ARD-aktuell im transatlantischen Propaganda-Modus: Zerrbild Ukraine stützt Feindbild Russland

Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam

Seit dem Maidan-Putsch sendet ARD-aktuell transatlantische Propaganda über unser osteuropäisches Nachbarland und unterschlägt wichtige Informationen. Statt Fakten und gut recherchierter Hintergründe gibt es russophobe Klischees zum Fremdschämen.

von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam

Die Tagesschau meldet:

Der ukrainische Präsident Selenskij kann sich nach der Wahl auf eine breite Machtbasis im Parlament stützen. Die jungen, unerfahrenen Abgeordneten sind Chance und Risiko zugleich. (...) Damit steht der Ukraine ein großes politisches Experiment bevor.

Solche Abziehbildchen von Politik und ukrainischer Realität sind nur scheinbar einmalig tumb. Tatsächlich verklebt die Tagesschau seit Juni 2019 nur ähnlich anspruchslose Betrachtungen über das politische Leben in unserem osteuropäischen Nachbarland – falls sie nicht lieber gleich gar nichts vermeldet. In ihrer jahrelangen Propagandaattacke auf das Kurzzeitgedächtnis des deutschen Publikums hat sie dem schließlich schon erfolgreich das Märchen eingetrichtert, der Maidan-Putsch sei eine demokratische Neuausrichtung der Ukraine gewesen, ein Aufstand der Unterdrückten; die Demokratie sei nun nur noch den "Prorussen" in der Ost-Ukraine beizubringen und die Krim wieder ukrainisch zu machen.

Parole: "Heim ins (NATO-)Reich", nicht wahr? Wenn da nur nicht der böse böse Russe wäre ... Der vormalige Bundeskanzler Helmut Kohl hätte dazu vermutlich angemerkt: "Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten." Den deutsch-ukrainischen Politik-Komplex halbwegs zu überschauen und sich rational an seiner Gestaltung zu beteiligen – bei Bundestagswahlen zum Beispiel – ist auf Basis von Tagesschau-Informationen allerdings ausgeschlossen.

Leider aber macht sich nur eine intellektuelle Minderheit die Mühe, nach weiteren Informationen zu suchen, zuverlässigeren und realistischeren, als ARD, DLF und ZDF zu bieten haben. Wir haben selbst wiederholt versucht, etwas Gegenöffentlichkeit herzustellen, sachkundige Autoren wie Stefan Korinth haben noch weit mehr Lesenswertes veröffentlicht. Wer sich von Dokumentarfilmen mehr als von Texten verspricht, wird zum Beispiel bei Kla.TV fündig.

In seiner umfassenden und präzisen Darstellung "Ukraine Krise 2014 – Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit. Wie der neue kalte Krieg begann" stellt auch Thomas Röper fest:

In diesen Tagen Anfang März (2014, d. V.) schlug die Berichterstattung in den deutschen Medien (...) um. Konnte man auf dem Maidan (…) noch gewisse Übereinstimmungen zwischen der Berichterstattung in West und Ost beobachten, so wurde nun eine Tendenz in den deutschen Medien sichtbar, die einseitig Russland beschuldigte und teilweise durch Weglassen wichtiger Tatsachen zumindest missverständliche Eindrücke vermittelte. Dort, wo Missstände auf Seiten der neuen Kiewer Regierung nicht zu ignorieren waren, wurden sie heruntergespielt und in Nebensätzen abgehandelt.

Das lässt sich an der Berichterstattung der ARD-aktuell gut nachvollziehen. Kleine Gedächtnisstütze: Unmittelbar nach dem Versuch des damaligen deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier am 21. Februar 2014, Opposition und Regierung der Ukraine auf Verhandlungen festzulegen, kündigten rechtsradikale Schläger auf dem Maidan gewaltsame Angriffe auf den gewählten Präsidenten Viktor Janukowitsch an. Nach dessen Flucht aus Kiew war bei ARD-aktuell zwar kurzzeitig noch zutreffend von "Umsturz" die Rede.

Bald aber galt transatlantische Sprachregelung, und es hieß unpräzise, abwiegelnd und vernebelnd: "Umbruch". Schließlich wurde gar die "Amtsenthebung des Präsidenten" behauptet. Das war die Fakten verdrehender Stuss, da für eine Amtsenthebung weder die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen vorlagen noch die zuständige Gerichtsbarkeit und ein frei entscheidendes Parlament beteiligt waren.

US-Außenminister John Kerry eröffnete am 4. März 2014 bei seinem Besuch in Kiew den nunmehr jahrelangen Propaganda-Krieg des Westens gegen Russland. Präsident Wladimir Putin wurde als Feind dämonisiert. Kerry postulierte in aller Selbstherrlichkeit, dass die verfassungswidrige Putsch-Regierung in Kiew mit Arsenij Jazenjuk an der Spitze die einzig legitime und "rechtmäßige" Regierung der Ukraine sei.

Trotz aller Verpflichtung zu umfassender und wahrheitsgemäßer Nachrichtengestaltung unterschlugen unsere Qualitätsjournalisten dem deutschen Publikum, dass in dieser neuen Regierung Mitglieder der faschistoiden "Swoboda" die zweitgrößte Fraktion stellten; dabei war Swoboda noch kurz zuvor von EU und Bundesregierung als nationalistisch, chauvinistisch, russen- und judenfeindlich etc. bezeichnet worden. 

Als "starkes Signal gegenüber Moskau" stufte ARD-aktuell nun die Äußerung Kerrys ein und nicht als tatsächlich unbegründete, aggressive Unverschämtheit des US-amerikanischen Außenministers. So durfte der denn auch über ARD-aktuell in Befehlshaber-Pose drohen:

Wenn Russland nicht bereit ist, mit der Ukraine zusammenzuarbeiten, wie wir es uns wünschen, dann bleibt unseren Partnern absolut keine andere Wahl, als an unserer Seite zu stehen und sich an den Maßnahmen zu beteiligen, mit denen wir in den letzten Tagen begonnen haben, Russland politisch, diplomatisch und wirtschaftlich zu isolieren.

Wohlgemerkt: Das ereignete sich zu einem Zeitpunkt, als in Kiew eine Putschisten-Regierung am Ruder war und die Sezession der Krim noch gar nicht stattgefunden hatte. Den  strategisch und wirtschaftlich hochinteressanten Agrar- und Industriestaat Ukraine, mit 603.000 Quadratkilometern fast doppelt so groß wie Deutschland, wollte der Westen aber schon damals um jeden Preis sich selbst zuschlagen. Zu diesem Zweck sollte er aus der GUS herausgebrochen werden, der "Gemeinschaft Unabhängiger Staaten", die nach dem Zerfall der Sowjetunion entstanden war als eine Art Gegenstück zur EU. Das Vorhaben war als schwerer Schlag gegen die GUS-Führungsmacht Russland gedacht.

Der halbwegs belesene Zeitgenosse weiß: Der westliche Raubzug in den GUS-Bereich hinein ist in vollem Gange. Die Ukraine, einst als "Kornkammer der Sowjetunion" gewürdigt, ist bis auf ihren aufständischen Osten der EU assoziiert und dem Zugriff kapitalstarker Spekulanten und Landräuber ausgeliefert.

Der Rest der Putsch-Geschichte ist ebenfalls erinnerlich: Kanzlerin Merkel beteiligte sich sogleich an der Russenhatz und war damit Washington zu Diensten – obwohl doch gerade erst bekannt geworden war, dass ihr und unser aller Imperator USA seinen geheimdienst NSA mit der großflächigen Ausspähung Deutschlands beauftragt hatte, das Abhören des Kanzlerinnen-Telefons inbegriffen. Was haben wir alle gelacht und gelästert über unsere regierende "Änschii":

Abhören von Freunden, das geht gar nicht.  

Der Dummspruch war ja schon fast so begnadet wie der ihres politischen Ziehvaters Helmut Kohl:

Entscheidend ist, was hinten rauskommt.

Wie der Herr, so's Gescherr: Die gleichgeschalteten deutschen Massenmedien, voran der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit der Tagesschau an der Spitze, beteten bloß nach, was ihnen die Kanzlerin an russophoben Boshaftigkeiten vorgab. Es schlug die große Stunde der Agitatoren; Trickser wie Thomas Roth, Manipulateure wie Udo Lielischkies, Tränendrüsen-Masseusen wie Golineh Atai, Scharfmacherinnen wie Ina Ruck, Russophobe wie Birgit Virnich und NATO-Schleimer wie Silvia Stöber durften ungehemmt ihrem Gewerbe nachgehen: Professionelle, für die der vormalige US-Unterstaatssekretär und heutige Publizist Paul C. Roberts die Bezeichnung "Presstituierte" (engl. presstitudes) ersann. Hochbezahlt für Täuschung, Agitation und Volksverblödung.

Ihre Linie wird von ARD-aktuell bis heute beibehalten. Dafür sorgen schon die zuständigen WDR-Vorturner dieser Journaille: Tom Buhrow, Intendant und Aktivist bei der Atlantikbrücke, Jörg Schönenborn, Programmdirektor, ebenfalls Atlantikbrückler und andere mehr.

Außerhalb des vorgegebenen Ukraine-Narrativs erfährt die deutsche Öffentlichkeit nichts Wesentliches über Politik und Alltag in unserem Nachbarstaat. Keine Hintergründe, nichts Erhellendes. Nichts über die eher schlampige und vertuschende als kriminologische Arbeit zur Klärung der Scharfschützen-Morde auf dem Maidan im Februar 2014, obwohl Filmmaterial über die Gräuel der Maidan-Täter und ihrer Hinterleute rund um den Globus kursierte; was beispielsweise der Sender Russia 1veröffentlichte, unterschlug die Tagesschau glatt. Russische Quellen sind für die ARD-aktuell tabu. Der Grundsatz, Informationen unabhängig von ihrer Herkunft auf Stichhaltigkeit und Nachrichtenwert zu prüfen und entsprechend zu verwerten, gilt für die vorgeblich "unabhängige" Tagesschau schon längst nicht mehr.

Nichts Adäquates über das grauenhafte Massaker im Gewerkschaftshaus in Odessa (die Mörder werden bis heute nicht strafrechtlich verfolgt) oder über den Abschuss der malaysischen Passagiermaschine mit der Flugnummer MH17; der wird – bisher ohne einen einzigen substanziellen und unwiderleglichen Beweis – den Ost-Ukrainern oder gleich gar den Russen in die Schuhe geschoben.

Kein Wort findet sich bei ARD-aktuell über das Verhältnis des neuen ukrainischen Präsidenten Selenskij zum russischen Staatspräsidenten Putin. Als ob es uns westliche Nachbarn überhaupt nichts anginge und das seit Jahren in Kiew herrschende Chaos nicht zu wesentlichen Anteilen von der Regierung in Berlin mitfinanziert und mit zu verantworten wäre.

Maidan

Was ist die informationelle Leistung der Tagesschau im Bezug auf die Ukraine? Die Redaktion verweigert bis heute den Widerruf und die längst fällige Korrektur der mit ihrer entscheidenden Mithilfe verbreiteten Lüge, dass das Ancien Régime unter Viktor Janukowitsch versucht habe, den "Aufstand der Demokraten" auf dem Maidan niederschießen zu lassen. Am 21. November 2014 behauptet die Redaktion wahrheitswidrig:

... über einhundert erschossenen Demonstranten, deren Tod im Februar zum Ende der Janukowitsch-Herrschaft führte. Nachdem die Demonstranten am 20. Februar auch mit scharfen Waffen das Regierungsviertel zu stürmen versuchten, schossen Spezialeinheiten gezielt auf sie. Am Tag danach floh Janukowitsch aus Kiew.

Trotz aller Zuschauerproteste, Herkunft und Auftraggeber der Mörder seien doch gänzlich unbekannt, und es sei unseriös, von "Spezialeinheiten" zu reden und zu unterstellen, die hätten im Auftrag Janukowitschs auf Demonstranten geschossen: ARD-aktuell nahm ihre beweislosen Beschuldigung nicht zurück. Die ausweichende und faule Ausrede des stellvertretenden WDR-Chefredakteurs Udo Grätz:

Der Tatsache, dass die Schuldigen der Gewaltakte auf dem Maidan nicht zweifelsfrei ermittelt wurden, widerspricht der Bericht also nicht, wenn er auch eine Bewertung hinsichtlich der Hauptverantwortung vornimmt.

Die Tagesschau-Leute wussten einfach nichts, aber eine "Bewertung" erlaubten sie sich bedenkenlos, obwohl sich das jedem seriösen Journalisten verbietet. Der leitende Redakteur Grätz verteidigt die Schweinerei, er fühlt sich ersichtlich über Publikumskritik erhaben.

Zum Beleg für die "Qualität" eines hetzerischen Beitrags des Moskau-Korrespondenten Udo Lielischkies zitierte Grätz in seinem Rechtfertigungsschreiben übrigens aus zwei vorgeblich "seriösen" Quellen: Osteuropa, Berliner Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde e. V. (18), einer Vereinigung, die nicht bekannt ist für kritische Distanz zur Regierungslinie, wohl aber für ihre sowjet- und russlandfeindliche Tradition; vergleichbar Spiegel online, die BILD-schöne Internetausgabe des ehemaligen Nachrichtenmagazins. Womit haben wir es hier zu tun? Mit purem Hörensagen, jeder beruft sich auf die Behauptungen des anderen, und alle zusammen verkaufen das Produkt dann als Tatsachenbericht.

Die haltlose und oberflächliche Propagandatour der gleichgeschalteten transatlantischen Massenmedien – deutscher öffentlich-rechtlicher Rundfunk inklusive – rief allerdings auch international renommierte Wissenschaftler auf den Plan. Ivan Katchanovski, kanadisch-ukrainischer Professor der Universität Ottawa, untersuchte das Kiewer Blutbad des 20. Februar 2014 penibel. In monatelanger Recherche wertete er Zeugenaussagen, Filmmaterial und Funkübertragungen aus, um den Massenmord im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt zu rekonstruieren. Sein Ergebnis: Militante Maidan-Demonstranten waren die Hauptbeteiligten an der Schießerei. Sie leiteten das Blutbad mit Schüssen auf die Polizei ein und feuerten dann auch auf die eigenen Leute. Von mindestens zwölf Gebäuden in der Hand der Maidan-Protestler sei koordiniert in die Menschenmenge geschossen worden. Die (damals noch) neue Regierung habe die anschließende Untersuchung beeinflusst und deren Ergebnisse verfälscht, sie halte zudem wichtiges Beweismaterial bis heute zurück.

ARD-aktuell ist solchen Expertisen nicht nachgegangen, hat nie darüber berichtet, kein Interview mit Katchanovski und ähnlich kritischen Fachleuten geführt. Sie hat nie versucht, ihren Anfangsverdacht und die daraus gefolgerten Beschuldigungen mit neueren und besseren Erkenntnissen abzugleichen. Unter dem Titel "ARD im Tiefschlaf: Das seltsame Desinteresse an einer Aufklärung der Maidan-Morde" wies Paul Schreyer im Internet-Magazin Telepolis auf weitere Merkwürdigkeiten bei ARD-aktuell hin. Die Redaktion ignoriere sogar einen Maidan-Heckenschützen, der sich 2016 öffentlich damit brüstete, am Tag des Blutbads vom Konservatorium aus mehrere Polizisten erschossen zu haben:

Ich schoss ihm ins Genick.

Ende 2017 traten im italienischen Fernsehen mehrere Georgier mit dem Geständnis ihrer Teilnahme an den Scharfschützenmorden an die Öffentlichkeit. Sie bekundeten, von einem ukrainischen Oppositionspolitiker angestiftet und konkret vor Ort von einem US-Amerikaner befehligt worden zu sein, dem Ex-Scharfschützen einer US-Eliteeinheit. Da endlich bequemte sich auch die Tagesschau zu einer leicht korrigierenden Berichterstattung. Jedoch nicht für ihr TV-Millionenpublikum, sondern wie üblich bloß in ihrer unauffälligen Lesenische im Internet namens tagesschau.de, unter der Rubrik, die großsprecherisch als "Faktenfinder" etikettiert ist. Selbst dort mussten aber noch Abwertungsversuche und Zweifel eingestreut werden, im Interesse der eigenen, ursprünglichen Falschberichterstattung. Silvia Stöber schrieb:

Mangels belastbarer Belege bleibt ungeklärt, ob die drei Georgier während der Maidan-Proteste überhaupt in Kiew waren und ihre Behauptungen damit stimmen können. Viele Medien verbreiteten diese Behauptungen aber, ohne diese selbst noch einmal zu prüfen oder weitere Recherchen anzustellen.

Co-Autoren dieser Zeilen waren zwei georgische Journalisten, die in Verbindung zum Umsturz-Spezialisten George Soros stehen. Die Open Society Foundation des Multimilliardärs und Währungsspekulanten hatte unmittelbar nach dem Maidan-Putsch das Propaganda-Institut Crisis Media Center gegründet, mit dem erklärten Ziel, die Sichtweise der neuen ukrainischen Regierung mit professionellen Werkzeugen zu verbreiten.

Präziser lässt sich nicht auf den Punkt bringen, dass Profis die Regierungspropaganda für den Vertrieb via Massenmedien produzieren sollten. Ausführende waren so fragwürdige Journalisten wie besagte Silvia Stöber, deren Affinität zum obskuren Soros in einem anderen tagesschau.de-Beitrag deutlich wurde. Darin schleimte sie sich über den globalen Strippenzieher von Umsturzversuchen in verharmlosender und liebedienerischer Art aus. Fakten über Soros als Pate globalen Unrechts sucht man in dem Aufsätzchen vergeblich.

Als das deutsch-russische Magazin Sputnik schließlich, um auch letzte Zweifel an der Echtheit der georgischen Tatbeteiligten zu beseitigen, deren Flugtickets nach Kiew präsentierte – ausgestellt von einer deutschen Fluglinie – , sagte der damalige ARD-aktuell-Chefredakteur Dr. Kai Gniffke zwar eine entsprechende Nachrecherche zu. Allerdings folgenlos, wie sich zeigte.

Obwohl die Morde auf dem Maidan das Schlüsselereignis für die Veränderung der globalen Architektur darstellen und für das Verständnis der ukrainischen Gegenwart sowie für ein sachgerechtes Urteil über die deutsche Regierungspolitik wesentlich sind, erfüllt die ARD-aktuell ihre gesetzliche Informationspflicht nicht. 

MH-17

Am 17. Juli jenes schicksalsträchtigen Jahres 2014 wurde über der Ukraine das Passagierflugzeug der Malaysia Airlines mit der Flugnummer MH-17 abgeschossen. Es war auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur. Alle 298 Insassen starben. Das schreckliche Geschehen diente schon unmittelbar danach dazu, erst die sogenannten "prorussischen Separatisten" der Ostukraine für den Abschuss verantwortlich zu machen und schließlich auch Russland direkt zu bezichtigen. 

Die Ermittlungsarbeit der zuständigen niederländisch-multinationalen Expertenkommission ist ein durchgehend politisch akzentuiertes Verwirrspiel; es spricht rechtsstaatlich-strafprozessualen Regeln Hohn. So haben die Ukrainer ein Vetorecht, mit dem sie die Auswertung von Beweismaterial und Veröffentlichung von Untersuchungsergebnissen blockieren können. Die Malaysier, obwohl eine ihrer Maschinen betroffen war und 43 der Opfer Malaien sind, durften sich hingegen erst spät und nach vielen Protesten an der Kommission beteiligen.

Kaum überraschend: Das Verbrechen eignete sich und wurde auch dazu benutzt, das Narrativ vom "bösartigen Russen" zu beflügeln. Obwohl es dafür bis zur Stunde keine journalistisch oder gar juristisch vorzeigbare Beweisführung gibt, durfte Moskau-Korrespondentin Ina Ruck in "ich weiß alles"-Manier ihrem Affen Zucker geben und sogar Schuldige im Umfeld des russischen Präsidenten Putin suchen.

ARD-aktuell verschweigt hingegen der deutschen Öffentlichkeit bis heute, dass die malaysische Regierung zu dem Schluss gekommen ist, Zielsetzung der Untersuchungskommission in Den Haag sei nicht die unparteiische Aufklärung des MH17-Abschusses, sondern Russland zu verurteilen. Akash Rosen von der malaysischen Firma IT Forensic Services hatte dem ukrainischen Geheimdienst SBU vorgeworfen, Tonaufnahmen der ukrainischen Luftraumüberwachungen manipuliert zu haben. Ähnliche Vorbehalte wie Malaysia hegt anscheinend auch Belgien, jedenfalls beteiligt es sich nicht an den Versuchen, die Untersuchungskommission auf transatlantische und russlandfeindliche Einseitigkeit festzulegen.

All das bleibt wie immer dem Tagesschau-Publikum vorenthalten. Über Russland Belastendes wird ausführlich und redundant berichtet, über die Gegenposition jedoch fällt kein Wort.

Faktenfinder

Dröhnendes Schweigen herrschte bei ARD-aktuell lange über ein Telefongespräch des neuen ukrainischen Präsidenten Selenskij mit dem russischen Präsidenten Putin Mitte Juli. Warum die Selbstzensur? Weil das politisch sehr bedeutsame Ereignis einfach nicht ins Bild vom bösen Russen passen will, der lieber schießt als mit sich reden zu lassen? Wie peinlich, dass Selenskij selbst einen Blick hinter die Kulissen ermöglichte: Er gab bekannt, dass viele Partner-Staaten der Ukraine (auch Merkel-Deutschland gehört dazu) ihm von dem Telefonat mit Putin abgeraten hätten.

Wer alles hier nicht gesprächswillig ist, lässt sich ahnen; wer ums Verrecken nicht sauber drüber berichten will, weiß man im Voraus.

Die ARD betreibt mit besonderem Personal- und Kostenaufwand das erwähnte Online-Portal Faktenfinder. Ihrem Selbstverständnis gemäß soll es eine Initiative zur Aufdeckung falscher Nachrichten und zu deren Richtigstellung sein. Praktisch erweist es sich als AgitProp-Instrument, das allzu häufig Analyse und Information mit purer Meinungsmache ersetzt. Die um mehrere Tage verspätete Nachricht des Faktenfinders über das Telefongespräch Putin-Selenskij ist symptomatisch. Nicht zum ersten Mal serviert Silvia Stöber hier faktenfreie Meinung als unwiderlegliche Faktenlage.

Obwohl Putin bereits vor dem 15. Juli mit Selenskij gesprochen hatte, schrieb Stöber am 21. Juli 2019 in der für sie typischen gehässig-abfälligen Art:

Putins Freund in der Ukraine und seine Aktivitäten heizen die innenpolitische Lage insgesamt an, während Selenskij weiter auf einen Termin bei Putin warten muss.

Hinter dem Brett vor ihrem Schädel war der Autorin offensichtlich entgangen, dass die beiden Präsidenten bereits eine Woche zuvor miteinander konferiert hatten. Eine tagesschau.de-Faktenfinderin auf der erfolglosen Suche nach ihr passenden Fakten und mit sehr überschaubarem Einfallsreichtum ...

Es bleibt der ARD-aktuell unbenommen, sich mit unauffällig begabten Schreibern zu versehen und mit Rohrkrepierern des journalistischen Anstands. Möge sie also getrost Meinungsjournalisten wie Patrick Gensing und NATO-Fans wie Silvia Stöber übermäßig dafür bezahlen, Informationsmaterial angeblich objektiv und ohne Tricksereien zu sichten und auszuwerten. Dem Zuschauer bleibt es vorbehalten, die Quittung für die nicht erbrachte Gegenleistung auszustellen. Der "Faktenfinder" darf inzwischen nicht einmal mehr 20.000 Besucher täglich begrüßen, Tendenz weiter fallend...

Das Autoren-Team:

Friedhelm Klinkhammer, Jahrgang 1944, Jurist. 1975 bis 2008 Mitarbeiter des NDR, zeitweise Vorsitzender des NDR-Gesamtpersonalrats und des ver.di-Betriebsverbandes sowie Referent einer Funkhausdirektorin.

Volker Bräutigam, Jahrgang 1941, Redakteur. 1975 bis 1996 Mitarbeiter des NDR, zunächst in der Tagesschau, von 1992 an in der Kulturredaktion für N3. Danach Lehrauftrag an der Fu-Jen-Universität in Taipeh.

Anmerkung der Autoren:

Unsere Beiträge stehen zur freien Verfügung. Wir schreiben nicht für Honorar, sondern gegen die "mediale Massenverblödung" (in memoriam Peter Scholl-Latour). Die Texte werden zumeist auf der Seite https://publikumskonferenz.de/blog dokumentiert