WM-Erfolg verdrängt Stimmungsmache gegen Russland: Da hat Putin ja nochmal Schwein gehabt...

Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam

Für einen kurzen Moment der Freude über deutschen Fußballersieg im Spiel gegen Schweden war mal Pause. Aber man kann davon ausgehen: Die antirussische Feindbildpflege im öffentlich-rechtliche Rundfunk wird fortgesetzt.

von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam

"Putins Spiele"(!): Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hat gegen Schwedens Team doch noch gewonnen, in letzter Sekunde. Wenigstens für einen unbeschwerten, fröhlichen Augenblick während dieser Fußball-Weltmeisterschaft war in Deutschland keine Zeit für russophobe Hetze. Doch dass diese wiederaufleben wird, ist angesichts der Verhältnissein der deutschen Medien-Welt so sicher, wie der "russische Hacker" eine Hauptrolle im transatlantischen Propagandazirkus spielt.

Wie russophobe Kampagnen aussehen und sie sich an US-Vorbildern orientieren, hat ARD-aktuell mit Bedacht gleich zum Auftakt der WM schon mal demonstriert: Tagesschau und Co. berichteten über angeblich drohende russische Hackerangriffe auf unsere Stromnetze. Und zwar ebenso grund- und beweislos wie nachhaltig stimmungsprägend.

Das Muster: irrationale, diffuse Ängste vor einer nicht handfest zu machenden Gefahr für das bürgerliche Wohlleben schüren. Je weniger konkret, desto gefährlicher erscheint sie, immer jedoch mit zweifelsfreier Quellen- bzw. Täterbestimmung: Der Russe ist es. Mag das im Einzelfall noch so unsinnig und weit hergeholt erscheinen, die Wirkung ist dennoch sicher, das wird durch die fortwährende Wiederholung gewährleistet.

Die Nachricht über angeblich drohende russische Hackerangriffe auf deutsche Stromnetze war gespickt mit Spekulativem, mit Vermutungen, Behauptungen und Verdächtigungen. Was andererseits restlos fehlte, waren rationale, auf Tatsachen bauende Argumentation, Fakten, Konkretisierungen, Zeugnisse, Beweise. Aus dem Tagesschau-Füllhorn des unseriösen Journalismus:

Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und der Verfassungsschutz warnen vor einer Angriffswelle gegen Energieunternehmen. Offenbar versuchen russische Hacker, in deren Netzwerke einzudringen… Das könnte darauf hindeuten, dass vor allem Informationen abgegriffen werden sollen, möglicherweise auch, um weitere Angriffe vorzubereiten. Betroffen sein sollen auch Zulieferfirmen von Energieversorgern… Nach Einschätzung von Sicherheitsbehörden in Großbritannien und den USA soll es sich bei den genannten Gruppen um russische Hacker handeln. [Hervorhebung d. Verf.]

Kadavergehorsam gegenüber deutschen Nachrichtendiensten

ARD-aktuell führt damit seinem Publikum wieder einmal die Schreckfigur des russischen Hackers vor Augen. Belege für dessen Existenz, geschweige denn für seine bösartigen Absichten gibt es nicht. Wo nichts ist, genügt dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eben die Verdächtigung seitens eines deutschen Behördenchefs als Tatsachen-Ersatz. Denn: Eine deutsche Behörde lügt nicht. Sie ist Hort der gesetzestreuen Objektivität, der Gral der Wahrhaftigkeit. Auch in unseren Geheimdiensten arbeiten ausschließlich Ehrenmänner und -frauen, ihr Chef ist der Aufrichtigste von allen. Weiß doch jeder.

Da können die US-Amerikaner dreimal unsere Republik von ihrer NSA ausspähen lassen, unsere Geheimdienste von ihren CIA-Spionen unterwandern und deutsche Politiker und Wirtschaftsleute von ihren Diplomaten erpressen lassen: Wenn unser Verfassungsschutz im Dienste unserer Regierung sagt, der Ami ist ein Freund und der Russe ist gefährlich, dann ist eben der Russe an allem Bösen schuld.

Da nutzt der Verfassungsschutz pure und unbegründete Behauptungen quasi als Nachweis für die Berechtigung seines eigenen obskuren Daseins, und schon gibt die Tagesschau den Papagei. Plappert nach, was diese trübe Quelle schäumt, als handle es sich um erwiesene Fakten.Und keiner erinnert sich mehr, wie lächerlich besonders seine Bezugnahme auf britische und US-amerikanische Geheimdienstquellen ist. Hatten nicht gerade die Briten erst kürzlich mit ihrer bescheuerten Salisbury-Skripal-Affäre gezeigt, mit welchen primitiven Mitteln auch die anglo-amerikanischen Geheimdienste versuchen, die Öffentlichkeit für blöd zu verkaufen?

Wahrheitsgehalt nicht überprüfbar

Hätte nicht spätestens diese bösartige Realsatire die Macher der ARD-aktuell veranlassen müssen, auf "Informationen" aus solchen dubiosen Quellen zu verzichten? Chefredakteur Dr. Gniffkes Qualitätsjournalisten denken gar nicht daran. Sie zitieren zwielichtige Repräsentanten der Geheimdienste mit unbewiesenen und unbeweisbaren Aussagen und verbreiten deren Gewölle distanzlos und kritikfrei. Der Quatsch wird im Konjunktiv wiedergegeben, als indirekte Rede, und damit soll eine journalistische Minimalanforderung erfüllt sein; zu einem Abgleich zwischen Behauptung und Realität fühlt sich die Tagesschau nicht verpflichtet, erst recht nicht zu der Aufforderung an die geheimdienstlichen Ohrenbläser, doch bitte erst einmal das Tatsachenfundament herzuzeigen, auf dem ihre Gefahrenwarnungen beruhen, ehe man selbige ernst nehmen könne.

Russische Hacker greifen deutsche Stromnetze an? Vor Kritikern vergleichbarer Agitprop-Kampagnen hat sich Dr. Gniffke stets damit herauszureden versucht, er habe doch nichts "Unwahres" oder "Unbelegbares" verbreitet, sondern nur das wiedergegeben, was Politiker oder Institutionen konkret behauptet hätten. Oft sei das sogar mit dem einschränkenden Zusatz versehen worden, dass die fraglichen Behauptungen nicht erwiesen seien. Stimmt, das hält der Mann wirklich so. Nur beantwortet auch das die Grundfrage nicht: Warum veröffentlicht seine Redaktion überhaupt eine Meldung, deren Wahrheitsgehalt sich nicht belegen lässt?

Der Grund für die schrägen Manipulationsversuche mittels regelmäßigen Berichten über angeblich drohende Cyber-Attacken liegt auf der Hand: ARD-aktuell reflektiert nur die Regierungspolitik und betreibt deshalb antirussische Hetze. Es gilt, Feindbilder zu pflegen zur Absicherung der aggressiven Politik gegenüber der eigenen Bevölkerung und zur Ablenkung von den innerdeutschen sozialen Missverhältnissen. 

"Einordnen und nicht einfach weitererzählen"

Zur Agitprop gegen Russland passt die Agitprop für Kanzlerin Merkel. Anja Reschke, NDR-Abteilungsleiterin Innenpolitik, Panorama- und Zapp-Moderatorin, ließ über das Netzwerk Twitter wissen:   

Ich kann mit der Frau nicht mehr arbeiten", soll Seehofer gesagt haben. Schreibt Spiegel Online. Und die haben es aus der Welt am Sonntag. Und die haben es aus internen Kreisen. Was ist denn das für ein Journalismus? Hörensagen vom Hörensagen?

Auf diesen doppelmoralinsauren Schlenker hin giftet der Spiegel-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer zurück:

Wir zitieren sauber. So wie die Tagesschau es täglich und auch heute macht. 

Die NDR-Frau begründet ihre Kritik daraufhin mit der Forderung, Journalisten müssten ein solches Zitat "einordnen", weil es nicht absichtsfrei durchgestochen worden sei:

Derjenige, der das der Welt gesteckt hat, verfolgt ja auch eine eigene Agenda. Und genau das müssen Journalisten einordnen und nicht einfach weitererzählen. 

Ach ja, Frau Reschke? Warum machen Sie das dann nicht im eigenen Stall geltend, auch gegenüber der Tagesschau, die der NDR für die ARD produziert? Wo blieb die Information über die "Agenda", die fiesen Absichten des deutschen Verfassungsschützers, als seine Warnung vor angeblich drohenden russischen Hackern serviert wurde?

Das Autoren-Team: 

Friedhelm Klinkhammer, Jahrgang 1944, Jurist. 1975 bis 2008 Mitarbeiter des NDR, zeitweise Vorsitzender des NDR-Gesamtpersonalrats und des ver.di-Betriebsverbandes sowie Referent einer Funkhausdirektorin.

Volker Bräutigam, Jahrgang 1941, Redakteur. 1975 bis 1996 im NDR, zunächst in der Tagesschau, von 1985 an in der Kulturredaktion für N3. Danach Lehr- und Forschungsauftrag an der Fu-Jen-Uni in Taipeh.  

 

Anmerkung der Autoren:

Unsere Beiträge stehen zur freien Verfügung. Wir schreiben nicht für Honorar, sondern gegen die "mediale Massenverblödung" (in memoriam Peter Scholl-Latour). Die Texte werden zumeist auf der Seite http://forum.publikumskonferenz.de/ dokumentiert.

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