von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam
"USA töten Al-Kaida-Terroristen", hieß es auf der Themenliste der ARD-aktuell am 6. Januar 2019. In der 20-Uhr-Tagesschau selbst war die Hintergrundgrafik zur Meldung etwas konkreter betitelt: "US-Militär tötet Al-Kaida-Terroristen". Titel und Text waren entweder von blanker Ignoranz diktiert oder sogar absichtliche Nachrichtenfälschung im Dienste transatlantischer Propaganda. Sie stehen in krassem Widerspruch zu nationalem und internationalem Rechtsverständnis, zu den Grundregeln des Rundfunkstaatsvertrags und zu den "anerkannten journalistischen Grundsätzen." Offiziell blieb das unbeanstandet, und korrigiert wurde es bisher auch nicht, Motto: "Das macht doch nichts, das merkt doch keiner."
Nachdenken kostet Zeit, und Zeit ist Geld. Wo Information als Ware behandelt, am Fließband verarbeitet und als Massengut angeboten wird – "ARD-Nachrichten im Viertelstundentakt", "Nachrichten in 100 Sekunden" – da bleibt journalistische Qualität auf der Strecke. Zwangsläufig kommen Meldungen heraus wie diese:
Das US-Militär hat einen Al-Kaida-Terroristen getötet, der maßgeblich für den Anschlag auf das Kriegsschiff USS Cole im Jahre 2000 verantwortlich sein soll. Das bestätigte heute Präsident Trump. Jamal al Badawi wurde demnach am Neujahrstag mit einem gezielten Luftangriff im Jemen getötet. Bei dem Sprengstoffanschlag auf die USS Cole’in der jemenitischen Hafenstadt Aden waren 17 US-Soldaten ums Leben gekommen."
Der entsprechende Beitrag für die Internet-Ausgabe tagesschau.de am 7. Januar war nur etwas ausführlicher, aber ebenso dümmlich:
Er soll den Anschlag auf den US-Zerstörer USS Cole’im Jahr 2000 in der jemenitischen Hafenstadt Aden geplant haben. Nun ist der mutmaßliche Al-Kaida-Terrorist al Badawi laut US-Präsident Trump bei einem Luftangriff getötet worden (...) Die USA halten den Mann für den Drahtzieher des Terrorangriffs (...) vor mehr als 18 Jahren (...) Trump schrieb nun auf Twitter: 'Unser großartiges Militär hat den Helden Gerechtigkeit widerfahren lassen, die wir bei dem feigen Angriff auf die USS Cole verloren haben und die dabei verwundet wurden.'"
Dieser Beitrag entspricht auch nicht annähernd den qualitativen Anforderungen des Rundfunkstaatsvertrages an das ARD-aktuell-Informationsangebot per Internet. Davon wird behauptet, es biete
den Rundfunkteilnehmern hochwertige Inhalte der ARD zur zeitsouveränen Nutzung und ohne zusätzliche Kosten für die gebührenfinanzierten Inhalte. (...) Angebotsstrukturierung und Themenauswahl folgen den Kriterien der umfassenden Information, der Themenvielfalt und Programmqualität."
Was an dem Internet-Tagesschau-Beitrag "hochwertig" sein könnte, erschließt sich nicht einmal auf den dritten Blick.
Werte Qualitäsjournalisten, werte, möglicherweise etwas begriffsstutzige Rundfunkräte: Das hier angesprochene Angebot der ARD-aktuell missachtet die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des zivilisierten Zusammenlebens. Es verstößt gegen die "anerkannten journalistischen Grundsätze", von denen im Rundfunkstaatsvertrag die Rede ist. Das widerwärtige Getwitter Trumps kommentarlos wiederzugeben setzt dem Ganzen die Krone auf. Der Mann ist allerdings nicht der erste US-Präsident, der seine Unfähigkeit beweist, zwischen Rachedenken und Gerechtigkeitssinn zu unterscheiden.
Doch es sollen uns hier nur die grundlegenden Fragen bewegen.
In keiner der Meldungen der ARD-aktuell zum Thema gibt es den kleinsten Hinweis darauf, dass es sich bei der Tat der US-Amerikaner um Mord gehandelt hat. "Getötet" ist ein Verb, das nicht juristisch qualifiziert, und dem seriösen Journalisten verbietet sich solche Indifferenz gegenüber einem Verbrechen. Der vorgeblich "sachlich-neutrale", tatsächlich aber propagandistisch verlogene Wortgebrauch offenbart asoziale Gedankenlosigkeit, typische Merkmale des deutschen Mainstreams – und Kennzeichen für den Qualitätsjournalismus des Chefredakteurs Dr. Gniffke und seiner Leute.
Dem mörderischen "gezielten Luftangriff" der USA und der neutralistischen indifferenten Berichterstattung darüber liegt Rechtsnihilismus zugrunde, der "alle positiven Zielsetzungen, Ideale, Werte und Normen bedingungslos ablehnt"? Denn auch für einen Araber, den das US-Imperium für einen Terroristen ausgibt, gilt erstens die Unschuldsvermutung bis zum Beweis seiner Schuld. Zweitens sind extralegale Hinrichtungen für sich genommen bereits Staatsverbrechen. Drittens sind solche Untaten, wenn von Militärs im Ausland exekutiert, als Kriegsverbrechen zu verurteilen.
Auf Gewaltanwendung bei inländischen Demonstrationen (man denke an die Ausschreitungen beim G20-Gipfel in Hamburg) oder bei Angriffen auf Politiker (wie jüngst in Bremen) reagiert der deutsche politisch-mediale Komplex mit "Abscheu, Entsetzen und Empörung" (Standardfloskel). Auch die ARD-aktuell mutet dem Zuschauer dann alle erdenkliche Ausführlichkeit zu bei der Wiedergabe banaler Bekundungen von Politikern und sonstigen Geistesgrößen:
Gewalt darf niemals ein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein – völlig egal, gegen wen, oder was die Motive dafür sind."
erklärte beispielsweise Außenminister Heiko Maas, ohne zu berücksichtigen, welch mörderisches Maß an Gewalt er selbst und seine Kabinettskollegen beispielsweise mit ihren Syrien-Sanktionen ausüben. Wo irgend möglich, schlägt der Mann sein Pfauenrad. Bei Kriegs- und Gewaltverbrechen der USA und der größeren NATO-Staaten hält er hingegen wohlweislich seine lose Klappe. Regierungslautsprecher Dr. Gniffke tut es ihm diesbezüglich übrigens gleich und verharmlost beispielsweise den Massenmord der westlichen Allianz im Jemen als "Militäraktion".
Der Widerspruch zum Selbstverständnis, das die Herrschaften vor sich hertragen und für unser Gemeinwesen reklamieren, kann krasser nicht sein. Rechtsstaatlichkeit ist das Sanktuarium unserer "Westlichen Werte-Gemeinschaft", der WWG. Vor ihm zelebriert sie ihre vorgebliche moralische Überlegenheit gegenüber allen anderen Gesellschaften. Kern ihrer nationalen Rechtssysteme ist die Unschuldsvermutung: Ein Angeklagter hat so lange als unschuldig zu gelten, bis er vor einem zuständigen Gericht überführt und für schuldig befunden worden ist.
Wesentlich ist darüber hinaus, wer jeweils zuständig und damit befugt ist, über Recht und Unrecht zu urteilen. Allzuständigkeitsgebaren ist Rechtsbruch, unvereinbar mit nationalen und internationalen Rechtsprinzipien. Die Anmaßungen Washingtons sind rechtlich haltlos und müssten jederzeit und von jedermann demgemäß gewichtet werden, auch von der Tagesschau.
Die Unschuldsvermutung gilt auch für alle diejenigen, die unerbittliche Gegner der weißen Herren und ihrer "Wertegemeinschaft" sind. Im Gegensatz dazu die US-Praxis: Wer von der Administration in Washington als "Terrorist" eingestuft wird und in einem Land wie Afghanistan, Pakistan, Jemen oder Somalia lebt, kommt auf die schwarze Liste. Er wird für vogelfrei erklärt, der Folter unterzogen wie die Guatanamo-Häftlinge – oder gleich zum Abschuss freigegeben. Die Todgeweihten werden von den Auftragsmördern der CIA oder der US-Air Force liquidiert. Verantwortliche Politiker und Militärs fungieren als Ankläger, Richter und Henker in Personalunion.
Das ist Staatsterrorismus, und den beschweigen Tagesschau, Tagesthemen & Co. hartnäckig.
Der "Krieg gegen den Terror" rechtfertige das "gezielte Töten", heißt es seit 17 Jahren. Die ARD-aktuell strickt fleißig an dieser Propagandamasche mit. Die multinationale Sippschaft der Meinungsmacher versucht seit 9/11, seit dem Anschlag auf die Zwillingstürme in New York, den Eindruck zu erwecken, es sei eine legale Kriegshandlung und sogar legitim, vermeintliche Terroristen nach Belieben umzubringen.
Der "Krieg gegen den Terror" – "War on Terror" – ist jedoch nur eine von dem Massenmörder George W. Bush begründete, rechtsverleugnende Inszenierung.
Terroristen sind Individuen, und selbst wenn sie sich in Gruppen organisieren, macht sie das noch lange nicht zu einer Nation. Auch der sogenannte Islamische Staat ist keine solche rechtsfähige Entität. Krieg jedoch ist – worauf der US-Kognitionsforscher George Lakoff hinweist – eine militärische Auseinandersetzung zwischen Nationen, zu denen Al-Kaida unzweifelhaft nicht zählt.
Die fraglichen Tagesschau-Berichte lassen nicht erkennen, dass die USA allenfalls einen Auslieferungsantrag an den Jemen hätten richten und gegebenenfalls den Mann vor ein US-amerikanisches Gericht hätten stellen dürfen. Die ARD-aktuell referierte nur vollkommen unkritisch und empathiefrei, dass das US-Regime Rache nahm, weil 17 USS Cole-Matrosen Opfer eines Terroranschlags geworden waren.
Für eine solche Primitivität spricht auch die Vorgeschichte: Zwei der vermeintlichen Cole-Attentäter waren 2004 im Jemen zum Tode verurteilt worden, einer von ihnen war der jetzt von der US-Luftwaffe umgebrachte Jamal al-Badawi. Das zweite – in Abwesenheit erlassene – Todesurteil betraf Abd al-Rahim al-Nashiri; er war nach Guatanamo verschleppt und dort gefoltert worden. Einen US-Prozess gegen ihn hat es bis heute nicht gegeben.
Das Todesurteil gegen al-Badawi war im Februar 2005 von einem jemenitischen Gericht aufgehoben und in 15 Jahre Haft umgewandelt worden. Im Oktober 2007 wurde er vorzeitig freigelassen; er habe, so heißt es, dem Terrorismus abgeschworen. Nun jedoch ereilte ihn das gleiche Schicksal wie das eines weiteren mutmaßlichen "Drahtziehers": Abu Ali al-Harithi war bereits 2002 von der CIA im Jemen mittels einer von einer Drohne MQ-1 Predator abgefeuerten Luft-Boden-Rakete AGM-114 Hellfire ermordet worden.
Mit der Ermordung Jamal al-Badawis setzte die US-Administration sich unter Missachtung des Völkerrechts und US-eigener rechtsstaatlicher Prinzipien über das Urteil des Gerichts eines souveränen Staates hinweg: eine pure Machtdemonstration. Die Tagesschau erwähnt am 6. und am 7. Januar 2019 aber mit keinem Wort, dass die USA mit Recht und Gesetz wieder einmal Schindluder trieben.
Wären Terroristen anerkanntermaßen eine Kriegspartei, dann wären ihre Angriffe auf militärische Einheiten und Einrichtungen nicht zu beanstanden: Im Krieg ist das reguläre Töten von Soldaten der Gegenseite erlaubt. Aber kein zivilisierter Mensch ist bereit, Attentate von Terroristen als legale Kriegsakte zu betrachten und den Verbrechern damit einen "Kombattantenstatus" einzuräumen. Terroristische Verbrecher sind füglich strafrechtlich zu verfolgen, vorzugsweise mit polizeilichen Mitteln. Das Völker-Kriegsrecht gilt für den Umgang der Staaten untereinander, nicht gegenüber Terroristen.
Jamal al-Badawi durfte deshalb wegen des Verdachts der Anstiftung zum Selbstmord-Anschlag auf die USS Cole nicht einfach nach Kriegsrecht "getötet" werden. Erlaubt war nur, ihn nach den Regeln des Strafrechts und im Rahmen entsprechender internationaler Abkommen zu verfolgen – unter Beachtung der Allgemeinen Menschenrechte:
Anspruch auf diese Rechte hat jedermann ohne Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand."
Die UN-Menschenrechtscharta hat zwar immer noch nicht die Rechtsverbindlichkeit eines internationalen Vertrages, aber für uns in Deutschland und in ganz Europa ist sie Verfassungsrecht. Sie unterstreicht vor allem
das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person, Verbot der Sklaverei und der Folter, Gleichheit vor dem Gesetz, Schutz vor willkürlicher Verhaftung und Anspruch auf ein faires, öffentliches Verfahren vor einem unabhängigen Gericht." (ebd.)
Der mörderische Staatsterror setzt aber auch noch eine weitere bedeutende Rechtsnorm außer Kraft: Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit.
Das Londoner Bureau of Investigative Journalismführt allein für Pakistan und den Zeitraum 2004 bis 2014 mindestens 400 US-amerikanische Drohnenbombardements auf. Veranlasser von 349 dieser hinterhältigen, mörderischen Attacken war der Friedensnobelpreisträger Barak Hussein Obama. Dabei wurden – je nach Schätzung – zwischen 2.379 und 3.851 Menschen umgebracht. Unter den Opfern waren erweislich viele unbeteiligte Zivilisten, Frauen und sogar Kinder. Gerade einmal vier Prozent der Toten konnten aufgrund verfügbarer Quellen als Mitglieder von Al-Qaida identifiziert werden. Die Behauptung, es würden mit nahezu absoluter Sicherheit identifizierte, hochrangige Mitglieder des Al-Kaida-Netzwerkes getroffen, war und ist eine Propagandalüge.
"Gezielte Tötungen", speziell die von Flugzeugen aus, führen zu einer Entgrenzung des Krieges: In räumlicher Hinsicht, weil militärische Operationen von den regulären Schlachtfeldern in den zivilen Lebensraum hineinwuchern. Rechtlich insofern, als sie Grauzonen schaffen, die absolute Geltung von Rechtsnormen relativieren und sie dadurch aushöhlen. Sie vermindern schließlich sogar das individuelle Rechtsbewusstsein und zersetzen damit den Kitt, der demokratisch verfasste Gesellschaften zusammenhält.
Das ist auch in Deutschland deutlich erkennbar. Die widerwärtige, fundamental antidemokratische Praxis der "westlichen Führungsmacht" USA, ihre Gegner heimtückisch und ohne Rücksicht auf sonstige Verluste per Drohne abzuknallen, weckt Nachahmungswünsche bei den deutschen Stahlhelm-Fraktionen. Sie scheuen sich nicht, jetzt ebenfalls Drohnen für die Bundeswehr zu verlangen. Zwar deklamierte ein SPD-Regierungsmitglied in Berlin
Über diese Maßnahmen ( Drohnenbeschaffung) soll erst nach ausführlicher völkerrechtlicher, verfassungsrechtlicher und ethischer Würdigung auf der Grundlage einer gesonderten Vorlage entschieden werden."
Aber wer sich auf eine solche Diskussion einlässt, zeigt bereits, dass er Völkerrecht, Verfassungsrecht und ethische Grundsätze für relative Maßgaben hält. Er ist bereit, ihre Normen der Zweckmäßigkeit unterzuordnen.
Hier ist jedoch nicht weiter von Politikern gleich welcher Partei, sondern immer noch vom ARD-aktuell-Qualitätsjournalismus zu reden. Er erzeugt in unserer Gesellschaft mit seiner Indifferenz gegenüber dem imperialen Staatsterrorismus ein Quasi-Einvernehmen, die Praxis des "gezielten Tötens" wird als Alltäglichkeit vermittelt. Die Redaktion befolgt bei der Nachrichtengestaltung propagandistische Sprachregelungen, sogar bei Berichten über staatlich organisierten Mord. Und die Rundfunkräte, zuständig für kritische Nachkontrolle der Sendungen, schnarchen mit Schlafmütze über Augen und Ohren vor sich hin.
Kein Wunder, dass die miese Entwicklung bis in den personalpolitischen Bereich wirkt. Klassischer Drehtür-Effekt: Der ARD-Journalist und "Militärexperte" Christian Thiels wechselt ins Verteidigungsministerium. Er wird Mitte Februar Chefredakteur der Bundeswehrredaktion, verantwortlich nicht nur für sämtliche Publikationen der Streitkräfte, sondern auch für die Außendarstellung des Ministeriums auf dessen diversen Webseiten. Da kann er dann weitermachen wie gehabt.
Der Qualitätsjournalismus ist längst in die Güllegrube des Regierungskonformismus geplumpst. Seine Heloten haben es nicht einmal gemerkt.
RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Das Autoren-Team:
Friedhelm Klinkhammer, Jahrgang 1944, Jurist. 1975 - 2008 Mitarbeiter des NDR, zeitweise Vorsitzender des NDR-Gesamtpersonalrats und des ver.di-Betriebsverbandes sowie Referent einer Funkhausdirektorin.
Volker Bräutigam, Jahrgang 1941, Journalist. 1975 - 1996 im NDR, zunächst in der ARD-Tagesschau, nach 1991 in der NDR-Hauptabteilung Kultur. Danach Lehr- und Forschungsauftrag an der Fu-Jen-Uni Taipeh.
Anmerkung der Autoren:
Unsere Beiträge stehen zur freien Verfügung. Wir schreiben nicht für Honorar, sondern gegen die "mediale Massenverblödung" (in memoriam Peter Scholl-Latour). Die Texte werden auf der Seite https://publikumskonferenz.de/blog dokumentiert.