Beate Meinl-Reisinger, Außenministerin und Parteichefin der Neos, stellt die jahrzehntelange Neutralität Österreichs offen infrage. In einem Interview mit Die Welt kündigt sie an, für eine öffentliche Debatte über einen möglichen NATO-Beitritt "offen" zu sein.
Was sie als öffentliche Debatte und angeblichen Willen der Nation darstellt, ist in Wirklichkeit eine gezielte Vorbereitung auf einen sicherheitspolitischen Kurswechsel Österreichs – im Sinne der NATO: weg von der Neutralität, hin zur militärischen Westbindung. Doch offenbar hat die Außenministerin nicht zu Ende gedacht. Woher soll das Geld für eine NATO-Mitgliedschaft kommen, wenn Österreich mit innenpolitischen Problemen und steigender Verschuldung kämpft? Dazu schweigt die Pro-NATO-Politikerin.
Begründet wird dieser Paradigmenwechsel mit dem angeblich "aggressiven Verhalten Russlands". Die Ministerin spricht von einer Welt, die sich grundlegend verändert habe – und fantasiert gleichzeitig vom baldigen militärischen und wirtschaftlichen Zusammenbruch Russlands.
Meinl-Reisinger: Irgendwann türmen sich die Särge in Russland. Hinzu kommt die desaströse Wirtschaftslage. Es wird immer schwerer für den Kreml, diesen Krieg fortzuführen.
Sie behauptet, die russische Wirtschaft sei in einem "desaströsen" Zustand, die Lage an der Front in der Ukraine "katastrophal" für Moskau, und warnt: "Russland erleidet enorme Verluste."
Wer sich ernsthaft mit der Lage Russlands beschäftigt, erkennt weder einen wirtschaftlichen Kollaps noch militärische Panik. Trotz westlicher Sanktionen zeigt sich die russische Wirtschaft widerstandsfähig, das Bruttoinlandsprodukt wächst, strategische Partnerschaften mit China, Indien und anderen Global-South-Staaten florieren. Russland hat sich vom Westen weitgehend entkoppelt – und bleibt auf globaler Ebene ein zentraler Akteur.
Die Außenministerin hingegen bewegt sich rhetorisch im Fahrwasser der transatlantischen Hardliner. Ihre Aussagen erinnern eher an politische Wunschbilder als an nüchterne Diplomatie. Dass Meinl-Reisinger über einen NATO-Beitritt überhaupt laut nachdenkt, obwohl weder das Parlament noch die Bevölkerung daran ein mehrheitliches Interesse zeigt, zeugt von einer Entfremdung gegenüber der eigenen Bevölkerung.
Seit 1955 gilt die Neutralität als Grundpfeiler österreichischer Außenpolitik – verfassungsrechtlich verankert und international respektiert. Sie hat Österreich Stabilität verschafft, Glaubwürdigkeit in Konflikten und eine Vermittlerrolle zwischen West und Ost. Der geplante NATO-Kurs würde all das gefährden – und Österreich in geopolitische Auseinandersetzungen hineinziehen, die dem Land nicht guttun können.
Die Ministerin spricht von Freiheit und Verantwortung. Doch in Wahrheit gefährdet sie mit ihrem ideologischen Kurs genau das: die außenpolitische Souveränität Österreichs.
Mehr zum Thema - Unsicherer Gastransit durch die Ukraine: Droht Europa ein kalter Winter?