Das Telefonat zwischen Donald Trump und Wladimir Selenskij fand auf Wunsch des US-Präsidenten am 25. Juli statt und ist in den USA mittlerweile ein großes Politikum. In diesem Gespräch soll Trump auf seinen ukrainischen Amtskollegen Druck ausgeübt haben, indem er mit dem Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine drohte, sollte Selenskij nicht einer Bitte nachkommen. So lautet zumindest der Vorwurf der Demokraten im US-Kongress. Dies würde den Tatbestand des Amtsmissbrauchs darstellen. Denn damit würden zwischenstaatliche Vereinbarungen als Mittel der Erpressung für eine Beschädigung von Joe Biden als Trumps Rivale in der Demokratischen Partei beim kommenden Präsidentschaftswahlkampf dienen.
Tatsächlich ist in dem Gespräch, dessen Zusammenfassung nun auf der Seite des Weißen Hauses als pdf-Dokument öffentlich zugänglich ist, auch von Joe Biden und dessen Sohn Hunter die Rede. So bat der US-Präsident seinen ukrainischen Amtskollegen, doch bitte zu prüfen, ob der ehemalige Vizepräsident Joe Biden die Untersuchung eines Unternehmens seines Sohnes behindert oder blockiert hat.
Es gibt eine Menge Gerede über Bidens Sohn, dass Biden die Anklage gestoppt hat und viele Leute wollen das herausfinden, so dass das, was auch immer Sie mit dem Generalstaatsanwalt machen können, großartig wäre", sagte Trump Selenskij in der Zusammenfassung der Gesprächsprotokolle, die vom Justizministerium am Mittwoch zur Verfügung gestellt wurden.
Der demokratische Spitzenkandidat Biden soll sich eingemischt haben, um in der Ukraine eine Untersuchung gegen die Burisma Holdings, eine Erdgas-Gesellschaft, bei der sein Sohn Hunter Biden Direktor war, zu verhindern:
Biden prahlte damit, dass er die Anklage gestoppt hat, also wenn Sie es sich ansehen können. … Es klingt für mich schrecklich", fuhr Trump fort.
Trump spielte auf den Auftritt von Joe Biden beim Council on Foreign Realtions im Januar 2018 an, als er die Einzelheiten seiner Einmischung für die Entlassung des ukrainischen Generalstaatsanwaltes Wiktor Schokin in Mai 2016 erzählte. "Petro, ihr kriegt eure Milliarde Dollar nicht. Ja, ihr könnt den Staatsanwalt belassen, aber dann werden wir nicht zahlen", soll er Poroschenko beim Wirtschaftsforum in Davos im Januar 2016 gesagt haben. Dabei war die Rede von US-Garantien für europäische Staatsbonds. Das Geld ist am Ende an die Ukraine geflossen.
Nach der Ernennung des Poroschenko-Vetters Jurij Luzenko zum neuen ukrainischen Generalstaatsanwalt – eines Mannes ohne jegliche juristische Ausbildung – wurden die Ermittlungen gegen Burisma prompt wunschgemäß gestoppt.
Am 29. August wurde nun Luzenko wieder entlassen. Und bereits zum Zeitpunkt des Telefonats Ende Juli versprach Selenskij Trump, dass "der nächste Generalstaatsanwalt zu 100 Prozent mein Mann, mein Kandidat sein wird". Damit sollte offenbar im Sinne von Trump die Fortführung des Anti-Biden-Kurses garantiert werden.
Ukraine-Gate für Biden
Der Anruf fand nur einen Tag nach dem Auftritt des Chef-Ermittlers Robert Mueller vor dem Kongress-Ausschuss bezüglich Trumps Russland-Beziehungen statt. Mueller, der die Untersuchung zur angeblichen russischen Einmischung seit zwei Jahren geleitet hatte und zum Erfolg zu treiben suchte, leistete am Vortag aus Sicht von Trump einen schwachen Auftritt. Und Trump bewertete eben in diesem Augenblick seine Chancen besonders hoch, anstelle des nun ins Stocken geratenen Russian-Gate gegen ihn selbst ein Ukraine-Gate gegen Biden zu entfachen.
Ich würde Sie eigentlich um ein Gefallen bitten, weil unser Land viel durchgemacht hat und die Ukraine ist darüber gut informiert. Ich möchte, dass Sie herausfinden, was es so alles mit der ganzen Ukraine-Geschichte auf sich hatte, man spricht von Crowdstrike (…) So wie Sie gestern auch gesehen haben, dass der ganze Unsinn mit einer sehr bescheidenen Leistung des Mannes namens Robert Mueller endete, das war ein sehr inkompetenter Auftritt, aber man sagt, dass viel davon mit der Ukraine begann. Was auch immer Sie machen können, es ist sehr wichtig, dass Sie es machen, wenn es geht", so Trump an Selenskij, direkt nach einer förmlichen Gratulationen zum Sieg der Selenskij-Partei bei den Parlamentswahlen am 25. Juli ganz zu Beginn des Gespräches.
Mehr zum Thema - Erpressungsmanöver mit Geschmäckle: Joe Bidens Einmischung in die ukrainische Justiz
Forderung oder Gefallen?
An keiner Stelle des Gesprächs redete Trump von den Waffenlieferungen oder deren Stopp. Bei seinem Anliegen handelte es sich vielmehr wortwörtlich um einen "Gefallen". Im Gegenteil war es Selenskij, der auf Waffen zu sprechen kam: "Wir sind bereit, noch mehr Antipanzer-Raketen Javeline von den Vereinigten Staaten für Verteidigungszwecke zu kaufen", sagte er.
Beim Lesen der Zusammenfassung des Teelefonats fällt auf, dass der ukrainische Präsident wohl viel mehr als sein Gegenpart redete, obwohl er gar nicht der Anrufende war. Er lobte Trump, schmeichelte ihm und nannte ihn einen "großen Lehrer".
Wir haben einen großen Sieg errungen, und wir haben dafür hart gearbeitet. Wir haben viel gearbeitet, aber ich muss zugeben, dass wir die Möglichkeit hatten, von Ihnen zu lernen. Wir haben viele Ihrer Fähigkeiten und Kenntnisse benutzt. (…) Wir arbeiten hart, um unser Land aus dem Sumpf herauszuziehen. Wir haben viele neue Personen eingebunden, nicht die alten Politiker, nicht die typischen Politiker, weil wir ein neues Format erzielen wollen und eine neue Art der Regierung. Sie sind ein großer Lehrer auch in dieser Hinsicht.
Nach der Veröffentlichung des Transkriptes ist es schwer vorstellbar, dass Trump-Gegner sehr viel politisches Kapital daraus gewinnen könnten. Es gab keine Ausübung von irgendwelchem Druck auf Selenskij, und es ging auch nicht acht Mal um Biden, wie US-Medien zuvor geschrieben hatten. Der Name Biden wurde eher im Kontext des "unanständigen Benehmens" eines US-Bürgers in der Ukraine angesprochen. Kein Wunder, dass Trump, der ein angebliches Fehlverhalten rundheraus bestreitet, einer Veröffentlichung dieses Dokuments ohne Zaudern zustimmte.
Probleme kann das Ganze nun eher bald für seinen ukrainischen Gegenpart geben, nämlich nach seiner Rückkehr aus New York. Selenskij machte alles andere als eine gute Figur bei dem Telefongespräch. Sein geradezu devotes Verhalten gegenüber dem US-Präsidenten, das Herabwürdigen von EU-Politikern wegen der angeblich ausbleibenden Hilfe für die Ukraine und vor allem das Versprechen, mit einem neuen, "eigenen" Staatsanwalt die von Trump gewünschten Ermittlungen einzuleiten, könnten in seiner Heimat für Selenskij eine ungeahnte Sprengkraft entfalten und die Spaltung der politischen Eliten in ein Trump- und ein Anti-Trump-Lager weiter verschärfen.