Am Dienstag verstarb der zweite Whistleblower, der zuvor Sicherheitsmängel beim US-Flugzeughersteller Boeing enthüllt hatte. Joshua Dean, der für einen Boeing-Zulieferer arbeitete und über haarsträubende Mängel bei der Produktion von Bauteilen berichtete, starb im Alter von 45 Jahren nach einer "unerwarteten, sich schnell ausbreitenden Infektion".
Zwei Monate zuvor, am 9. März, war bereits der erste Whistleblower tot aufgefunden worden. John Barnett hatte 32 Jahre lang als Qualitätsprüfer für den Konzern gearbeitet. Wenige Tage nach seiner Aussage in einem Gerichtsverfahren gegen das Unternehmen und kurz vor einer erneuten Aussage wurde er leblos in einer Hotelgarage in Charleston im US-Bundesstaat South Carolina aufgefunden.
In seiner rechten Schläfe klaffte eine Schusswunde, sein rechter Zeigefinger steckte am Abzug einer Handfeuerwaffe. Der Gerichtsmediziner bestätigte, dass der 62-jährige Ingenieur an einer "offensichtlich selbst zugefügten Schusswunde" gestorben sei.
Doch Barnetts Anwälte halten einen Selbstmord für unwahrscheinlich. Laut ihnen sei der Whistleblower "sehr gut gelaunt" gewesen und habe sich darauf gefreut, "diese Phase seines Lebens hinter sich zu lassen". "Wir sahen keine Anzeichen dafür, dass er sich das Leben nehmen würde", schrieben die Anwälte Brian Knowles und Robert Turkewitz in einer Erklärung.
Knowles hatte beide Verstorbenen vertreten. Gegenüber der New York Post äußerte er die Befürchtung, dass deren Tod andere Whistleblower abschrecken könnte, deren Zahl auf mindestens zehn geschätzt wird. Ihr Tod dürfe nicht umsonst gewesen sein, so Knowles.
"Diese Männer waren Helden. So wie alle Whistleblower. Sie liebten das Unternehmen und wollten ihm helfen, sich zu verbessern. Sie haben sich nicht geäußert, um sich zu profilieren oder um berühmt zu werden. Sie haben Bedenken geäußert, weil das Leben von Menschen auf dem Spiel steht."
Zum Tod von Barnett sagte der Anwalt, dass er den Ingenieur sieben Jahre lang kannte und "nie etwas gesehen habe, was darauf hindeutet, dass er sich das Leben nehmen würde". Zugleich betonte er: "Andererseits hatte ich noch nie mit jemandem zu tun, der sich das Leben genommen hat, vielleicht sieht man die Anzeichen nicht. Ich weiß es nicht."
Boeing steckt in einer schweren Krise, nachdem es in den letzten Jahren vor allem beim Typ 737 – und hier insbesondere beim Modell 737 Max – immer wieder zu schweren Pannen kam, von denen einige zu Abstürzen mit zahlreichen Toten führten. Vor einer Woche kam es abermals zum Verlust eines Flugzeugteils während des Flugs.
Nach den gehäuften Vorfällen hat nicht nur die Aktie von Boeing deutlich an Wert verloren, die Ratingagentur Moody’s hat das Unternehmen auf Baaa3 herabgestuft, das ist gerade noch eine Stufe über "Müll". Der Konzern hat nach eigenen Angaben im ersten Quartal dieses Jahres 355 Millionen US-Dollar bei sinkenden Umsätzen verloren.
Ed Pierson war leitender Angestellter im Boeing-737-Werk in Renton, Washington, und verließ den Konzern vor sechs Jahren, um die "Foundation for Aviation Safety" ("Stiftung für Flugsicherheit") zu gründen.
Er hatte vor den beiden Abstürzen der Boeing 737 Max in den Jahren 2018 und 2019, bei denen 346 Menschen ums Leben kamen, die Führungskräfte des Unternehmens dazu zu bewegen versucht, die Produktion des Flugzeugs einzustellen. Gegenüber der New York Post sagte der 61-Jährige:
"Es ist im Moment ein instabiles Unternehmen, von oben bis unten. Die Unternehmensführung ist so sehr darauf fixiert, die Wahrheit nicht zuzugeben, dass sie überhaupt nichts zugeben kann."
Pierson nahm kein Blatt vor den Mund, als er im vergangenen Monat vor dem Kongress die Boeing-Bosse einer "kriminellen Vertuschung" bezichtigte. "Boeing ist eine amerikanische Ikone. Dieses Unternehmen ist unglaublich wichtig für unser Land, sowohl wirtschaftlich als auch in Bezug auf die nationale Sicherheit mit seiner kommerziellen Luftfahrt und seiner militärischen Verteidigungsarbeit. Aber es funktioniert nicht, wenn die falschen Leute den Bus steuern", so Pierson gegenüber der US-Zeitung.
"Der Profit hat den historisch berühmten Stolz von Boeing abgelöst. Es geht nur noch um Profitgier", sagte Peter Lake, ein Luftfahrtexperte, der im Laufe der Jahre eine Reihe von Flugzeugabstürzen untersucht hat, gegenüber der New York Post. Wie sehr der Ruf des Flugzeugherstellers innerhalb der Branche gelitten hat, verdeutlichen seine folgenden Worte:
"Es ist zu einem gängigen Witz geworden, dass die Leute bei jeder Fehlfunktion eines Flugzeugs sagen, es liege an Boeing. Southwest Airlines hatte kürzlich einen Triebwerksausfall, und die Leute gaben ignoranterweise Boeing die Schuld. Das zeigt, unter was für einer Wolke das Unternehmen steht. Wer weiß, ob es in der Lage sein wird, sich aus diesem Desaster herauszuziehen?"
Doch dazu müssten sich bei Boeing erst grundlegende Dinge verändern. Es gebe bei dem Flugzeugbauer "keine Sicherheitskultur", beklagte vor einem Monat der Whistleblower Sam Salehpour gegenüber dem US-Kongress. Laut dem Boeing-Ingenieur würden in dem Unternehmen Beschäftigte, die wegen Sicherheitsmängeln Alarm schlagen, "ignoriert, ausgegrenzt, bedroht und Schlimmeres".
"Die Sicherheitsprobleme, die ich bei Boeing beobachtet habe, könnten, wenn sie nicht behoben werden, zu einem katastrophalen Ausfall eines Verkehrsflugzeugs führen, der Hunderte von Menschenleben kosten würde", betonte Salehpour.
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