieren. Besonders deutlich zeigten sie Konformismus und Einseitigkeit in den Europakrisen (Griechenland, Brexit, Ukraine, Flüchtlinge, Türkei, Syrienkrieg) und in der monomanischen Russland-Berichterstattung. Das vermittelt den Eindruck, die ARD-aktuell-Redaktion bekomme entweder direkte Vorgaben aus dem Kanzleramt oder aber wähle für die Leitungspositionen von Tagesschau &.Co. von vornherein nur Journalisten aus, die Gewähr bieten, den Regierungswünschen kritik- und widerspruchslos nachzukommen – und zwar zuverlässig. Das eine wäre so skandalös wie das andere, und beides würde die katastrophale Normierung ihrer Nachrichten erklären.
Nicht allen empirischen Untersuchungen ist vorbehaltlos zu trauen, Erkenntniswert haben aber viele. Auch diese hier: Die bundesdeutsche Bevölkerung glaubt mehrheitlich nicht an journalistische Unabhängigkeit. Sechs von zehn Adressaten einer Umfrage sind davon überzeugt, dass auf Nachrichtenmedien Einfluss genommen wird, worüber oder auf welche Art sie berichten sollen. Als Souffleure, als Platzanweiser im Hintergrund, gelten nach vorherrschender Auffassung die Regierung, die Parteien und die Wirtschaft. Deren Druckpotential: Lobbyverbände und das finanzielle Gewicht von Werbekunden.
Die Berichterstattung über Libyen weicht nicht von der generellen Linie der ARD-aktuell ab, dem Nachplappern regierungsoffizieller Stellungnahmen. Da wird aufgeblasen oder marginalisiert, gutgeheißen oder "scharf verurteilt" (das Adjektiv "scharf" fehlt in dieser Verbindung nie); alles dient der Absicht, die Berliner Politik als das Gute an sich erscheinen zu lassen und deren Fragwürdigkeit zu ignorieren.
Warum überfielen anno 2011 die notorischen NATO-Kriegsherren USA, Großbritannien und Frankreich unter dem Beifall des restlichen "Werte-Westens" Libyen? Warum zerbombten sie dessen Infrastruktur und gesellschaftlichen Zusammenhalt? Warum inszenierten sie die Kampagne "Machthaber Gaddafi muss weg"? Doch nicht wegen "Freiheit und democracy"! Die sachgerechte Antwort war von der Tagesschau nicht zu bekommen: Gaddafi wollte Afrika aus dem Zwangskorsett des US-Petro-Dollars befreien, es von der globalen Leitwährung unabhängig machen. Er wollte eine realitätsgerechte, der Spekulation weitgehend entzogene Währung einführen, den Gold-Dinar.
Es gereicht dem inzwischen verstorbenen Ex-Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) zur bleibenden Ehre, dass er seinerzeit voller Weitsicht den aggressiven Wahnsinn im Sicherheitsrat der UNO nicht mitmachte: "Ich sehe mich in einer Tradition der Zurückhaltung, was militärische Einsätze angeht."
Seine rationale Einstellung wurde von 62 Prozent der deutschen Bevölkerung geteilt. Nicht aber von den Leit- und Konzernmedien sowie einer breiten Front kriegsbereiter Parteifürsten. Da war sogar von "feiger Außenpolitik" die Rede. Der rundgelutschte NATO-oliv-Grüne "Joschka" Fischer nannte die Berliner Libyen-Politik das "vielleicht größte Debakel seit Gründung der Bundesrepublik ... Wir sind zu groß, um uns auf eine Rolle wie die der Schweiz zurückzuziehen."
In den Chor fielen die Altkanzler Schmidt und Kohl ein, auch Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD), Ruprecht Polenz (CDU), NATO-Fetischist Ischinger und viele andere wollten nicht begreifen. Selbst Westerwelles FDP-Vorsitzender Rösler stellte sich gegen ihn.
Da mochte die ARD-aktuell nicht beiseite bleiben. In einem auf tagesschau.de veröffentlichten Beitrag hieß es über Westerwelles Stimmenthaltung im UN-Sicherheitsrat gehässig: "Deutschland an der Seite von Vorzeigedemokratien wie Russland und China ..."
Inzwischen ist längst klar: Westerwelle hatte recht. Libyen ist kein Staat mehr, sondern ein Trümmerhaufen, in dem sich diverse Armeen und Milizen gegenseitig abschlachten. Das ehemals reiche und sozial sehr fortschrittliche Land hat kaum noch funktionierende Strukturen und bietet seinen Menschen weder Schutz noch Rechtssicherheit. Der Terror regiert.
Libyen sieht heute genauso aus wie alle Länder, in die sich die "Westliche Wertegemeinschaft", WWG, mit Bomben und Granaten einmischt: wie eine Brutstätte von Hass und Verbrechen. "Freiheit, Menschenrechte und Demokratie" schreibt sich die WWG auf ihre Fahnen, aber sie hinterlässt entweder ein Chaos ohne realistische Aussicht auf friedlichen Wiederaufbau – man braucht nur an Afghanistan, Syrien, Irak, Jemen, Mali, Somalia zu denken –, oder sie beseitigt demokratisch gewählte Regierungen und lässt an deren Stelle Protofaschisten walten, wie aktuell in Brasilien, Ecuador und Bolivien. Hat die Tagesschau diese Perversität jemals zum Thema gemacht?
Seit der "Militärintervention" in Libyen vor neun Jahren – ein abscheuliches Tarnwort für den Beginn eines Krieges – beschränkt sich die ARD-aktuell-Berichterstattung im Wesentlichen auf die oftmals tödlichen Versuche von Flüchtlingen, das "gelobte Land" Europa über das Mittelmeer zu erreichen. Die Berichte konzentrieren sich auf die menschenverachtende Immigrantenabwehr, ein Konzept, das nun schon jahrelang die Migrationspolitik der EU und ihrer Einzelstaaten prägt. Die EU-Bevölkerung wird fast ausschließlich mit Informationen darüber gefüttert, wie sich Politiker die "Eindämmung des Flüchtlingsstroms" aus Libyen vorstellen. Damit vermittelt die Tagesschau den Eindruck, dass mit der brutalen Flüchtlingssperre die wichtigsten libyschen Probleme gelöst seien.
Gelegentliche Meldungen über gekenterte Boote und ertrunkene Afrikaner sind nicht so angelegt, dass sie noch Anteilnahme erzeugen könnten. Pure Leichenzählerei herrscht vor. Über die humanitäre Katastrophe, als die sich der Umgang mit den in Libyen gestrandeten Flüchtlingen erweist – Sklavenhandel, Vergewaltigung, Folter, Mord –, wurde kaum berichtet. Soweit wir es überblicken, gab es in den Hauptnachrichten der Vorjahre nur einen Beitrag über die Situation der Menschen in den libyschen Lagern.
Im Internet, auf tagesschau.de, finden sich zwar ein paar Informationen mehr. Die reichen aber wegen der geringen Zugriffsraten auf diese Seite nicht aus; von einer Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtung zur "umfassenden" Unterrichtung der Tagesschau-Zuschauer (und nicht bloß bestenfalls der tagesschau.de-Leser) kann keine Rede sein.
Dem liegt kein ungewolltes Versagen zugrunde. Beispielsweise wird eisern beschwiegen, dass unsere Berliner Erfüllungsgehilfen das Elend und die Grausamkeiten in den Lagern nicht nur dulden, sondern via EU sogar mitfinanzieren. Deutsche und EU-Politiker wissen genau, dass von den Geldzuwendungen fast nichts für Lagerinsassen herausschaut.
Die deutsche Botschaft in Nigers Hauptstadt Niamey sprach bereits 2017 von "allerschwersten, systematischen Menschenrechtsverletzungen in Libyen".
Im Bericht des Auswärtigen Amtes ist nachzulesen, dass "authentische Handyfotos und -videos" die "KZ-ähnlichen Verhältnisse" in sogenannten Privatgefängnissen im Süden Libyen belegten. Weiter heißt es: "Exekutionen nicht zahlungsfähiger Migranten, Folter, Vergewaltigungen, Erpressungen sowie Aussetzungen in der Wüste sind dort an der Tagesordnung."
Die Exekutionen und Vergewaltigungen werden im Detail beschrieben: "... die oft betrunkenen Fahrer, die bis zu 30 Personen auf den Pick-ups zusammenpferchen, halten in der Regel nicht an, wenn jemand in der Wüste vom Fahrzeug fällt. Zur Illustration der grauenhaften Deportationen wurde den Verfassern ein Video von verfärbten Leichen gezeigt, die rings um einen liegengebliebenen Truck verteilt lagen."
Obwohl auch ARD-aktuell diese Diplomaten-Berichte vom 3. Februar 2017 bekannt wurden, fehlte in der Hauptausgabe der Tagesschau am gleichen Abend um 20 Uhr jeglicher Hinweis auf die erschütternde Darstellung. Stattdessen gab es einen verharmlosenden Beitrag, in dem die Rede von der "Eindämmung der Flüchtlingsbewegung" war und von "oft missachteten" Menschenrechten.
Die Redaktion schreckt nicht mal davor zurück, sich extremistischen Sprachmustern zu nähern: "Eindämmen der Flüchtlingsflut" ist ein widerwärtiger rechtsradikaler Kampagnenbegriff, in der PEGIDA gebräuchlich, im völkischen Kontext stehend, so als stünden hinter der Migration keine bemitleidenswerten Einzelschicksale.
Der Mainstream hatte über den Diplomaten-Vorwurf der "KZ-ähnlichen Zustände" berichtet. ARD-aktuell in den wichtigen Abendausgaben nicht. Warum nicht? Die Nähe zu den Spitzen der Politik ist entschieden zu groß. Aufklärerischer, einer unabhängigen Meinungsbildung der Öffentlichkeit dienlicher Journalismus müsste wenigstens den Versuch unternehmen, die politisch Verantwortlichen jeweils mit den Realitäten zu konfrontieren. Für Rechtfertigungsdruck auf die Regierenden fühlt sich die Tagesschau aber nicht zuständig, obwohl sie sich wie alle anderen Mediengrößen nur zu gern als "Vierte Gewalt" im Staate beweihräuchern lässt.
Das Auswärtige Amt – Chef war seinerzeit Sigmar Gabriel (SPD) – hatte die hier zitierte Diplomatenpost über die Zustände in libyschen Lagern vergebens als "Verschlusssache" eingestuft. Aber seine Absicht zeigt, wes Geistes Kinder im Kabinett Merkel versammelt sind. Dieser Klüngel lebt in Kumpanei mit einem libyschen System, das Kriminelle, Sklavenhändler und Gewalttäter machen lässt. Er stützt und entlohnt sie dafür, dass sie uns afrikanische Flüchtlinge vom Hals halten. Merkels verlogene Maxime "Fluchtursachen bekämpfen" realisiert sich als unmenschlicher Kampf gegen Flüchtlinge.
Selbst als nebenan die NDR-Kollegen der Panorama-Redaktion herausfanden, dass die menschenfeindlichen Lager teilweise mit EU-Geld finanziert werden, verschwieg die ARD-aktuell dies in ihren Formaten Tagesschau und Tagesthemen. Nur auf der Internet-Seite tagesschau.de erschien eine stark verkürzte Meldung, in Alibi-Funktion.
Inzwischen hat die EU die "international anerkannte Regierung" in Tripolis mit mehr als 320 Millionen Euro geschmiert, mit dem Ziel, den Weg der Kriegs- und der Klima-Flüchtlinge aus der Sahelzone und den verelendenden Staaten weiter südlich nach Europa gewaltsam zu verschließen. Gesalbt wurde eine Gaunerbande, die sich in Tripolis und einem winzigen Landesrest nur noch mit Mühe an der Macht hält. Sie unternehme "keinerlei Schritte" gegen die Folter in den Lagern, heißt es in einem vermeintlich geheimen Papier des Rates der Europäischen Union.
Nicht einmal Informationsschnipsel davon fanden Eingang in die Abendsendungen von ARD-aktuell. Das Millionenpublikum der Tagesschau soll nicht alles erfahren, jedenfalls nicht aus der Hamburger Zentralredaktion. Man will als ARD-aktuell-"Promi" ja nicht für die Entstehung anti-europäischer Emotionen verantwortlich gemacht werden, gelle?
Auch das ARD-Hauptstadtstudio beweist Regierungsverbundenheit. Chefin Tina Hassel (Mitglied des US-Lobbyclubs "Atlantikbrücke") hat unmittelbar nach Ende des "Berliner Prozesses" eine eindrucksvolle Kostprobe geboten. Auf die Frage, ob die Berliner Libyen-Konferenz nur der kleinste gemeinsame Nenner gewesen sei, weil lediglich beschlossen und verkündet wurde was ohnehin längst galt, aber nicht gewahrt wurde – Waffenruhe und Waffenembargo – antwortete sie im Stil einer Regierungssprecherin: "Nein, es war deutlich mehr als der kleinste gemeinsame Nenner, unter größter internationaler Aufmerksamkeit haben sich alle wichtigen Player hier stundenlang ausgetauscht und am Ende darauf verständigt, dass man jetzt ernst machen will ... Ich glaube, man kann heute schon von einem diplomatischen Erfolg sprechen."
Das kommt eben dabei heraus, wenn man nicht "nach anerkannten journalistischen Grundsätzen" arbeitet, wie es der Rundfunkstaatsvertrag rechtsgültig vorschreibt, sondern politische Glaubensbekenntnisse ablegt.
Schon am Tag nach der Konferenz gingen die Kampfhandlungen in Libyen in aller Härte weiter. Drei weitere Tage später verhängte Libyens tatsächlich starker Mann, General Haftar, sogar eine Flugverbotszone über Tripolis. Alles war der Tagesschau wurscht. Papierkorb. Kleinster gemeinsamer Nenner? Nee, kleinstes journalistisches Karo.
Verlogene Sprüche hatte es im Vorfeld der Libyen-Konferenz zuhauf gegeben; dem Maas war daran gelegen, sich als Meister der Diplomatie und Vermittlungskunst in Szene zu setzen. Der CDU-Politiker Johann Wadephul ließ wissen, wo nach seiner Meinung Erfolg (für die Kriegsindustrie) winkt: Deutschland müsse in Libyen "Verantwortung zeigen" und "bereit sein zu handeln". Sollte eine robuste UN-Mission zustande kommen, sei "vollkommen klar", dass Deutschland sich mit eigenen Truppen oder Polizeikräften beteiligen müsse. Mit Westerwelle ist eben auch seine friedfertige Libyenpolitik tot und begraben.
Wirtschaftliche und sonstige politische Interessen – im Fall Libyen Öl, Gas, Einfluss in Afrika und Flüchtlingsabwehr – lassen sich von jeher am wirksamsten in einem Mäntelchen verfolgen, auf dem "UN-Friedensmission" steht. Hat man erst den Segen des Weltsicherheitsrates, kann man seine Ziele getrost mit Panzern und Kanonen anstreben. Entgegen allen anderslautenden Behauptungen deutscher Politiker und Medien: Es geht nicht um humanitäre Interessen.
Der Anteil des italienischen Energiekonzerns Eni an der libyschen Öl- und Gasproduktion beträgt derzeit rund 45 Prozent. Italien hat damit das größte Interesse an einer Befriedung. Daneben ist auch noch das deutsche Unternehmen Wintershall Dea in Libyen tätig. Auch seine Geschäfte laufen weniger lukrativ als zu Gaddafis Zeiten. Das Profitinteresse beschäftigt die Bundesregierung. Wintershall Dea fordert staatliche Garantien, mit denen sich die Geschäftsrisiken auf andere verlagern lassen, nach dem bekannten Muster: Gewinne einstreichen, Verluste sozialisieren. Darauf nämlich läuft es hinaus, wenn "Hermes-Bürgschaften" gewährt werden und der Steuerzahler dafür gradestehen muss.
Auch französische Unternehmen möchten sich im Mittelmeerraum energiepolitisch engagieren. Die Türkei hat gleichfalls handfeste Bedürfnisse artikuliert. Präsident Erdoğan schloss mit der "Einheitsregierung" in Tripolis bereits einen umfassenden Pakt zur Nutzung von Offshore-Feldern, obwohl dieser Vertrag mit Blick auf die Seerechtskonvention reichlich fragwürdig erscheint. Über all das berichtet ARD-aktuell kaum; so wird vermieden, dass die schieren Macht- und Wirtschaftsinteressen der Bundesregierung sichtbar werden.
Und selbstverständlich müssen in unserem deutschen parlamentarischen Alltagselend wieder einmal die Russen den Bösewicht spielen. "Eines ist klar: Dort, wo ein vermeintliches Vakuum entsteht, gehen andere rein. … Insbesondere Russland ergreift in solchen Fällen die Initiative ..., um seinen Einfluss zu vergrößern, nicht nur in Nordafrika, in Libyen... Wir müssen als CDU/CSU zusammen mit der SPD als Koalition deutlich machen: Unsere Politik ist werteorientiert, ... vom Gedanken der Freiheit und der Sicherheit geprägt."
Mandatsträger wie der CDU-Bundestagsabgeordnete und Rüstungslobbyist Otte schämen sich solcher Heuchelei nicht; es ist ihnen bekannt, dass der zwar vom UN-Sicherheitsrat anerkannte, jedoch keineswegs demokratisch legitimierte Präsident in Tripolis derzeit damit beschäftigt ist, seine Milizen mit übelsten Dschihadisten aus der syrischen Provinz Idlib aufzufüllen. Sie erhalten bei kostenlosem Transport und Garantien für medizinische Versorgung im Verwundungsfall einen Monatssold von 2.000 bis 2.500 US-Dollar. Das finanziert Präsident Erdoğan, der Gütige, aus seiner Kriegskasse.
Das terroristische Söldnergeschmeiß ist identisch mit jenen Mörderbanden, die in Tagesschau-Sendungen als "Rebellen" figurieren, manchmal sogar als "bewaffnete Opposition", solange sie nur für den Umsturz in Damaskus kämpfen. Mal schauen, wie erfindungsreich sich künftig das Tagesschau-"Wording" bezüglich dieser Verbrecher zeigt, wenn sie als Erdoğans Gesandte mit dem Kopfabschneiden und getürkten Giftgasangriffen beginnen.
Mit zweierlei Maß messen ist ARD-aktuell-Standard. Erdoğan ist NATO-Verbündeter, deshalb: Vorsicht! Aber Putin ist russischer Präsident, also immer feste druff. Drum wusste der ARD-Korrespondent Hechler bereits am Abend der Konferenz am 19. Januar zu berichten, dass Putin dem General Haftar mit Söldnern des russischen Privatunternehmens Wagner beispringen wolle. Diese Behauptung war keine Nachricht, sondern Produkt der brodelnden ARD-aktuell-Gerüchteküche.
Wie der Hase laufen soll, machte die Tagesschau bereits klar. Mit der ihr eigenen "hätte, könnte, würde, man sagt, aus Kreisen wird berichtet, Aktivisten melden, Beobachter meinen"-Berichterstattung läuft sich die Redaktion gegen Russland und Präsident Putin warm. Die Folgeberichte nach der Konferenz zeigen, wie.
Avanti, dilettanti: Merkel veranstaltete eine gigantisch aufgezogene Konferenz, obwohl es ihr im Vorfeld nicht einmal gelungen war, wenigstens die europäischen Regierungen unter einen Hut zu kriegen. Italien und Frankreich engagieren sich auf jeweils gegnerischen Seiten des Konflikts. Griechenland, ein mittelmeerischer Anrainerstaat, wurde nicht eingeladen, desungeachtet, dass Erdoğans Energiepläne mit griechischen Interessen kollidieren. Keines seiner Vorhaben stand zur Debatte, eine Nullnummer angesichts der türkischen Einmischung in Libyen.
ARD-aktuell sendete etliche Tage nach der Berliner Konferenz zwar wieder Nachrichten über die Kämpfe in Libyen, über die Nichteinhaltung des Waffenembargos und nun zunehmend auch von Übergriffen auf Migranten, jedoch ohne ausdrücklichen Hinweis, dass sie das Scheitern des "Berliner Prozesses" belegen. Die kurze Verschwiegenheitsphase im Anschluss an den "Berliner Prozess" half, seine Pleite dem kollektiven Vergessen anheimzugeben.
Es kann nicht mehr lange dauern, dann werden Merkel und ihre Reklamefachleute bei ARD-aktuell die Verantwortung für alle Misshelligkeiten in Libyen wieder anderen zuschieben: "Wir haben ja alles versucht, aber die anderen ..."
Wem die Rolle des schuftigen Spielverderbers übertragen wird, ist keine Frage mehr. Hat hier jemand schon vorlaut "Putin!!!" gebölkt? Na bitte. Tagesschau gucken hat Konsequenzen. Sie weitet eben keine Horizonte, sondern vertieft nur die Abgründe von Unwissen, Nichtverstehen und Hass. Bald wird sie zum nächsten Wettbewerb im medialen Fäkalienweitwurf antreten. Als Favorit.
Das Autoren-Team:
Friedhelm Klinkhammer, Jahrgang 1944, Jurist. 1975 bis 2008 Mitarbeiter des NDR, zeitweise Vorsitzender des NDR-Gesamtpersonalrats und des ver.di-Betriebsverbandes sowie Referent einer Funkhausdirektorin.
Volker Bräutigam, Jahrgang 1941, Redakteur. 1975 bis 1996 Mitarbeiter des NDR, zunächst in der Tagesschau, von 1992 an in der Kulturredaktion für N3. Danach Lehrauftrag an der Fu-Jen-Universität in Taipeh.
Anmerkung der Autoren:
Unsere Beiträge stehen zur freien Verfügung,nichtkommerzielle Zwecke der Veröffentlichung vorausgesetzt. Wir schreiben nicht für Honorar, sondern gegen die "mediale Massenverblödung" (in memoriam Peter Scholl-Latour). Die Texte werden vom Verein "Ständige Publikumskonferenz öffentlich-rechtlicher Medien e. V." dokumentiert: https://publikumskonferenz.de/blog
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