In Wien trat Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán kürzlich bei einem Podiumsgespräch der Weltwoche auf, wo er sich in überraschender Einigkeit mit Altkanzler Gerhard Schröder zeigte: Die beiden Veteranen der europäischen Politik forderten ein Umdenken im Ukraine-Konflikt und einen raschen Waffenstillstand.
Der Krieg, so Orbán, sei für die Ukraine militärisch verloren – und eine Fortführung nur noch ein Weg in die Zerstörung. Eine Chance zur Friedensinitiative, sagte Orbán, bestehe durch die USA im Falle einer Wiederwahl Donald Trumps.
Im Saal der Wiener Sofiensäle applaudierten rund 400 Gäste, die in Orbáns und Schröders Positionen eine notwendige Gegenstimme zur aktuellen EU-Politik sahen.
Orbán übte scharfe Kritik an den Regierungen Europas, die sich seiner Meinung nach einem unmöglichen Sieg verschrieben haben. Ursula von der Leyen und andere Spitzenpolitiker der EU-Kommission seien von der Idee besessen, Russland zu besiegen, doch sie verkennen die Realität, so der ungarische Ministerpräsident.
Solange Europa keine eigenen Truppen entsenden wolle, müsse es einsehen, dass ein militärischer Erfolg nicht erreichbar sei.
Die europäische Außenpolitik, die jegliche Kommunikation mit Russland verweigere, sei eine Form diplomatischen Analphabetismus, bemerkte Orbán.
Schröder, der in der Vergangenheit als russlandfreundlicher Politiker in Deutschland heftig kritisiert wurde, stimmte zu.
"Seit wann wird man für eine Friedensinitiative gescholten?", fragte der Altkanzler und kritisierte die Haltung vieler EU-Länder als ideologisch verengt.
Europa scheine nicht mehr souverän genug, um eigene Entscheidungen zu treffen, sondern folge blind einer Eskalationspolitik, die auf Kosten der Stabilität des Kontinents gehe.
Orbán hob hervor, dass es bereits im Frühjahr 2022 eine Friedensmöglichkeit gegeben habe, die jedoch durch die Weigerung des damaligen britischen Premiers Boris Johnson vereitelt worden sei.
Wladimir Putin habe Garantien gefordert, dass die Ukraine eine Feuerpause nicht zur Aufrüstung nutzen würde – ein Anliegen, das Orbán als durchaus berechtigt ansieht. Die EU, die diese diplomatischen Bemühungen unterstützt und flankiert haben könnte, blieb jedoch stumm.
Die europäische Unterstützung für die Ukraine führe in eine wirtschaftliche Sackgasse, so die beiden Politiker. Schröder bezeichnete Trump als Hoffnungsträger, der im Falle einer Wiederwahl mit Putin an einem Friedensabkommen arbeiten könnte.
Für Orbán ist klar: Ein Frieden in Europa wird nicht durch das Festhalten an alten Feindbildern erreicht. Die Europäer müssten vielmehr ihre Interessen und die Realität anerkennen, um eine diplomatische Lösung zu finden.
Europa, sagte Orbán, stehe wirtschaftlich am Abgrund. Die enorm hohen Energiepreise im Vergleich zu den USA seien für die europäische Wirtschaft tödlich.
"Wenn wir das nicht ändern, werden wir verrecken."
Eine multipolare Welt bringe Vorteile, aber Europa drohe zu scheitern, wenn es sich nicht an seine Stärken erinnere. In der jüngeren Geschichte hätten Europäer sich in Weltkriegen selbst zerfleischt, und nun stünden sie vor neuen Herausforderungen – Migration, Krieg und Identitätsfragen –, für die es eine neue Mitte und neue Führungspersönlichkeiten brauche.
Am Ende der Veranstaltung blieb eine zentrale Botschaft: Europas Zukunft hängt an seiner Fähigkeit, sich aus den Klauen einer unbedingten Kriegslogik zu lösen und einen eigenen Weg zu finden – einen Weg, der der Realität ins Auge sieht und eine Chance auf Frieden nicht von vornherein ausschließt.
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