von Damian Wilson
Als der Megaknete-Fantastilliardär Jeff Bezos begann, Hubschrauberlandeplätze in die Baupläne für das ständig wachsende Immobilienimperium von Amazon zu integrieren, war dies ein klares Zeichen dafür, dass der glotzäugige Bezos, der den Buchhandel zum größten Geschäft der Welt machte, sich seiner Fesseln entledigt und die staubige Bibliothek auf zu neuen Ufern verlassen hat.
Bezirzt von der neuen Frau an seiner Seite, der TV-Moderatorin und frisch lizenzierten Hubschrauberpilotin Lauren Sánchez, brauchte nun auch die Jacht, die in Rotterdam für das Paar unter strenger Bewachung gebaut wird, selbstverständlich einen Platz, auf dem ein Hubschrauber landen kann. Das hat auch deswegen in weiten Kreisen Befremden hervorgerufen, weil Amazon zwar eine unermessliche Reichweite im Internet hat, milliardenschwere Cloud-Dienste bereitstellt und Hollywood-Blockbuster produziert, es aber in diesem Imperium kein Hubschrauber-Unternehmen gibt. Denn welcher sparsame, bodenständige Mann aus dem Volk nutzt schon einen Helikopter, um zur Arbeit zu pendeln?
Bezos hingegen ist nicht mehr dieser bodenständige Mann aus dem Volk – auch, wenn seine PR-Abteilung uns vom Gegenteil überzeugen möchte. Nicht die prominente TV-Schönheit an seiner Seite, nicht seine zur Schau gestellte asketische Jugendlichkeit oder der Wunsch, über den Wolken dem Verkehrsstau zu entkommen, waren ein untrügliches Zeichen dafür, dass Bezos auf einer anderen Ebene angekommen ist. Nein, dieses Zeichen war der Brief, den alle neuen Mitarbeiter von Bezos' Firma für Weltraumraketen Blue Origin erhielten.
Während der Inhalt dieses Briefes die Ambitionen und Ziele der Firma umriss, wurden die neuen Mitarbeiter aufgefordert, ihn zu lesen und darüber nachzudenken. Stellenbewerber wurden gebeten, Aufsätze über den Inhalt dieses Briefes zu schreiben, in denen sie über die Tiefe ihrer Leidenschaft für die Arbeit bei Blue Origin philosophieren sollten – und wurden abgelehnt, wenn ihre Sehnsüchte und Visionen als nicht hingebungsvoll genug beurteilt wurden. Das ist ein Kult.
Und als ob das nicht schon surreal genug wäre, hat Bezos auch einen aufwendigen Briefkopf für diesen Brief entworfen, der zwei auf einem Globus stehende Schildkröten zeigt, die neben einer Sanduhr mit Flügeln Sterne anbeten, begleitet vom urkomisch-bescheuerten lateinischen Motto des Unternehmens, "Gradatim Ferociter" (in etwa: "unbändig, Schritt für Schritt"). Irgendjemand hat hier eindeutig zu viel Harry Potter gelesen.
Bezos scheint zu glauben, dass Menschen ins All zu schießen, milliardenschwere Verteidigungsaufträge der US-Regierung zu ergattern, Technologie für Raumfahrtprogramme bereitzustellen und zu versuchen, seinem Konkurrenten Elon Musk den Titel des Königs der Nerds streitig zu machen, sein Vermächtnis sein wird. Stone beschreibt in seinem Buch den Bezos-Traum: "Das Ziel, dass eines Tages eine Billion Menschen im gesamten Sonnensystem auf Raumstationen leben und arbeiten, die mit der reichhaltigen Kraft der Sonne betrieben werden." Alles dank Bezos.
Das Besondere an dieser großartigen Vision ist, wie der Autor feststellt, dass dies ein nützliches Streben für die reichste Person der Welt ist, dessen "Liebesgaben" zunehmend argwöhnisch beobachtet und kritisiert werden. Anstelle eines E-Commerce-Königs mit einem teuren Hobby will Bezos ein grandioser Unternehmer sein, der der Menschheit ein grandioses Geschenk macht. Nun, wie wäre es mit Geld, um die Wohnungsknappheit zu beheben, die von Amazon im US-amerikanischen Seattle verursacht wurde? Ach was, das sind Kinkerlitzchen für Verlierer und lokale Bürokraten. Lasst uns stattdessen etwas Lustiges und Abenteuerliches machen, wie zum Beispiel: Bergbau auf dem Mond!
Während viele ehemalige Mitarbeiter von Amazon zögern – hauptsächlich Männer, die mit einem Unternehmen, das heute 1,76 Billionen US-Dollar wert ist, unermesslichen Reichtum erwirtschaftet haben –, über ihren Ex-Chef zu lästern, spricht die Geschichte des astronomischen Aufstiegs von Bezos und seinen Entscheidungen, die er entlang diesem Weg gefällt hat, Bände. Abgesehen von Blue Origin und dem Goldesel Amazon, gibt es noch Amazons Beutezug durch Hollywood und die verschiedenen Geschäfte mit #MeToo-Bösewichten wie Harvey Weinstein, Roy Price und Woody Allen.
In einer Welt abseits von La La Land beschreibt Stones Buch die Entlassung von Mitarbeitern, nachdem sie die Arbeitsumstände in den Amazon-Verteilzentren während der COVID-19-Pandemie öffentlich gemacht haben, die unverzüglichen Vergeltungsmaßnahmen gegen die Gewerkschaftsorganisation in diesen Zentren und die aberwitzigen Arbeitsverträge mit Paketboten, die eine Anstellung beim Online-Giganten alles andere als zu einem Traumjob machen.
Stones Buch deckt die knallharten Praktiken auf, mit denen Amazon spezifisches Kundenverhalten nutzt, um den Verkauf von Eigenmarkenartikeln zu fördern, wodurch es sich einen unfairen Wettbewerbsvorteil verschafft. Etwas, was durch die Kartellbehörden in Europa und den USA noch untersucht wird. Dann ist da noch die Öffnung des Amazon-Marktplatzes für eine Heerschar chinesischer Verkäufer, die das Internet mit billigen Nachahmungen und Raubkopien überfluten, um gemeinsam mit Amazon "die Globalisierung" voranzutreiben – nicht unbedingt, um den Kunden eine größere Auswahl anzubieten, sondern um damit Geld in die Kassen von Bezos zu spülen.
Während Amazon beteuert, die Kundenzufriedenheit stehe an oberster Stelle, weiß jeder, der diese Webseite regelmäßig nutzt, dass dies nicht der Fall ist. Diese "gesponserten Anzeigen", die alle Suchergebnisse verseuchen bei allem, was ein Nutzer sucht, sind eine massive Einnahmequelle für Amazon, während sie für die Kunden eine Belästigung sind. "Amazon Such-Ergänzung"? Der Autor Stone fand heraus, dass dieses "Ehrenabzeichen" denjenigen Verkäufern zuteilwird, die bereit sind, am meisten zu unterbieten, und nicht jenen mit dem besseren Produkt – und in vielen Fällen an Amazon selbst mit seinen günstigen Eigenmarkenartikeln. Nutzlos.
Und dann ist da noch die bezahlte Online-Werbung, bei der die Daten über das Such- und Kaufverhalten eines Nutzers verwendet werden, um diesen wiederum mit einer Auswahl an Anbietern zu füttern, die bereit sind, Amazon für dieses Privileg zu bezahlen. Während man ein bezahltes Amazon-Premium-Konto für die beschleunigte Lieferung besitzt, Alexa nach der Wettervorhersage fragt, in die Ring-App glotzt, wenn ein Amazon-Kurier mit noch mehr Müll an die Tür klopft und zwischen den Angeboten von Amazon Prime Video hin- und herblättert, um unablässig nach irgendetwas zu suchen, das im Fernsehen läuft, ist es vielleicht an der Zeit, dies alles zu überdenken, nachdem man das Buch "Amazon Unbound"gelesen hat.
Die Erfahrung der ehemaligen Marketingchefin Meghan Wulff spricht dafür. Sie entschied 2019, dass sie genug von der Amazon-Achterbahn hatte, und reichte ihren Abschied ein, nachdem sie zur Erkenntnis gekommen war, dass "Jeff Bezos zu oft keine bewundernswerten Entscheidungen getroffen hat". Sie stellte ihre eigene Rolle bei der Erschaffung der Online-Shopping-Orgie namens Prime Day in Frage und stimmte der Einschätzung eines Wirtschaftsmagazins zu, dass diese "auf zynische Art Kunden dazu manipuliert, Dinge zu kaufen, die sie nicht brauchen". Eine Schlussfolgerung, der wohl nicht nur eine einzelne desillusionierte Marketing-Managerin zustimmen wird.
Nachdem Wulff Amazon verlassen hatte, kündigte sie ihr Amazon-Premium-Konto, entsorgte ihre "intelligenten Lautsprecher" Amazon Echo und schloss ihr Amazon-Konto – dauerhaft. Dank der Erkenntnisse aus Stones Buch war das vielleicht keine so schlechte Idee.
Damian Wilson ist ein britischer Journalist, ehemaliger Herausgeber in der Fleet Street, Berater der Finanzbranche und Sonderberater für politische Kommunikation in Großbritannien und der EU. Die Originalversion seines Textes finden Sie hier.
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