Internationale Hilfsorganisation SOS-Kinderdorf von Missbrauchsvorwürfen erschüttert

Missbrauchsvorwürfe gegen Hermann Gmeiner und die frühere SOS-Kinderdorf-Führung erschüttern die Organisation. Zahlreiche Kinder berichten von Gewalt und sexuellen Übergriffen. Eine unabhängige Kommission prüft alle Vorfälle, um Aufklärung zu schaffen und Reformen einzuleiten.

Die SOS-Kinderdörfer in Österreich stehen unter massivem Druck. Seit Wochen erreichen die Organisation Berichte über Gewalt, Demütigungen und sexuellen Missbrauch, die nun auch den verstorbenen Gründer Hermann Gmeiner betreffen. Gegen Gmeiner liegen glaubwürdige Vorwürfe zu sexuellen und physischen Übergriffen vor.

Die mutmaßlichen Taten betreffen acht männliche Kinder an vier Standorten in Österreich und sollen sich zwischen den 1950er- und 1980er-Jahren ereignet haben. Die Vorfälle wurden bisher nicht gerichtlich verhandelt, die Schilderungen gelten jedoch als plausibel. Es wird nicht ausgeschlossen, dass im Zuge der laufenden Aufarbeitung weitere Fälle ans Licht kommen.

Die Vorwürfe waren innerhalb der Organisation offenbar schon seit 2013 bekannt. Zwischen 2013 und 2023 hatten sich mutmaßliche Opfer an SOS-Kinderdorf gewandt und Opferschutzverfahren durchlaufen. Entschädigungszahlungen und Therapieangebote wurden damals gewährt. Erst jetzt werden die Fälle öffentlich diskutiert, nachdem interne und externe Untersuchungen systematische Missstände in den Einrichtungen dokumentiert haben.

Die Situation spitzt sich weiter zu, weil auch ehemalige Führungskräfte und Nachfolger von Gmeiner in die Kritik geraten. Helmut Kutin soll einem Großspender Zugang zu Jungen in Nepal ermöglicht haben, obwohl dessen sexuelle Neigungen bekannt gewesen seien. Der frühere Geschäftsführer Christian Moser wurde wegen der Vorwürfe im Oktober von seinen Aufgaben entbunden.

Die SOS-Kinderdörfer haben eine externe Kommission eingesetzt, die alle Missstände und strukturellen Probleme aufarbeiten soll. Die Vorsitzende Irmgard Griss bezeichnet die Anschuldigungen gegen Mitarbeiter als Super-GAU und betont, dass die zusätzlichen Vorwürfe gegen Gmeiner die Arbeit der Kommission nicht einfacher machen. Ziel ist es, das Vertrauen in die Organisation wiederherzustellen und zukünftige Vorfälle zu verhindern.

Die Gründung der Organisation geht auf Hermann Gmeiner zurück, der 1949 als Medizinstudent die Hilfsorganisation ins Leben rief. 1951 wurde das erste SOS-Kinderdorf in der Tiroler Stadt Imst eröffnet. Das Konzept, verwaiste und verlassene Kinder in familienähnlichen Strukturen zu betreuen, entwickelte sich in den folgenden Jahrzehnten weltweit. Heute existieren 572 Kinderdörfer in fast 140 Ländern.

Die Vorwürfe treffen die Organisation besonders hart, da sie in Österreich als größter privater Träger der Kinder- und Jugendhilfe rund 1.800 Kinder betreut und zu drei Vierteln öffentlich finanziert wird. Die Politik reagiert zurückhaltend, einzelne Bundesländer haben Sonderprüfungen angekündigt, um sich ein Bild von der Lage zu machen.

In Moosburg, wo bereits über Jahre Missbrauchsfälle dokumentiert wurden, hat die Organisation begonnen, die Strukturen zu überprüfen. Externe Expertenteams sollen die internen Abläufe und Daten prüfen, um vollständige Aufklärung zu gewährleisten. SOS-Kinderdorf betont, dass die Aufarbeitung keine Tabus kennt und dass Verantwortung nicht durch historische oder hierarchische Positionen ausgeschlossen wird.

Die Enthüllungen werfen nicht nur moralische Fragen auf, sondern stellen auch die Zukunft der Organisation in Österreich infrage. Wie SOS-Kinderdorf das Vertrauen der Öffentlichkeit und der Betroffenen zurückgewinnen will, wird entscheidend für den Fortbestand der Institution sein, die seit Jahrzehnten als Symbol für Kinderschutz galt.

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