Die Selbstmordrate unter Teenagern und jungen Erwachsenen im Alter von 15 bis 24 Jahren erreichte in den USA im Jahr 2017 ihren Höchststand seit den letzten 17 Jahren, wie eine am Dienstag im Journal of the American Medical Association (JAMA) veröffentlichte Studie ergab. Die Hauptgründe für die um 51 Prozent angestiegene Suizidrate sind wachsende Angstzustände und Depressionen sowie Medien- und Drogenkonsum. Die Zahlen könnten allerdings noch höher liegen, da beispielsweise nicht alle absichtlichen Drogenüberdosierungen als Selbstmord gezählt werden.
Am häufigsten sehen junge Männer den Suizid als letzten Ausweg. Jedoch schließen Frauen in alarmierendem Tempo zu ihnen auf. Junge Erwachsene berichten häufiger als vorherige Generationen über Angstzustände sowie Depressionen. Mehrere Studien haben gezeigt, dass die Nutzung sozialer Medien beide Zustände verschärft und einen Teufelskreis erzeugt, der häufig tragisch endet.
Eigentlich tritt die sogenannte Generation Z schlicht in die Fußstapfen ihrer Vorgängerin, der Generation Y. Unter den Millennials, zu denen laut der US-Statistikbehörde alle in den Jahren von 1982 bis 2000 Geborenen gehören, ist die Selbstmordrate ebenfalls explodiert. In den USA ist die Zahl drogenbedingter Todesfälle von Menschen im Alter von 18 bis 34 Jahren in den letzten zwölf Jahren um 108 Prozent gestiegen, während die Zahl alkoholbedingter Todesfälle um 69 Prozent und die Selbstmorde um 35 Prozent gestiegen sind. Dies geht aus einem Bericht hervor, der letzte Woche von der Organisation Trust for America's Health veröffentlicht wurde. Während die Millennials lange als schwach und hochverletzlich abgeschrieben wurden, erkennen die Medien und die Gesellschaft nun zu spät, dass es sich nicht um unmotivierte Faulenzer handelt, die das Hotel Mama nicht verlassen wollen – ihre Verzweiflung hat in erster Linie eine wirtschaftliche Natur.
"Die Todesfälle der Verzweiflung", eine zunehmende Selbstmordrate der Millennials und der nachfolgenden Generation Z, kann auf die gähnende Kluft zwischen der Realität und der Erwartungen der jungen Erwachsenen zurückgeführt werden. Sie sind die ersten Amerikaner, die trotz aller Mythen über den amerikanischen Lebenstraum mit einem deutlich niedrigeren Lebensstandard als ihre Eltern – die sogenannten Baby Boomer, die mit den Früchten des wirtschaftlichen Aufschwungs der Nachkriegszeit zu Wohlstand kamen – klarkommen müssen. Gleichzeitig ist die Staatsverschuldung der USA in die Höhe geschossen, getrieben von zwei Jahrzehnten nicht gewonnener Kriege, deren Kosten sich auf über 6 Billionen US-Dollar belaufen. Auch der Haushalt des Pentagons ist auf ein beispielloses Ausmaß angewachsen. Mehrere Steuersenkungsrunden für Wohlhabende sowie für Unternehmen zerstörten die Einnahmequelle der Regierung. Daher ist es kein Wunder, dass die wirtschaftliche Ungleichheit sogar Werte, die während der Weltwirtschaftskrise registriert wurden, übertrifft.
Millennials, die ihren Schulabschluss nach dem Jahr 2008 gemacht hatten, betraten die "reale Welt" und fanden darin keine Jobmöglichkeiten. Sie konnten sich schon glücklich schätzen, wenn sie zumindest ein unbezahltes Praktikum oder einen Job als Kellner fanden. Sie waren gezwungen, in die Häuser ihrer Eltern zurückzukehren – ein schwerer Schlag für eine Generation, der von Geburt an vorgegaukelt wurde, sie sei etwas Besonderes und könnte alles tun, was sie will.
Die USA sind vielleicht das einzige entwickelte Land der Welt, in dem Armut als Sünde betrachtet wird. Viele Millennials leiden schweigend, weil sie glauben, sie seien die einzigen, die aus der "realen Welt herausgefallen" sind. Anstatt bei Familie und Freunden Hilfe zu suchen, greifen sie zu Alkohol und Rauschmitteln – jenen Faktoren, die die "Todesfälle der Verzweiflung" eingeleitet haben. In einigen wirtschaftlich am Boden liegenden US-Staaten wie West Virginia haben sich die Fälle von Drogenüberdosierungen in den letzten zwölf Jahren mehr als verfünffacht. Dies geht aus einem Bericht hervor, der Anfang des Monats veröffentlicht wurde. In vielen anderen Bundesstaaten hat sich dieser Wert verdoppelt beziehungsweise verdreifacht. Dass Pharmaunternehmen den Markt mit Opioiden überschwemmten und der gleichzeitige Aufstieg der sozialen Medien die Qualität der menschlichen Beziehungen zerstörte, ist ein besonders tödliches Zusammenspiel.
Nach Angaben der Unternehmensberatung Deloitte ist das durchschnittliche Eigenkapital aller US-Verbraucher unter 35 Jahren seit dem Jahr 1996 um 35 Prozent gefallen. Werbetreibende begreifen langsam, dass eine gezielte Ausrichtung auf diese Zielgruppe zwar eine kluge Marketingentscheidung zu sein scheint – sie macht schließlich ein Viertel der US-Bevölkerung aus –, aber nichts einbringt, da sie sich nichts leisten kann. Die Verschuldung von Studenten ist seit dem Jahr 2004 um 160 Prozent gestiegen. Nur 37 Prozent der Millennials besitzen eine Wohnung – acht Prozentpunkte weniger als ihre Eltern. Laut einer im letzten Jahr durchgeführten Umfrage würden zwar 89 Prozent gerne ein Eigenheim besitzen, doch fast die Hälfte hat keine Ersparnisse.
Junge Menschen sind nicht die einzigen, die von den "Todesfällen der Verzweiflung" betroffen sind. Die Lebenserwartung in den USA sinkt schon das dritte Jahr in Folge. In einem Bericht von Trust for America's Health heißt es, dass dieser Epidemie von alkohol- und drogenbedingten Todesfällen sowie Selbstmorden bis zum Jahr 2025 über 1,6 Millionen Menschen zum Opfer fallen werden, wenn sich nichts ändert.
Die Generation der Baby Boomer geht langsam in den Ruhestand und kann nicht mehr von ihren mageren Ersparnissen leben – vorausgesetzt, sie haben noch welche. Auch sie nehmen sich deshalb immer häufiger das Leben: Die Selbstmordrate unter den Baby Boomern ist in den Jahren von 2007 bis 2015 um 40 Prozent gestiegen.
Das Problem betrifft daher nicht nur junge Menschen und es gibt keine einfache Lösung dafür. Das Problem der systematischen Armut in dem "reichsten Land der Welt" anzuerkennen, wo zwei Drittel der Bevölkerung keine ausreichenden Ersparnisse hat, wäre aber ein guter Beginn.
Mehr zum Thema - "Katastrophale Situation": Alle vier Tage bringt sich ein französischer Polizist um