von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam
Die Berliner Regierung guckt weg und beschäftigt sich höchst intensiv mit sich selbst. Was also tut ein gestandener Qualitätsjournalist für ARD-aktuell, wenn sich die Berichte häufen, dass Putin und Trump sich am 16. Juli in Helsinki treffen und tatsächlich miteinander reden wollen? Wer gibt nun Anleitung? Was soll die Tagesschau ihren täglich gut zehn Millionen TV-Zuschauern darüber vorsetzen, dass US-Sicherheitsberater John Bolton zur Vorbereitung des Gesprächsrahmens als antirussischer Saulus nach Moskau reiste – und als putinverstehender Paulus nach Washington heimkehrte? Richtig geraten: Echte ARD-aktuell-Qualitätsjournalisten lassen das Thema erst mal weg. Sicherheitshalber.
Weltweit wurde umfassend über Boltons Reise berichtet. Er wurde vom russischen Präsidenten im Kreml empfangen, und die Bilder dieser überraschenden und ungewöhnlichen Begegnung flimmerten weltweit über die Bildschirme – nur nicht, wenn eine Sendung der ARD-aktuell in der Wunderlampe lief. In dieser Redaktion ist man es gewohnt, der Berliner Regierung nach dem Munde zu reden, aber die hatte doch grad gar keine Zeit!
Solange sie das Gipfeltreffen jedoch nicht ausdrücklich begrüßt, wird es samt seiner Bolton-Präliminarie eben auch von der Redaktion von ARD-aktuell nur recht unauffällig in der Internet-Ausgabe tagesschau.de erwähnt. Kein Wort in den TV-Nachrichtensendungen Tagesschau und Tagesthemen, tagelang kein Wort (vom 27. bis 30. Juni 2018).
Seriöse und umfassende Information sowie Filmberichte darüber zu liefern, überließen die Hamburger den ausländischen Medien. Wer ausführliche "westliche" Nachrichten darüber suchte, dass sich Putin mit Bolton über die Rahmenbedingungen des Präsidententreffens ausgetauscht hatte, musste die BBC oder einen US-amerikanischen Sender einschalten oder Zeitungen aufrufen.
Das Schweigen bei Dr. Gniffke und Co. setzte sich fort, als Trump den Besuch ganz formell bestätigte und nicht ausschloss, die Aufnahme der Krim in die Russische Föderation anzuerkennen. Auf die Frage von Reportern, ob er von der Verurteilung der "Annexion" abrücken wolle, antwortete Trump verschmitzt: "Das werden wir sehen." In Helsinki sei "nichts ausgeschlossen". "Ich werde mit Putin über alles sprechen".
Statt über diese erstaunliche Äußerung, ein Anzeichen von Diskussionsbereitschaft über Schritte zur globalen Entspannung, zu berichten, füllte ARD-aktuell ihr Millionenpublikum mit Pillepalle vom Boulevard ab: Schießereien in einer Zeitungsredaktion in den USA beispielsweise. Und mit Trivialitäten wie der, dass sich nun auch die AfD eine Parteistiftung zulegt, einen Schmiernippel, an dem künftig der Steuerzahler die Fettpresse anzusetzen hat; nicht zu vergessen die Gründung eines VW-Werkes in Ruanda, die Abwärtstendenz der Börsennotierungen von Dax- und Wall-Street-Werten.
Das Unterdrücken der Gipfel-Nachricht im deutschen Fernsehen hat System. Die russisch-amerikanischen Initiativen ignorieren den Rahmen der aggressiven deutschen Regierungspolitik. Hatte die Berliner Regierung doch gerade erst auf EU-Ebene dafür gesorgt, dass deren Russland-Sanktionen verlängert wurden. Die Bundesregierung hatte durchgesetzt, dass das korrupte ukrainische Regime erneut mit Euro-Milliarden verköstigt wird. Berlin will die Bundeswehr-Infrastruktur für Cyber-Kriege modernisieren – und wer jetzt "gegen wen denn?" fragt, kann seine Rückschlüsse aus der massiven Verstärkung der Bundeswehr-Präsenz an der russischen Grenze ziehen. Letztlich haben auch die deutschen und die EU-Sanktionen gegen die syrische Zivilbevölkerung einen stark antirussischen Akzent, wenn man ein Weilchen drüber nachdenkt.
Eine friedenspolitische Entwicklung zwischen den USA und Russland zwingt die aggressive deutsche Russlandpolitik erst ins Abseits und führt sie dann möglicherweise ad absurdum. Berlin ist einfach nicht auf Entspannung gepolt, obwohl die deutschen korporierten Massenmedien den gegenteiligen Eindruck zu erwecken versuchen – und obwohl eine beträchtliche Bevölkerungsmehrheit Feindseligkeit gegenüber Russland ablehnt.
Wie Merkel, Maas und die EU auf die US-amerikanisch-russische Initiative reagieren werden, ist noch unklar. Deshalb müssen Dr. Gniffke und Co auf ihre Direktiven warten. Und werden bei nächster Gelegenheit wieder hoch und heilig versichern, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk, speziell die ARD, keine Regierungströte sei.
Sie mögen sich trösten, die Dr. Gniffkes und ihre journalistische Entourage. Ihre Vorturner im Berliner Kabinett kriegen selbst auch keine vernunftbegründete Linie gegenüber Trump und Putin zustande. Als Diener jahrzehntelang unmissverständlicher transatlantischer Interessen hatten Merkel und ihr damaliger Koalitionspartner Gabriel vor der letzten US-Präsidentenwahl aufs falsche Pferd gesetzt. Bundespräsident Steinmeier lästerte über Trump, und als der schließlich gewählt war, kamen statt höflicher und diplomatisch gebotener Glückwünsche aus Berlin nur weitere arrogante Sprüche:
"Enge Zusammenarbeit ja - aber nur auf Basis der gemeinsamen Werte (...) Demokratie, Freiheit, Respekt vor dem Recht und der Würde jedes einzelnen Menschen, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung." Trump nahm diplomatische und politische Rache, wie bekannt. Seine besonders Deutschland gegenüber unnachgiebige Politik dürfte zu einem großen Teil das Echo auf die bornierte Nibelungentreue der Berliner gegenüber der grauenhaften Furie Hillary Clinton sein.
Die deutsche Öffentlichkeit erlebt deshalb schon seit fast zwei Jahren eine Medien-Kampagne gegen Donald Trump, die erstaunliche Parallelen zum Putin- und Russland-Bashing aufweist: die Dämonisierung eines Politikers mit allen geeigneten und ungeeigneten Mitteln. Oft geradezu mit Schaum vorm Maul wechselt Dr. Gniffkes "Qualitätstruppe” bruchlos von halbwegs seriöser Berichterstattung zum Gossenjournalismus, erweist sich zu sauberer und distanzierter Analyse politischer Vorgänge unfähig und anfällig für Hasspropaganda. Es wird manipuliert, weil man Trump nicht mag; das aber zeigt Ignoranz gegenüber dem journalistischen Auftrag und vollkommenen Mangel an Professionalität.
Der Publizist Prof. Dr. Ulrich Teusch hat in seiner Analyse "Lückenpresse" die Linien dieser inadäquaten Berichterstattung treffend beschrieben:
Erstens werden Nachrichten in ganz bestimmter Weise gewichtet. Zweitens werden Nachrichten gezielt unterdrückt. Drittens werden Nachrichten in tendenziöser Weise bewertet, das heisst, es wird mit zweierlei Maß gemessen, es gibt "Doppelstandards". Alle drei Aspekte hängen eng zusammen und verstärken sich wechselseitig. Wenn sie auf bestimmten Themenfeldern lange genug und mit ausreichender Intensität wirken, entstehen dominante Narrative, also große journalistische Erzählungen oder Deutungsmuster, in die dann alle neu einlaufenden Informationen eingeordnet werden können – oder eben auch nicht, so sie denn nicht ins Narrativ passen.
Bezogen auf Donald Trump, folgt ARD-aktuell dem Narrativ, er sei im Grunde ungeeignet für das Amt des US-Präsidenten, ein bloßer unflätiger Grobian:
Der US-Präsident hält sich an keine Regeln, Umgangsformen oder diplomatische Traditionen. Selbst für einen Politiker so etwas Elementares wie gesunder Menschenverstand ist Donald Trump fremd, sonst hätte er erkennen müssen, dass die USA auf lange Sicht einen hohen Preis zahlen, wenn sie ihre engsten Verbündeten behandeln wie Schulkinder. Die Welt des Donald Trump ist eine Welt der selbst erfundenen Legenden und Lügen. Unbequeme Wahrheiten will er nicht hören oder er versteht sie nicht.
Nur Nachrichten, die in diese Raster passen, finden Berücksichtigung in der Berichterstattung von ARD-aktuell. Das heißt: Ein gesprächsbereiter Entspannungspolitiker Trump passt nicht gut. Einer, der das militärische Drohpotenzial des Imperiums herzeigt, gegnerische Länder wie Syrien terrorisieren und mit Bomben bewerfen lässt und ganze Weltregionen mit Drohnen in die Unterwerfung prügelt und in diesem Geist auch von den Europäern höhere Rüstungsausgaben fordert, hingegen schon. In diesen Fällen wird vom Bashing abgesehen.
Wenn aber die zu "Bösewichten" abgestempelten Präsidenten Trump und Putin sich zusammentun könnten, dann herrschen unter stramm deutschen Qualitätsjournalisten Vollalarm und Verunsicherung. Die gewohnten propagandistischen Denkschablonen passen auf einmal nicht mehr.
So schweigen sie, die Qualitätsjournalisten. Ihren gesetzlichen Auftrag, "umfassend und vollständig über wichtige Ereignisse" zu berichten, ignorieren sie aus purer Feigheit. Und ihre Programm-Wächter, die Rundfunkräte, entsandt von den Gewerkschaften, Kirchen, Umweltverbänden, Arbeitgeberorganisationen und Parteien, demonstrieren ihre fachliche Unfähigkeit, begreifen offenbar nicht einmal, was da vor sich geht. Versager auf der ganzen Linie ...
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