Die Diskussion über den Ukraine-Konflikt wird in den USA deutlich rationaler geführt als in Deutschland. Zwar wird auch in den USA zu Schlagzeilen wie "Kampf für Demokratie und Souveränität" gegriffen, allerdings fehlt der Diskussion in den USA die moralische Überhöhung, von der sie in Deutschland getragen wird und aus der sie sich bisher nicht befreien konnte.
Der öffentlichen Diskussion in den USA gelingt es daher besser als in Deutschland, Fakten in den Blick zu nehmen und sie zu gewichten. In Deutschland wird die gesinnungsethische Haltung dagegen über die Fakten gestellt, was die Suche nach Lösungen und einem Weg aus dem Konflikt erschwert, wenn nicht gar völlig verhindert.
Weil das aber in den USA möglich ist, wird in den USA inzwischen immer häufiger und ganz offen über ein Ende der Unterstützung der Ukraine gesprochen und ein Einfrieren des Konflikts gefordert.
Erst vor wenigen Tagen veröffentlichte CNN die Ergebnisse einer Umfrage, nach der eine Mehrheit der US-Amerikaner ein Ende der Unterstützung der Ukraine fordert. Nun legt der Geostratege Brahma Chellaney in der renommierten Zeitung The Hill mit einem Beitrag nach, der mit "Bidens Ukraine-Strategie scheitert" überschrieben ist.
Er resümiert, die massive Unterstützung der Ukraine habe bisher nicht den gewünschten Erfolg gehabt.
"Es ist einfacher, ein Land weiterhin zu finanzieren und zu bewaffnen, wenn es gut läuft. Doch die Gegenoffensive der Ukraine gegen die verschanzten russischen Invasoren scheitert, obwohl der Westen ukrainische Verbände mit neuen Waffen im Wert von zig Milliarden Dollar ausrüstet und Soldaten an den Waffen ausbildet."
Bereits in den ersten zwei Wochen der im Juni begonnenen Gegenoffensive habe das ukrainische Militär 20 Prozent der zuvor erhaltenen ausländischen Waffen und Waffensysteme verloren, schreibt Chellaney ernüchtert.
Währenddessen hat die militärische Unterstützung der Ukraine auch die USA nachhaltig geschwächt. Dem Land geht die Munition für die weitere Unterstützung aus, gab US-Präsident Biden in einem Interview unumwunden zu, der mit dem Mangel an konventioneller Munition die Lieferung von international geächteten Streubomben zu legitimieren versuche. Man habe nichts anderes.
Aber nicht nur die USA seien durch den Ukraine-Konflikt deutlich stärker geschwächt als Russland, hebt Chellaney hervor. China habe im Gegenteil sogar vom Konflikt profitiert und konnte sowohl seinen geopolitischen Einfluss als auch seine wirtschaftliche Position stärken. Das Sanktionsregime des Westens habe China in die Hände gespielt. Faktisch ist damit das Sanktionsregime, mit dem die russische Wirtschaft zerstört werden sollte, ebenfalls gescheitert.
"Die von den USA verhängten Sanktionen gegen Russland tragen jedoch dazu bei, Chinas kommerzielle und strategische Interessen voranzutreiben, ohne die Kriegsmaschinerie des Kremls einzudämmen oder den russischen Präsidenten Wladimir Putin an den Verhandlungstisch zu drängen."
Obwohl Chellaney analog zur außenpolitischen Strategiie der USA die eigentliche Herausforderung nicht in Russland, sondern in China sieht, stellt er fest, dass die Militärhilfe für die Ukraine, die für Taiwan weit übersteigt. Der letzte verabschiedete US-Haushalt sieht 45 Milliarden Dollar an Unterstützung für die Ukraine, aber nur 2 Milliarden für Taiwan vor. Der Ukraine-Krieg schwächt die USA zu einem Zeitpunkt, an dem die Spannungen im Indopazifik zunehmen.
"Eine stärkere Beteiligung der USA an dem, was mittlerweile ein Zermürbungskrieg ist, kann nur die militärischen Ressourcen des Westens belasten. Es würde die Stärke der USA in einer Zeit wachsender Sicherheitsherausforderungen in der indopazifischen Region schwächen. Tatsächlich schwächt die Menge amerikanischer Waffen, die in die Ukraine geflossen ist, bereits die militärische Macht der USA in Asien."
Der Beitrag wirbt daher wie schon der ehemalige Außenminister Henry Kissinger und der Think-Tank RAND Corporation für das Einfrieren des Konflikts nach Vorbild Koreas. Dabei würde die Ukraine die Realität anerkennen und Gebiete abtreten. Den Plan einer Wiedervereinigung würde sie nicht aufgeben, aber auf eine unbestimmte Zukunft aufschieben.
Damit zeichnet sich immer deutlicher ab, dass sich die USA aus ihrem Engagement für die Ukraine in den nächsten Monaten zurückziehen werden. Es wäre wünschenswert, dass auch in Deutschland die Diskussion an Sachlichkeit zunimmt, schon allein um nicht von den Entwicklungen überrollt zu werden. Hoffnung darauf gibt es allerdings kaum. Deutschland gefällt sich in der Position des moralischen Lehrmeisters, von der aus allerdings kein Beitrag zur Lösung realer Probleme geleistet werden kann.
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