Von Alexei Latyschew und Jelisaweta Komarowa
Washington könnte sich zu einer Eskalation des Ukraine-Konflikts im Jahr 2024 entschließen, wenn dies notwendig sein sollte, um die Wählerunterstützung bei den Präsidentschaftswahlen in den USA zu sichern, erklärte der Vize-Sprecher des russischen Föderationsrats, Konstantin Kossatschow in einem Interview an die Zeitung Argumenty i Fakty.
"Das ist eine sehr gefährliche Situation, denn die US-Amerikaner haben keine Bedenken, Außenpolitik im Interesse der eigenen innerparteilichen Kämpfe auszunutzen. Sollte die eine oder andere Partei eine Zunahme der Eskalation in der Ukraine benötigen, um zusätzliche Stimmen zu erhalten, werden sie es tun. Somit kann die Tatsache, dass der Höhepunkt der Präsidentschaftswahlkampagne in den USA auf das Jahr 2024 fällt, zu einem sehr unglücklichen, wenn nicht gar verhängnisvollen Umstand werden", sagte der Senator.
Seiner Meinung nach werde die Unvorhersehbarkeit der US-Politik mit dem Näherkommen der Wahlen nur zunehmen.
"Ich kann nicht sagen, dass eine Eskalation unbedingt passieren wird, doch ein solches Risiko ist da, für mich ist das offensichtlich. Die Unvorhersehbarkeit des Verhaltens der USA wird zunehmen, der Schwanz kann wieder anfangen, mit dem Hund zu wedeln", bemerkte Kossatschow.
Dabei vermutete der Politiker, dass die Lieferung von F-16-Jets und Langstreckenraketen an die Ukraine das Risiko des Ausbruchs eines Nuklearkonflikts steigern werde.
"Allein aus dem Selbsterhaltungstrieb sollten sich die USA darüber im Klaren sein, dass es per definitionem nicht möglich ist, einer Nuklearmacht, wie es Russland ist, eine militärische Niederlage zuzufügen. Und eine Eskalation der Kampfhandlungen unter Einsatz von immer schwereren Waffen mit immer größerer Reichweite und größerem Zerstörungspotenzial wird nur dazu führen, dass das Risiko eines Einsatzes von Nuklearwaffen zunehmen wird. Glücklicherweise sind wir noch nicht so weit gekommen. Doch die Gefahr einer solchen Entwicklung ist da", schlussfolgerte Kossatschow.
Diskussionen über die Ukraine
In den USA steht bereits eine Reihe von Hauptkandidaten für die am 5. November 2024 stattfindenden Präsidentschaftswahlen fest. Und zwischen diesen Politikern kommt es immer wieder zur Polemik bezüglich der Ukraine-Frage.
So sagte im März der Republikaner Donald Trump, der seine Kandidatur angekündigt hatte, dass Kampfhandlungen in der Ukraine in einen "nuklearen Weltkrieg" münden könnten, wenn sie in den nächsten anderthalb Jahren eingestellt werden. Trump zufolge entstehe das Risiko eines dritten Weltkriegs wegen "Idioten, die selbst nicht wissen, was sie tun".
"Das ist schlicht ein Unding, und die Sache ist, dass bei uns Menschen sitzen, die nicht verstehen, was sie da tun. Doch wenn es sich nicht löst, werde ich es selbst binnen 24 Stunden sowohl mit Selenskij als auch mit Putin lösen", behauptete der Ex-Präsident.
Im Juli wandte sich Trump an den Kongress mit der Bitte, die finanzielle Unterstützung der Ukraine einzustellen, bis die US-Behörden eine Ermittlung gegen Joe Biden und dessen Sohn Hunter abschließen.
Ein weiterer republikanischer Kandidat, Floridas Gouverneur Ron DeSantis, steht der Rolle der USA in der Ukraine-Krise ebenfalls skeptisch gegenüber. Nach seiner Meinung entspreche Washingtons Teilnahme an diesem Konflikt nicht den nationalen Interessen des Landes. Er ist sich sicher, dass eine uneingeschränkte Finanzierung des Konflikts durch die Biden-Administration "so lange wie nötig" und ohne klar definierte Ziele oder Rechenschaftspflicht von der Lösung der dringendsten Fragen der USA selbst ablenke.
Seinerseits schlug der ebenfalls für den Spitzenposten des Landes kandidierende republikanische Unternehmer Vivek Ramaswamy seinen eigenen Plan zur Lösung des Ukraine-Konflikts vor. Seine Initiative sieht unter anderem einen Verzicht Kiews auf einige Gebiete und eine Einstellung der Unterstützung der Ukraine durch Washington vor. Im Gegenzug erwartet Ramaswamy von Moskau Zugeständnisse in anderen Bereichen, darunter eine Einstellung der Zusammenarbeit mit China und eine Rückkehr in den START-Vertrag.
Eine andere Ansicht vertritt die ehemalige Botschafterin der USA bei der UNO, Nikki Haley, die ebenfalls vonseiten der Republikanischen Partei für die Präsidentschaft zu kandidieren plant. Sie tritt für eine schnellstmögliche Aufnahme der Ukraine in die NATO ein und hält Bidens Position in dieser Frage für zu zaghaft. Ferner bezeichnete Haley den Ukraine-Konflikt als einen "Krieg um die Freiheit", den die USA gewinnen müssen.
Haleys Ansicht wird zu einem gewissen Grad von den republikanischen Kandidaten Chris Christie, dem ehemaligen Gouverneur von New Jersey, Mike Pence, ehemaliger Vizepräsident unter Trump, Tim Scott, Senator aus South Carolina, sowie Doug Burgum, Gouverneur von North Dakota, vertreten.
Unter den Kandidaten der Demokratischen Partei sind die Meinungen zur Ukraine ebenfalls gespalten. Wie Experten anmerken, ist der gegenwärtige US-Präsident Joe Biden in vielerlei Hinsicht der Verursacher der ukrainischen Krise. Gerade unter aktiver Teilnahme der Administration von Barack Obama, wo Biden den Posten des Vizepräsidenten bekleidet hatte, war es im Jahr 2014 zu einem Putsch in der Ukraine gekommen. Daraufhin begann Kiew mit Unterstützung Washingtons eine Strafaktion gegen den Donbass.
Nachdem er im Jahr 2021 an die Macht gekommen war, intensivierte Biden seine Unterstützung für Kiew. Während seiner Amtszeit erreichte die Militärhilfe der USA für die Ukraine einen Rekordwert von 43,7 Milliarden US-Dollar.
Gegenwärtig demonstriert das Weiße Haus keine Anzeichen dafür, seine Politik in der Ukraine-Krise revidieren zu wollen. Im Gegenteil, Washington sei bereit, bei Waffenlieferungen an Kiew Risiken einzugehen, wie der Assistent des Präsidenten für nationale Sicherheit, Jake Sullivan, im Juli erklärte.
Seinerseits glaubt Bidens Rivale bei den kommenden Vorwahlen, Rechtsanwalt Robert Kennedy Jr., dass die Rolle der USA im Ukraine-Konflikt "für das ukrainische Volk schrecklich" sei.
"Wir versäumten sehr viele Möglichkeiten, diesen Konflikt friedlich zu regeln. Ich denke, die Art, wie wir diesen Konflikt führen, ist schlecht … schrecklich für das ukrainische Volk", sagte er in einem Interview gegenüber dem Fernsehkanal NewsNation.
Kennedy zufolge haben die USA die Ukraine in ein "Bauernopfer" in einem Stellvertreterkrieg zwischen Russland und den Vereinigten Staaten verwandelt.
"Man sagte uns, das sei eine humanitäre Operation. Doch als man Präsident Biden fragte, warum wir dort sind, antwortete er, um Putins Regime zu wechseln", sagte Kennedy.
Die dritte Kandidatin der Demokraten, die Schriftstellerin Marianne Williamson, kritisiert zwar die Militarisierung der Außenpolitik der USA, tritt aber dennoch für eine Fortsetzung der Militärhilfe an die Ukraine ein.
"Form des politischen Selbstmords"
Nach Ansicht der Analytiker sei das Weiße Haus daran interessiert, das Thema der Ukraine von der Tagesordnung der Wahlen 2024 zu streichen. Allerdings hoffen die Demokraten, das zu tun, indem sie den Konflikt zu eigenen Gunsten wenden und damit den Diskussionen über die Zweckmäßigkeit der Unterstützung der Ukraine ein Ende setzen, sagen Spezialisten.
"Bidens Administration ist daran interessiert, den Einfluss des ukrainischen Faktors auf US-amerikanische Innenpolitik zu minimieren. Dazu muss das Weiße Haus auf diesem Feld ein solches Ergebnis erzielen, das der Öffentlichkeit als ein Sieg des Kiewer Regimes präsentiert werden könnte. Und das müsste zum Ende des Jahres 2023 erreicht werden, spätestens im Januar-Februar 2024", erklärte der Professor der Moskauer Wirtschaftshochschule Dmitri Jewstafjew in einem Gespräch mit RT.
Nachdem Trump bei seiner Wahlkampagne das Thema der Ukraine zur wichtigsten Schwachstelle des Weißen Hauses erhoben habe und sie entsprechend angreife, sei Biden dazu verdammt, den Konflikt in der Ukraine immer weiter zu eskalieren, erklärte Jewstafjew.
Im Gegensatz dazu glaubt eine Reihe von westlichen Experten, dass sich Washington im Hinblick auf die kommenden Wahlen auf Friedensverhandlungen im Ukraine-Konflikt vorbereite. Insbesondere äußerte diese Ansicht der Kolumnist der Zeitung The Telegraph Richard Kemp. Dennoch vermutet Jewstafjew, dass die USA vor dem Hintergrund der militärischen Niederlagen des Kiewer Regimes keinen Waffenstillstand akzeptieren würden.
"Das Weiße Haus könnte eine Konfliktpause im Fall eines Erstarkens des Kiewer Regimes akzeptieren, doch nicht bei den Niederlagen des ukrainischen Militärs. Eine Pause während eines Abstiegs wird den Druck auf Bidens Administration vonseiten ihrer Gegner nur noch stärken", erklärte Jewstafjew.
Der Politologe fügte hinzu, dass eine solche Pause für die USA vor dem Beginn der groß angekündigten Gegenoffensive hinnehmbar wäre, aber nicht jetzt.
"Vor der ukrainischen Offensive gelang es dem Weißen Haus, die Lage in der Ukraine als einen gewissen Erfolg darzustellen. Doch jetzt, bei der riesigen Menge an Videobeweisen für katastrophale Folgen der ukrainischen Offensive, wäre ein Einfrieren des Konflikts eine Form des politischen Selbstmords für Bidens Administration", sagte Jewstafjew.
Seinerseits glaubt der Experte des Internationalen Instituts für humanitär-politische Studien, Wladimir Bruter, dass die US-Regierung ihre Ukraine-Strategie während der Wahlkampfperiode noch nicht festgelegt habe.
"Das Grundschema für das Jahr 2024 sah für die Demokraten folgendermaßen aus: Sie wollten bei der ukrainischen Offensive Erfolge erzielen und danach versuchen, Russland zur Aufgabe seiner Positionen zu zwingen. Allerdings hat sich das Weiße Haus noch nicht entschieden, wie sie im Fall eines Scheiterns dieses Plans agieren werden. Sie werden noch anderthalb oder zwei Monate versuchen, in der Ukraine anzugreifen, bis sich die Ressourcen, die sie gesammelt hatten, erschöpfen. Doch danach werden sie auf eine andere Variante umsteigen müssen", erklärte der Politologe gegenüber RT.
Zu einer solchen Alternative könnte für das Weiße Haus das Einfrieren des Konflikts werden, bemerkte der Analytiker. Der Experte schloss nicht aus, dass die USA versuchen würden, eine Demarkationslinie zu ziehen, die den Status quo bewahrt. Möglicherweise würden sie eine Variante des Waffenstillstands vorschlagen, wahrscheinlich temporär, um die Wahlen nicht zu stören.
"Es gibt aber keine Garantien, dass eine solche Pause umsetzbar ist. Deswegen bleibt die Lage für Washington ungewiss, und es ist verfrüht, darüber zu sprechen, wie die Politik der USA im Jahr 2024 sein wird. Zu viele Faktoren, von denen die Aktionen des Weißen Hauses abhängen werden, sind noch ungewiss", schlussfolgerte Bruter.
Übersetzt aus dem Russischen.
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