von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam
Die Tagesschau meldete am 30.10.19: "Angesichts schwerer Unruhen im Land hat Chile die Ausrichtung der Weltklimakonferenz im Dezember abgesagt. Präsident Piñera erklärte, seine Regierung müsse sich darauf konzentrieren, die Proteste zu befrieden und Reformen auszuarbeiten. Seit zwei Wochen kommt es in Chile immer wieder zu Ausschreitungen." Wissen wir jetzt, was in Chile los ist? Erkennen wir dank solcher Nachrichten Ursache und Gemeinsamkeiten der "Unruhen", die Lateinamerika seit vielen Monaten erschüttern? Ausgeschlossen – das Zitat entblößt vielmehr, wie wenig sich solche oberflächlichen Informationen eignen, ein halbwegs stimmiges Bild von den Vorgängen auf dem amerikanischen Subkontinent zu gewinnen.
Wenn man nicht über eigene Erfahrung mit der lateinamerikanischen Welt, über Sprachkenntnisse und Fachwissen verfügt, ist man als Nachrichtenempfänger gut beraten, wenn man sich auf Kritik an der schon auf Anhieb erkennbaren Halbwahrheit, Unvollständigkeit und Desinformation beschränkt. Davon bietet die Tagesschau schon reichlich, wie ein kleiner Vergleich ihrer Berichte über Chile, Bolivien und Honduras belegt. Obwohl es ihre Aufgabe wäre, mit ihren Sendungen "Medium und Faktor individueller und öffentlicher Meinungsbildung" zu sein – also umfassend und sachlich über das Weltgeschehen zu berichten. Mit Elaboraten wie dem hier kann das nicht gelingen:
Gewalt in Chile hält an: Brandstiftung und Plünderungen... Von Gewalt begleitete Proteste zur Durchsetzung sozialer Forderungen hätten dazu geführt, dass der Präsident sein gesamtes Kabinett ersetzt habe.
Das ist zwar nicht falsch, aber wichtige einordnende Informationen zum Wie und Warum der desaströsen Entwicklungen in Chile fehlen. Ein klassischer Fall von Halbinformation. Chile gilt als das wohlhabendste Land Südamerikas. Als Relikt der Militärdiktatur (1973-1990) wurde der Marktliberalismus hier am konsequentesten durchgesetzt, und zwar mit allen seinen verheerenden Folgen. Er dient, wie überall im kapitalistisch organisierten "Wertewesten", nur dem Interesse einer wirtschaftlichen Elite.
Die exzessive Privatisierung des chilenischen Gemeineigentums und der Sozialinstitute, beispielsweise Wasserwirtschaft, Bodenschätze – Kupfer, Lithium –, Rentenversicherung, Bildungssystem und Gesundheitsfürsorge schadet weiten Teilen der Bevölkerung und der Mitwelt. Patrick Schreiner hat auf den Nachdenkseiten die grundsätzliche Problematik der Privatisierungspolitik anschaulich erörtert.
Wohin die wirtschaftliche "Liberalisierung" am Ende führt, zeigte anno 2017 die Studie "Desiguales" (Ungleiche) im Rahmen des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP): krasse soziale Gegensätze, extrem ungleiche Verteilung, Wohlstand für Wenige, Armut für Viele. Ein paar Fakten aus dieser Untersuchung: 33 Prozent der gesamten Einnahmen aus der chilenischen Wirtschaft fließen in die Haushalte von einem Prozent der Bevölkerung. Die oberen fünf Prozent der Gesellschaft kassieren mehr als die Hälfte aller Einnahmen.
Am unteren Ende der Skala die Daten einer "Parallelwelt": Die Hälfte der knapp 18 Millionen Chilenen lebt an bzw. unter der Armutsgrenze. Der staatliche Mindestlohn beträgt umgerechnet knapp 350 Euro – bei Lebenshaltungskosten, die teilweise über den deutschen liegen. Selbst die für ihre erzkonservative Einflussnahme berüchtigte Konrad-Adenauer-Stiftung kommt um diese Feststellung nicht herum.
Chiles Wirtschaft ist, ähnlich wie die deutsche, stark exportorientiert, ein typischer "Global Player". Anders als Deutschland macht Chile seine Geschäfte jedoch mit Vorprodukten aus Bodenschätzen, vor allem diesem: Kupfer. Der Andenstaat verfügt mit circa 40 Prozent über die umfangreichsten Vorkommen der Welt. Seine Kupferförderung hat derzeit einen Anteil von 34 Prozent an der Weltproduktion und macht die Hälfte des gesamten chilenischen Exports aus.
Seit Ende Februar 2019 sinkt der Kupferpreis stetig, von gut 6.500 US-Dollar pro Tonne auf rund 5.600 US-Dollar Anfang September. Die ausländischen Direktinvestitionen in Chile fielen schon im ersten Quartal 2019 um satte 56 Prozent. Die massive Exportabhängigkeit hat deshalb für das Land und seine Menschen erhebliche negative Folgen – wie immer, wenn Marktliberale am Ruder stehen.
Mit den Preisen für Kupfer sinken auch die ohnehin minimalen Löhne der Besitzlosen in existenzbedrohende Tiefe. Die Kaste der Vermögenden wird derweil mit beträchtlichen Steuergeschenken schadlos gestellt, aktuell mit günstigeren Abschreibungsmöglichkeiten und satten Mehrwertsteuererstattungen. Den politischen Rahmen dafür, dass Gewinne privatisiert und Verluste der Gesellschaft aufgehalst werden können, garantiert der chilenische Präsident und Milliardär Sebastián Piñera.
Die aktuelle Wirtschaftsmisere ist durchaus nicht taufrisch. Das hehre "Wohlstand für alle" der Marktliberalen erweist sich in Chile nun schon seit nahezu vier Jahren als reiner Betrug. Das jährliche Durchschnittseinkommen sank seit dem Jahr 2015 um 900 auf 13.290 US-Dollar, und zwar bei gleichzeitiger Erhöhung der Arbeitsproduktivität. Preise und Staatsverschuldung steigen in schwindelerregende Höhe. Massenentlassungen sind an der Tagesordnung. Die Jugendarbeitslosigkeit kletterte auf 18 Prozent. Andererseits sinken die öffentlichen Ausgaben für Schulbildung seit 2015 nachhaltig.
Diesen Hintergrund und diese Zusammenhänge verschweigt die Tagesschau. Auch die Tatsache, dass Deutschland ein Nutznießer des chilenischen Elends ist. Kupfer wird als Strom- und als Wärmeleiter gebraucht, für Rohrleitungen, Abdeckungen, Legierungen, es dient im Maschinenbau, in der Chemie- und in der Rüstungsindustrie, es dient als Münzmetall und findet im Kunsthandwerk Verwendung. Die deutsche Wirtschaft deckt 36 Prozent ihres großen Kupferbedarfs mit Importen aus dem Andenstaat. Sie profitiert dabei, den Gesetzen des "Marktes" folgend, kräftig vom Preisverfall für das wichtige Halbedelmetall.
Die markt- und kapitalismustypisch "legale" Übervorteilung passt zwar ganz und gar nicht zum Umgang unter "Freunden", aber in der Politik und in der Wirtschaft zählen eben auch nur Interessen und keine ethischen Prinzipien. Das Bekenntnis der Kanzlerin ("unter Freunden geht das nicht"), es sei ihrer Regierung nur um "das Streben nach wirtschaftlichem und sozialem Wohlergehen, ... den Kampf gegen Armut, Hunger und Krankheiten, den Einsatz für Frieden und Freiheit – in Deutschland, in Europa und in der Welt" zu tun, ist nichts weiter als eine peinlich unaufrichtige Sprechblase.
Deutsche Mitverantwortung für Tod und Elend in Chile? Derartige Zusammenhänge werden von der Redaktion ARD-aktuell nicht erörtert. Wegen der knappen Sendezeit? Dann wäre aber zu begründen, weshalb auf der eigens eingerichteten Webseite tagesschau.de ebenfalls nichts darüber vermittelt wird, obwohl dieses Internetangebot extra für weiterführende Informationen geschaffen wurde:
Die Onlineangebote vertiefen und vernetzen die Programminhalte aus Hörfunk und Fernsehen.
ARD-aktuell vertieft aber nichts, nirgendwo. Es plätschert oberflächlich vor sich hin. Das Angebot unterscheidet sich in nichts von dem, was alle sonstigen interessengebundenen Massenmedien uns vorplappern. Nur ganz vereinzelt treten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk noch Journalisten auf, die erfolgreich um korrekte, sachorientierte Informationen bemüht sind. Ein Sonderfall soll hier hervorgehoben werden, wenn auch verbunden mit der Erinnerung daran, dass Ausnahmen die Regel bestätigen.
Warum wird derzeit so auffallend reserviert und spärlich über die brutalen Übergriffe der Polizei und des Militärs in Chile berichtet? Warum gibt es keine Filme darüber, wie Arbeiter niedergeknüppelt werden, wie die verarmte Bevölkerung mit brutaler Gewalt bis hin zu Mord und Totschlag terrorisiert wird? Eine erhellende Erklärung findet sich im Internetportal des Außenamts, in dessen Chefetage sich derzeit ein lächerlicher bis peinlicher Ministerverschnitt auslebt:
Zwischen Deutschland und Chile bestehen seit vielen Jahren gute und intensive wirtschaftliche Beziehungen.
Die dürfen natürlich nicht Schaden nehmen, Geschäft ist Geschäft. Dafür zeigt die ARD-aktuell-Redaktion Verständnis. Über Straßengewalt in Chile muss also tendenziell anders berichtet werden als über das gleiche Phänomen in Venezuela oder in Hongkong. Der unübersehbar parteiische Journalismus fällt leider kaum mehr auf, wir sind ihn längst gewohnt. Uns, die einst halbwegs kritischen Nachrichten-Rezipienten, hat das Sedativ Tagesschau inzwischen zu phlegmatischen Nachrichten-Konsumenten mutiert. Auf dem Sofa, vor der Wunderlampe, wundern uns über gar nichts mehr. Wozu auch sich noch aufregen?
Nach Daten des Nationalen Instituts für Menschenrechte (INDH) in Chile vom 28. Oktober sind seit Beginn der gewaltsamen Proteste vor rund zwei Wochen bereits 120 Klagen wegen Menschenrechtsverletzungen vor Gericht gebracht worden. Darunter fünf wegen Mordes durch Polizei oder Militär und 94 wegen Folter, hiervon 18 verbunden mit Vergewaltigung und anderen sexuellen Übergriffen. Mehr als 3.500 Menschen sind inhaftiert. Es gab mehr als 1.100 Verletzte – beinahe 600 infolge Schusswaffengebrauchs. Nach offiziellen Angaben sind bisher 20 Menschen zu Tode gekommen. Das INDH hat die Regierung angehalten, endlich Details in Bezug auf Tatorte, Alter, Geschlecht und Todesursache der Opfer bekanntzugeben.
Auch darüber erfährt man von der ARD-aktuell-Redaktion so gut wie nichts. Auf die kritischen Informationen von Menschenrechtsorganisationen wird, anders als in der Venezuela-, Syrien- oder Hongkong-Berichterstattung, verzichtet. Der Grund: feiger Konformismus mit deutscher Regierungspolitik. Die große Koalition der transatlantischen Mitläufer, angeführt von Kanzlerin Merkel und Heiko Maas, dem AA-Stift im Politpfeifen-Kabinett, hat sich unserer hiesigen Wirtschaft zuliebe das Regime in Santiago de Chile zum "Freund" erkoren; zum Feind aber und in Treue fest zu den USA, die sozialistischen Regierungen in Caracas, Kuba, Bolivien. Auch über Hongkong darf in dreister Unkenntnis gemotzt werden.
Das Berliner Panoptikum einer friedensförderlichen Politik wird brav von der Tagesschau übertragen, live und in Farbe, unter denkbar größtem Verzicht auf journalistische Eigenständigkeit und Seriosität. Vordergründig vermitteln ihre Nachrichten über Chile den Anschein objektiver Berichterstattung. Tatsächlich aber sind sie fast ausschließlich orientiert an Blickwinkel und Propaganda der chilenischen Regierung.
Bei den anhaltenden Unruhen in ganz Chile sind nach Angaben des Innenministers Andrés Chadwick mindestens sieben Menschen umgekommen. Sie sollen bei Akten des Vandalismus gestorben sein.
Chiles Präsident Sebastián Piñera sagte angesichts der Unruhen in einer Fernsehansprache: 'Wir sind im Krieg gegen einen mächtigen Feind, der grenzenlose Gewalt nutzt' und warf einigen Protestlern vor, sie hätten auch Krankenhäuser anzünden wollen.
Von den Beweggründen und aus Sicht der Protestierenden wird nicht berichtet. Mit keinem Wort erwähnt ARD-aktuell, dass gar zu viele der verletzten Demonstranten Schusswunden aufweisen und dass die UN deswegen beabsichtigen, die Vorfälle zu untersuchen. Fortlaufende, ausgiebige Berichterstattung? Ja, über Zoff in Hongkong schon, und zwar mehrmals täglich und immer feindselig gegenüber der Regierung in Beijing.
Im Vergleich dazu die Nachrichten aus Chile: In den Hauptausgaben der Tagesschau gab es nur am 21., 26. und am 30. Oktober je einen Beitrag. Klischeehaft wird da vom "wütendem Mob" geschäumt. Die brutalen Übergriffe von Polizei und Militär werden "als hartes Durchgreifen" beschönigt und die mittlerweile 20 oder mehr Fälle von Totschlag nur beiläufig gestreift.
Da gibt es keine Täter zu nennen, die Opfer sind halt "ums Leben gekommen." Einfach so, oder? Nachrichtenhäufigkeit, -inhalt und -formulierung belegen die Absicht der Redaktion, ganz im Sinne der Bundesregierung und deren Freundschaft mit den chilenischen Eliten zu publizieren und nur ja keine allzu tiefgreifenden Informationen über die Chile-Ereignisse zu vermitteln.
Doppelstandards und Schandjournalismus
Ganz anders gestrickt ist demgegenüber die Berichterstattung über die Vorgänge rund um die Präsidentenwahl in Bolivien. Da fungiert die Tagesschau plötzlich als dröhnender Haudrauf. Ohne spürbare Selbstzweifel vermitteln ihre Nachrichtenredakteure den Vorwurf, der sozial engagierte indigene Evo Morales sei autoritär und habe sich verfassungswidrig sowie mit Wahlbetrug im Amt bestätigen lassen. Eine saubere Beweisführung zu dieser verbalen Niedermache unterbleibt.
Bolivien ist das ärmste Land in Südamerika, ebenfalls geprägt von riesigen Vermögensunterschieden zwischen einer privilegierten Oligarchie und der armen Bevölkerungsmehrheit. Dennoch verbietet sich eine Gleichsetzung mit Chile. Bolivien nimmt beim Wirtschaftswachstum in der Region seit Beginn der Ära Morales den ersten Platz ein, und dieses Wachstum kommt hier eben nicht nur der reichen Elite zugute. Das bestätigten übereinstimmend der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank und die Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik der Vereinten Nationen (Cepal). Die von der Cepal erstellte Prognose für 2019 liegt für Bolivien bei 4,4 Prozent Wirtschaftswachstum.
Zurückzuführen ist das auf die Politik eines Präsidenten, der sich von der Weltbank und dem erpresserischen IWF weitgehend unabhängig gemacht hat. Stattdessen strebt Morales multilaterale Beziehungen an und sucht dabei auch die Unterstützung von mit den USA konkurrierenden Staaten wie China. Mit relativ großem Erfolg: Importe aus China machen inzwischen 21,8 Prozent an der gesamten Einfuhr Boliviens aus.
Es zeichnet den Präsidenten Morales aus, dass er Boliviens Militärausgaben senkte und stattdessen die staatlichen Investitionen für Gesundheit und Bildung steigerte. Das private Einkommen pro Einwohner hat sich seit dem Jahr 2005 kontinuierlich fast verdreifacht, die Arbeitslosigkeit liegt mit drei Prozent weit unter dem Chile-Niveau. Die Inflationsrate erreicht in diesem Jahr gerade einmal 1,7 Prozent.
Die relative Unabhängigkeit eines "Sozialisten" passt der "Westlichen Wertegemeinschaft" natürlich überhaupt nicht. Das Vorbild Morales könnte, so die große Sorge, womöglich Schule machen. Das erklärt die Gleichförmigkeit, in der unser "Wertewesten" und seine ihm nachgeordneten Qualitätsmedien versuchen, den Präsidenten anzuschwärzen und verächtlich zu machen. Sie setzen einfach ihn, seine Sozialpolitik und den Sozialismus generell gleich mit "undemokratisch" und "korrupt". Die Methode ist bekannt und erprobt, bei geschickter – und beständig wiederholter – Anwendung sind weder Beweise noch auch nur Argumente erforderlich.
ARD-aktuell berichtete in den Hauptausgaben Tagesschau und Tagesthemen fünfmal über die angeblich verfälschte Wahl des Präsidenten. Insgesamt 46 Beiträge erschienen zwischen dem 21. und dem 28. Oktober 2019 auf tagesschau.de. Tenor: Wahl unsauber, Opposition protestiert, Neuwahlen müssen her. Das penetrante mediale Dauerfeuer führt zwangsläufig zu der inzwischen weit verbreiteten Ansicht, dass es in Bolivien zutiefst undemokratisch zugehe. Obwohl es meilenweit gegen den Wind in die freie Nase stinkt, wie hier die deutsche Öffentlichkeit darauf eingestimmt wird, dass in Bolivien demnächst der gleiche westliche Kreuzzug wie in Venezuela beginnt: Regime Change ist gewollt. Die Bolivianer sitzen schließlich auf "unserem" Lithium!
Schräger Blick auf den Nachbarn
Wie ganz anders dagegen der Umgang mit "befreundeten" Regierungen in der Nachbarschaft! Verständnisinnig Zurückhaltung wahrend verzichten unsere Großkoalitionäre und ihr journalistisches Gefolge auf jegliche Kritik, trotz aller unüberhörbaren Vorwürfe von Wahlbetrug, Repression und Amtsmissbrauch eines zutiefst kriminellen Regimes wie dem des erzreaktionären honduranischen Präsidenten Juan Orlando Hernández. Der gelangte zwar 2017 erneut an die Macht, aber in all der Zeit seither brachte die Redaktion ARD-aktuell nur einen einzigen Beitrag von 26 Sekunden Länge. Völlig ausgeblendet blieb darin natürlich, dass die Konrad-Adenauer-Stiftung den honduranischen Wahlbehörden noch kurz vor dem Hernández-Sieg Nachhilfeunterricht für die Durchführung seiner erfolgreichen Wahl erteilt hatte. Bei der CDU und deren Parteistiftung weiß man schließlich, wie ein demokratischer Scheinheiligenschein aufzupolieren ist.
Unbeschadet der naheliegenden Frage, ob in Honduras manipulativ ausgezählt worden war, stand die Bundesregierung fest an der Seite ihres Mannes, des vor- und nachmaligen Präsidenten Hernández. Die externen Wahlbeobachter hatten zwar die zu hohe "Politisierung" der Wahlbehörden – vulgo: Wählerbeeinflussung – auf allen Ebenen bemängelt, die einseitige Masseninformation zugunsten der Regierungspartei für indiskutabel befunden und die unterlassene Aktualisierung der Zivilregister für inakzeptabel erklärt. Trotz des sich aufdrängenden Verdachts der Wahlfälschung hatte die Merkel-Regierung ausdrücklich "keine Bedenken", das Ergebnis anzuerkennen. Von "Demokratie, Recht und Freiheit" säuselt unsere Kanzlerin immer nur dann, wenn es ihr gerade in den politischen Kram passt.
Sie sondert eh bloß Sprechblasen ab, selbst wenn sich das nach Maßgabe der Allgemeinen Menschenrechte verbietet. Als bewaffnete staatliche Verbände nach der Wahl in Honduras mindestens 31 Bürger umbrachten, ließ die Merkel-Regierung im Reichstag lediglich auf eine kleine Anfrage der Linken verlauten, sie sei
... sehr besorgt über die starke Militarisierung des Landes, das teilweise unverhältnismäßige Vorgehen der Sicherheitskräfte, insbesondere die Verwendung von scharfer Munition bei Demonstrationen. Die Bundesregierung vertritt die Ansicht, dass die Regierung das Recht auf friedliche Demonstrationen als Teil der Meinungsfreiheit wahren muss.
Auf die Frage nach einem Waffenembargo gegenüber Honduras antwortete sie:
Die Bundesregierung wird die weiteren Entwicklungen in Honduras genau verfolgen und wie bisher im Rahmen ihrer Genehmigungspraxis berücksichtigen. Aus diesen Gründen hält die Bundesregierung die Verhängung eines Waffenembargos gegen Honduras derzeit nicht für erforderlich.
Na klar. Die fleischgewordene Liebedienerei am deutschen Geldadel, dem der Rüstungsbranche inbegriffen, trägt Hosenanzug mit drei großen Knöpfen am Jäckchen. Und die stromlinienförmigen Staatsschreiber der Tagesschau-Redaktion ARD-aktuell vermitteln Merkels Sprechblasenblubbern als Gipfel der Regierungskunst. Wovon diese Schreiberlinge ganz offenkundig so wenig verstehen wie vom Ethos ihres eigenen Jobs. Die lateinamerikanische Welt, obwohl von größtem kulturellen, ökologischen und wirtschaftlichen Interesse, muss uns Tagesschau-Konsumenten deshalb fast so unverstanden bleiben wie zu Zeiten der spanischen Konquistadoren.
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Friedhelm Klinkhammer, Jahrgang 1944, Jurist. 1975 bis 2008 Mitarbeiter des NDR, zeitweise Vorsitzender des NDR-Gesamtpersonalrats und des ver.di-Betriebsverbandes sowie Referent einer Funkhausdirektorin.
Volker Bräutigam, Jahrgang 1941, Redakteur. 1975 bis 1996 Mitarbeiter des NDR, zunächst in der Tagesschau, von 1992 an in der Kulturredaktion für N3. Danach Lehrauftrag an der Fu-Jen-Universität in Taipeh.
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