Von Rüdiger Rauls
Mit seiner neuen Zollpolitik besonders gegenüber chinesischen Elektroautos macht der politische Westen deutlich, wie sehr er sich wirtschaftlich in der Defensive befindet. Aber solche Abwehrmaßnahmen richten sich nicht nur gegen vermeintliche Angreifer, sondern auch gegen Querulanten im eigenen Lager.
Nichts geht mehr
Der Inflation Reduction Act (IRA) sollte der große Wurf der Biden-Regierung werden. Mit Hunderten von Milliarden Dollars wollte sie die fortschrittlichsten Industrien in den USA sammeln. Man lockte die Unternehmen der westlichen Freunde in den eigenen Wirtschaftsbereich ohne Rücksicht darauf, welchen Schaden man diesen sogenannten Freunden zufügte. Mit viel Geld versüßte man die Entscheidungen der eigenen Unternehmen, im Land Produktionskapazitäten aufzubauen statt in Übersee. Durch höhere Zölle erschwerte man den Zugang zum eigenen Markt für solche Unternehmen, denen die amerikanische Industrie nicht gewachsen war.
Das betrifft hauptsächlich chinesische Unternehmen. Damit ist aber gerade auch jener Wirtschaftsbereich betroffen, den der politische Westen vor wenigen Jahren als industrielles Aushängeschild der eigenen Werteorientierung ausgewiesen hatte: die Umwelttechnologie. Deren Unternehmen sollten nicht nur die Welt retten vor den Gefahren des Klimawandels. Besonders die deutschen Musterschüler der Klimaideologie hatten in den Umwelttechnologien auch die Möglichkeit für die eigene Industrie gesehen, wieder eine führende Rolle in einem Zukunftsmarkt einnehmen zu können.
Aber auch hier, ebenso wie in der herkömmlichen Industrie, übernimmt China zunehmend eine Führungsposition, denn inzwischen haben chinesische Solarmodule, Windkraftanlagen und Batterien den Weltmarkt erobert und westliche Anbieter verdrängt. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich nun auch auf dem Automarkt ab. Sowohl Europäer als auch Amerikaner versuchen, dieser Entwicklung mit protektionistischen Maßnahmen Einhalt zu gebieten.
Geht es den Europäern in erster Linie darum, sich dem wirtschaftlichen Druck vonseiten Chinas zu entziehen, so geht es für die Amerikaner um den Erhalt ihrer strategischen und politischen Vormachtstellung. Diese sehen sie nicht nur durch die wirtschaftliche Entwicklung Chinas bedroht. Zur gleichen Zeit wird sie im militärischen Bereich durch das Erstarken Russlands in Frage gestellt.
Dass Russland zur Verteidigung seiner Interessen nicht vor einem konventionellen Krieg in der Ukraine zurückschreckt, hatte in Washington vermutlich niemand zu Beginn des Jahres 2022 erwartet. Noch weniger hatte man in den NATO-Staaten wohl mit einer so deutlichen Überlegenheit russischer Kriegsführung und Waffentechnologie gerechnet. Nun entsteht zwischen Russland und China auch noch eine Allianz, zu der sich beide durch die Drohgebärden und unkluges politisches Handeln des Westens erst gezwungen sahen.
Dieser Entwicklung ist mit einer Politik nicht beizukommen, die in der westlichen Vorstellung besteht, nur aus einer Position der Stärke heraus eigene Interessen und Werte durchsetzen zu können. In diesem Denken gibt es nur Sieger und Verlierer, ein Nullsummenspiel, bei dem der Vorteil des einen der Nachteil des anderen ist. In der Wirklichkeit hat dieses Denken längst keine Grundlage mehr, weil der politische Westen nicht mehr über diese Stärke verfügt.
Die Amerikaner haben Angst vor einem Krieg mit Russland, weshalb sie in der Ukraine immer darauf achten, dessen rote Linien nicht zu überschreiten. Wenn sie aber Angst vor einem Krieg mit Russland haben, was bleibt ihnen anderes übrig, als das Erstarken einer chinesisch-russischen Allianz zu behindern, indem sie Chinas Wirtschaft Knüppel zwischen die Beine werfen. Deshalb greifen sie auf Mittel zurück, die sie vor wenigen Jahren noch heftig verurteilt und abgelehnt haben: Zölle als protektionistische Maßnahmen. Aber es bleibt ihnen angesichts der wirtschaftlichen Stärke Chinas und der eigenen Schwäche nichts anderes mehr übrig.
Hilflos
Die amerikanischen Zölle, aber auch die zu erwartenden vonseiten der EU, gegen chinesische Waren sind ein Ausdruck von Ratlosigkeit. Da hilft es auch nicht weiter, China der Wettbewerbsverzerrung durch Subvention und unfairer Handelspraktiken zu bezichtigen. Das kann allerhöchstens als Rechtfertigung für die eigenen Gegenmaßnahmen herhalten, ändert aber nichts an Produktionskapazitäten und technischer Überlegenheit. Dieser Vorwurf geht ohnehin ins Leere, weil auch die USA und die Europäer Hunderte von Milliarden locker machen für den Auf- oder Ausbau eigener Produktionsanlagen.
Das bedeutet aber, dass die chinesischen Subventionen wirkungsvoller sind als die westlichen, denn sie ermöglichen die Eroberung westlicher Märkte. Das gelingt den westlichen Subventionen nicht. In seiner Ausweglosigkeit setzt der politische Westen nun auf das fragwürdige Mittel von Importzöllen. "Auf Wettbewerbsschwäche mit höheren Einfuhrzöllen zu reagieren", bezeichnete laut FAZ der Ökonom und ehemalige italienische Schatzminister Giovanni Tria als "Instrument von Entwicklungsländern".
In weiten Teilen der Wirtschaft ist man sich darüber im Klaren, dass das Problem der mangelnden Konkurrenzfähigkeit nur mit der Steigerung der Produktivität zu lösen ist. Aber bisher scheinen die Versuche der Eindämmung Chinas mit wirtschaftlichen Mitteln nicht zu gelingen. Ein Anstieg der Konkurrenzfähigkeit von modernen Produkten der Umwelttechnologie ist weder in Europa noch in den USA zu erkennen. Auch die gewaltigen, von Steuermitteln unterstützten Investitionen in den USA scheinen im Moment nicht mehr hervorzubringen als neue Schuldenberge.
Weiterhin ist China führend in der Herstellung von Batterien, Elektroautos, Hochgeschwindigkeitszügen sowie Solar- und Windkraftanlagen. Selbst gegenüber chinesischen Chips mussten die USA Einfuhrzölle erheben, um diese vom US-Markt fernzuhalten. Dabei handelt es sich bisher nur um Massenchips, nicht jene fortgeschrittenen Schaltkreise, die die USA mit Exportverboten belegt haben. Aber auch hier holt China auf, wie das Beispiel Huawei zeigt. Der Vorsprung des Westens schmilzt.
Hinzu kommt, dass China nicht nur seine Industrie und Wirtschaft modernisiert und konkurrenzfähig gemacht hat, es handelt auch planvoll im Vertrieb seiner Produkte und der Pflege von Wirtschafts- und politischen Beziehungen. Ein solcher Plan war die "Neue Seidenstraße", die sich inzwischen zur Road-and-Belt-Initiative ausgeweitet hat, also den gesamten Erdball erfasst. Die Initiative "Made in China 2025" legte Ziele und Schwerpunkte für die Entwicklung der chinesischen Wirtschaft fest, was ein planvolles Vorgehen in allen Teilen der Welt zur Umsetzung wirtschaftlicher Interessen ermöglicht und die notwendigen finanziellen Mittel sowie politische Unterstützung bereitstellt.
Umsichtig
Wenn nun die USA und die EU den Import von chinesischen Produkten in den eigenen Markt behindern wollen, so treffen die Zölle nicht nur die chinesischen Hersteller, sondern auch die amerikanischen und europäischen Verbraucher. Denn sie bezahlen die Zölle durch höhere Preise auf importierte Produkte oder sie kaufen diese nicht, weil sie zu teuer sind. Das schadet den Importeuren. Aber wenn sich Verbraucher die künstlich verteuerten chinesischen nicht leisten können, dann reicht auch das Geld nicht für die gleich teuren amerikanischen oder europäischen Produkte.
Um diese Nachteile zu vermeiden, gehen chinesische Unternehmen dazu über, Produktionsstätten in diesen durch Zölle geschützten Märkten zu errichten. Der chinesische Autobauer BYD baut in Ungarn ein Werk für den europäischen Raum, weitere sollen folgen. Ebenso entsteht ein Chinesisches in Mexiko zur Bedienung des amerikanischen Marktes. Dabei ist ein sehr kluges Vorgehen zu beobachten, indem man Länder aussucht, für die die Zollbestimmungen nicht gelten, die aber selbst über keine eigene Autoindustrie verfügen, nur über Werke ausländischer Hersteller, wie Ungarn und Mexiko.
Dadurch werden zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen, was den Regierungen jener Länder sehr willkommen ist. Gleichzeitig aber wird nicht die eigene nationale Autoindustrie unter Druck gesetzt, weil es weder in Ungarn noch in Mexiko nationale Autohersteller gibt. Aber es gibt gut ausgebildete Arbeiter in der Autoindustrie, was sich wiederum die chinesischen Neuankömmlinge zunutze machen können.
Wenn man auch in diesen Maßnahmen Wege zur Umgehung der Zölle gefunden hat, so macht China anhand seiner direkten Gegenmaßnahmen deutlich, dass man selbst auch zu vergleichbaren Mitteln greifen kann. Diese sind sehr zielgerichtet und scheinen gut durchdacht. So sollen nur großmotorige Fahrzeuge mit mehr als 2,5 Litern Hubraum mit Zöllen belegt werden, also gerade jene Verbrennungsmotoren der europäischen und amerikanischen Oberklasse.
Bei diesen Importeinschränkungen wären nicht die kleinen Leute in China betroffen, eher die wohlhabenden Gesellschaftskreise, was wohl wenig Protest hervorrufen dürfte. Auch die chinesischen Autohersteller selbst wären nicht nachteilig betroffen, wohingegen die EU-Kommission mit ihren Zollplänen den Protest besonders der deutschen Autobauer heraufbeschwört. Die chinesische Regierung begründete ihre Entscheidung mit Gründen des Umweltschutzes. Was will der werteorientierte Westen dagegen einwenden, zumal SUVs und Luxuslimousinen auch im Westen selbst oft Anstoß erregen?
Amerika droht
Dieses Beispiel zeigt, dass der politische Westen immer öfter mit seinen eigenen Waffen geschlagen wird. Besonders die USA scheinen keine wirkungsvollen Antworten auf die Krisen der Zeit zu finden. Die Ukraine ist im Begriff, trotz aller Geldspritzen aus Washington den Krieg zu verlieren. Wer kommt im Falle der Niederlage für die Kosten, Kredite und Schulden auf? Russland? Man versucht es, aber ob das funktioniert, wird sich noch zeigen. Denn will man mit Russland zu einem Frieden kommen, werden die beschlagnahmten russischen Gelder sicherlich auch ein Teil der Verhandlungen werden.
Die bisherige westliche Politik der Drohungen und Gewalt zeigt immer weniger Wirkung. Auch die Sanktionen scheinen nicht das zu bringen, was man von ihnen erwartet hatte. Russland und China zusammen sind zu stark und keineswegs isoliert. Das zeigen die viele Möglichkeiten, die Sanktionen zu umgehen. Das scheint man nun verstärkt angehen zu wollen, auch gegenüber Freunden und Partnern.
Die Drohungen gegenüber Drittstaaten und Sekundärsanktionen der USA nehmen zu, sogar gegenüber Staaten, die eigentlich als Verbündete gelten, auch wenn sie nicht die Sanktionen mittragen, wie die Türkei. Aber die USA scheinen vor nichts mehr Halt zu machen, um ihren politischen Willen durchzusetzen und sich trotzig gegen die Erkenntnis zu wehren, dass Russland militärisch nicht zu besiegen ist und China nicht wirtschaftlich.
Man könnte es als Ausdruck dieser Hilflosigkeit werten, dass nun die US-Finanzministerin Janet Yellen auch den europäischen Banken mit amerikanischen Sekundärsanktionen droht. Anlässlich einer Veranstaltung in Frankfurt stellte sie laut FAZ fest, dass Russland "vor allem über China, die Vereinigten Arabischen Emirate und die Türkei die Sanktionen zu umgehen" versuche. In diesem Zusammenhang forderte sie die deutschen Banken auf, "Schlupflöcher zur Umgehung von Sanktionen gegen Russland" zu schließen, "sonst könnte es auch Sanktionen gegen die Institute selbst geben".
Vielleicht kennt Frau Yellen das Märchen vom Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel nicht. Man muss es auch nicht, um zu erkennen, dass die Kreativität bei der Umgehung der Sanktionen größer ist als die der Gegenmaßnahmen. Das hat die weitgehende Wirkungslosigkeit von bisher dreizehn Sanktionspaketen gezeigt. Eines sollten die USA dabei nicht vergessen: Je mehr Länder, Unternehmen und Personen sie mit Sanktionen belegen, umso größer wird die Zahl derer, die an deren Umgehung arbeiten. Die Zahl der Freunde schwindet mit der Zahl der Sanktionierten. Die USA sind auf dem besten Wege, sich in ihrem Sanktionsregime einzuigeln.
Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den Blog Politische Analyse.
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