Der ehemalige UN-Korrespondent für das Wall Street Journal und aktuelle Chefredakteur der unabhängigen Plattform Consortium News Joe Lauriaordnet die Pentagon-Leaks in einen breiteren Kontext ein. Über das Leak berichteten US-amerikanische Medien breit. So schrieb unter anderem die Washington Post unter Bezugnahme auf die geleakten Dokumente: "Die USA bezweifeln, dass die ukrainische Gegenoffensive zu einem großen Erfolg wird."
Lauria verweist darauf, dass die großen US-Medien damit faktisch zugeben, dass sie ihr Publikum bis dato in Bezug auf den Krieg in der Ukraine belogen haben. Wie auch deutsche Medien und deutsche Politiker behaupten US-Medien sowie das Weiße Haus, der Kampf könnte von der Ukraine gewonnen und ein Sieg über Russland errungen werden.
Die veröffentlichten Dokumente zeigen aber, dass dies nicht der Fall ist, sondern im Gegenteil die lange und vor allem laut von der Ukraine angekündigte Gegenoffensive scheitern wird – sofern sie überhaupt stattfindet. Dies ist im Pentagon lange bekannt. Lauria schlussfolgert, die Öffentlichkeit sei belogen worden. Die Konzernmedien haben diese Lüge gestützt, indem sie sie unhinterfragt weitergaben. Sie sind an ihrem journalistischen Auftrag gescheitert.
Lauria ordnet die Leaks in eine sich ändernde Kommunikationsstrategie ein. Seiner Meinung nach wird die US-amerikanische Öffentlichkeit sukzessive auf eine Änderung der Ziele im Ukraine-Krieg vorbereitet. Die Suche nach einer Verhandlungslösung wird immer weiter in den Fokus rücken, ist er sicher.
Dafür spricht auch ein Beitrag im Magazin Foreign Affairs von den ehemaligen Mitarbeitern des US-Außenministeriums Richard Haas und Charles Kupchan, Mitglied im Thinktank Council on Foreign Relations. Sie schreiben:
"Der beste Weg ist eine zweigleisige Strategie, die darauf abzielt, zunächst die militärischen Fähigkeiten der Ukraine zu stärken und dann, wenn sich die Kämpfe ihrem Ende nähern, Moskau und Kiew an den Verhandlungstisch zu führen."
Die Idee, Russland sei zu Verhandlungen bereit, nachdem die Ukraine umfassende Geländegewinne gemacht habe, sei jedoch unrealistisch, schreibt Lauria. Zumal selbst der Artikel in Foreign Affairs ausführt, die russische Armee sei zahlenmäßig überlegen und die ukrainischen Streitkräfte stünden zunehmend unter Druck, sowohl was angesichts der hohen Verluste die Mannstärke als auch die Hilfe aus dem Ausland angeht.
Diese Hilfe durch Waffenlieferungen kommt zunehmend ins Stocken. Der Westen leidet angesichts des hohen Verbrauchs an Artillerie-Geschossen inzwischen selbst unter Munitionsmangel. Er kann zudem im Gegensatz zu Russland die Produktion nicht zeitnah ausweiten. Der investigative Blog Zero Hedge weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass auch der Versuch einer kostengünstigen Aufrüstung von ungelenkten Geschossen in gelenkte Smart Bombs durch die USA gescheitert ist. Russland blockiert einfach das GPS-Signal, das zur Steuerung notwendig ist. Da Russland mit GLONASS über ein eigenes satellitengestütztes Navigationssystem verfügt, ist es von der Blockade nicht betroffen.
All diese Nachrichten kommen für den durchschnittlichen Nachrichtenkonsumenten überraschend. Der wurde von den Konzernmedien nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland hinsichtlich der Ukraine und ihrer militärischen Stärke desinformiert.
Insbesondere deutsche Medien speisten ihre Konsumenten mit echten Fakes ab. So wurde behauptet, russische Soldaten kämpften inzwischen mit Spaten. Das RedaktionsNetzwerk Deutschland befragte dazu sogar einen Experten, der zu dem Ergebnis kam, dass die vom britischen Geheimdienst lancierten Informationen tatsächlich wahr seien.
Angesichts der tatsächlichen militärischen Erfolge Russlands werden diese Medien nun umschwenken und ihr bisheriges Narrativ korrigieren müssen. Gesichtswahrung dürfte dabei im Vordergrund stehen. Klar ist inzwischen, dass sich die bedingungslose Unterstützung für die Ukraine nicht durchhalten lässt. Das Narrativ muss wieder eingefangen werden.
Westliche Medien werden ihre Leser und Zuschauer daher auf eine Verhandlungslösung vorbereiten. Wie diese aussehen könnte, machen die Autoren des Beitrags in Foreign Affairs ebenfalls deutlich: Die NATO-Alliierten könnten einen strategischen Dialog mit Russland initiieren und über Waffenkontrolle und eine breitere europäische Sicherheitsarchitekur unter Berücksichtigung russischer Sicherheitsinteressen sprechen.
Dies allerdings wäre der Gipfel des Zynismus, denn noch im Dezember 2021, kurz vor Kriegsbeginn, wandte sich Russland an die NATO und die USA mit der Forderung nach Sicherheitsgarantien. Russland erhielt darauf eine unbefriedigende, ausweichende Antwort. Über ein Jahr und hunderttausende Tote später scheint der Westen nun bereit, diese Forderung Russlands zu erfüllen. Die Ukraine hat dafür einen hohen Preis gezahlt.
Es gibt jedoch auch die Stimmen der neokonservativen Hardliner, die zum Frieden noch immer nicht bereit sind. Der ehemalige Sicherheitsberater John Bolton fordert eine Erhöhung der Militärausgaben und die weitere Ausdehnung der NATO. Japan, Australien und Israel sollen seiner Vorstellung nach ins Bündnis aufgenommen werden. Er setzt nach wie vor auf einen Sieg der Ukraine und will dann die Achse Moskau–Peking zerschlagen. Realistisch ist das angesichts der faktischen Gegebenheiten nicht. Dennoch dürfte es in den USA Stimmen geben, die diesen Weg für gangbar halten und daher an seiner Umsetzung arbeiten werden.
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