Nach Meinung der österreichischen Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) geht der Westen in seiner Einmischung in den Ukraine-Krieg inzwischen zu weit. In einem Interview für die Tageszeitung Die Presse kritisierte sie die Erlaubnis der USA, Frankreichs, Deutschlands und anderer NATO-Länder, mit ihren fortschrittlichen Waffen auch "altes" russisches Territorium angreifen zu dürfen. Sie erinnerte zudem daran, dass Österreich ein "neutraler" Staat sei.
Der Westen beharrt darauf, dass er nach wie vor keine Konfliktpartei sei und lediglich die Bemühungen Kiews unterstütze, Russlands Vorstoß in das Gebiet Charkow aufzuhalten. Die Offensive hat Moskau vor knapp einem Monat eingeleitet, um die Kontaktlinie von der Grenze weg zu verlegen und weitere ukrainische Angriffe auf russische Zivilisten in den benachbarten Gebieten Belgorod und Brjansk zu verhindern.
"Eine rote Linie ist überschritten", sagte Tanner zu der Erlaubnis. Auf die Frage des Interviewers, wie Kiew die Operation in Charkow noch abwürgen könne, antwortete die österreichische Verteidigungsministerin, dass es "als militärisch neutraler Staat nicht unsere Aufgabe" sei, "darüber zu urteilen".
Tanner fügte hinzu, sie sei zumindest "erfreut, dass NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg klargestellt hat, dass die NATO keine Truppen in die Ukraine schicken wird". Nach häufigen Kabinettswechseln ist die 54-jährige Juristin mit ihrem Amtsantritt als Leiterin des Verteidigungsministeriums am 7. Januar 2020 (in der Regierung Kurz II) die "Veteranin" der österreichischen Regierung.
In einer Pressekonferenz am Donnerstag sagte Stoltenberg, dass der von den USA geführte Militärblock keine Pläne habe, Bodentruppen in die Ukraine zu entsenden. Trotzdem kündigte der französische Präsident Emmanuel Macron am Freitag an, kurz vor dem Abschluss einer internationalen Koalition zu stehen, um westliche "Militärausbilder" offiziell zur Ausbildung von Truppen in die Ukraine zu entsenden.
In den letzten Jahren hat sich die Alpenrepublik der NATO immer mehr angenähert. So will Österreich gemeinsam mit Irland, Malta und der Schweiz den Austausch mit der NATO intensivieren. Ein entsprechendes Schreiben richteten die vier neutralen Länder bereits im Dezember an das Militärbündnis, wie die österreichische Tageszeitung Die Presse vor wenigen Wochen berichtete. Mit Blick auf den Konflikt in der Ukraine habe die Partnerschaft mit dem Bündnis eine "wachsende Bedeutung", heißt es demnach in dem Papier.
Der russische Präsident Wladimir Putin hatte zuvor mehrfach betont, dass Moskau seit langem wisse, dass westliche Militärs unter dem Deckmantel von "Söldnern" und "Freiwilligen" bereits in der Ukraine kämpfen.
Westliche Langstreckenwaffen, die Kiew bei grenzüberschreitenden Angriffen einsetzt, werden oft auch von diesen ausländischen Truppen kontrolliert und gewartet, sagte der russische Präsident vergangenen Monat. Selbst wenn die Ukrainer den Abzug betätigen, sind es die USA und ihre Verbündeten, die Kiew mit Informationen über russische Ziele versorgen, fügte er hinzu.
Moskau hat gewarnt, dass vom Westen unterstützte Langstreckenangriffe auf russisches Territorium einer direkten Beteiligung des Westens an dem Konflikt gleichkämen und dass Russland sich das Recht vorbehalte, entsprechend zu reagieren. "Wir können asymmetrisch antworten", sagte Putin am Mittwoch und deutete an, dass Moskau ähnliche Waffen in die ganze Welt liefern könnte, wo sie gegen westliche Ziele eingesetzt werden könnten.
Die Oppositionspolitikerin Sevim Dağdelen (BSW) verglich das Hineinrutschen der NATO in den Ukraine-Krieg mit dem über die Jahre gestreckten Eintritt der USA in den Krieg in Vietnam, der 3 Millionen Opfer forderte.
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