Die US-Regierung hat die chinesischen Eigentümer von TikTok, den Technologiekonzern ByteDance, dazu aufgefordert, seine Unternehmensanteile an der beliebten Video-App zu veräußern. Andernfalls sei in den USA mit einem möglichen Verbot der insbesondere bei jungen Menschen beliebten App zu rechnen, bestätigte der Konzern am Mittwoch einen Bericht des Wall Street Journals. Demnach habe der vom US-Finanzministerium geleitete Ausschuss für ausländische Investitionen in den Vereinigten Staaten (CFIUS) – ein behördenübergreifendes Gremium, das ausländische Investitionen in den USA bewertet – eine entsprechende Forderung gestellt.
Sowohl Gesetzgeber als auch Beamte in den USA hatten zuvor die Befürchtung geäußert, dass die Daten von amerikanischen TikTok-Nutzern an die chinesische Regierung weitergegeben werden könnten. Denn wie viele andere Social-Media-Anwendungen greift auch TikTok zahlreiche Daten seiner Nutzer ab, darunter deren Aufenthaltsort, das Geburtsdatum und die Nutzungsgewohnheiten – also welche Videos sich ein Nutzer wie lange anschaut. Ins Rollen gekommen war die Debatte um den umstrittenen Videodienst, nachdem der Mutterkonzern ByteDance vor wenigen Monaten hatte einräumen müssen, dass in Peking ansässige Mitarbeiter des Unternehmens unrechtmäßig auf Informationen von amerikanischen und europäischen TikTok-Nutzern zugegriffen hatten. Mit dem Eingeständnis reagierte der Konzern auf einen Forbes-Bericht, der sich auf geleakte interne Dokumente des Social-Media-Riesen stützte.
Aus den Forbes vorliegenden Unterlagen ging hervor, dass ein interner Prüfungsausschuss von ByteDance, die sogenannte "Abteilung für Innenrevision und Risikokontrolle", geplant hatte, TikTok anzuweisen, den Standort einiger bestimmter US-Nutzer zu ermitteln. Die Gruppe befasst sich normalerweise mit internen, mitarbeiterbezogenen Angelegenheiten. Allerdings waren die in den USA ansässigen Zielpersonen dem Bericht zufolge nicht mit TikTok oder ByteDance verbunden. In mindestens zwei Fällen soll das Team der Innenrevision demnach zumindest geplant haben, Geodaten eines US-Bürgers zu sammeln, der "nicht in Verbindung mit dem Unternehmen stand", schrieb Forbes damals.
Nach den Enthüllungen wurde bekannt, dass von dem chinesischen Social-Media-Konzern zudem die Aufenthaltsorte von Forbes-Journalisten ermittelt worden waren. Das Unternehmen wollte demnach herausfinden, ob sie sich mit ByteDance-Mitarbeitern getroffen hatten, denen unterstellt wurde, interne Daten an die Presse gegeben zu haben. Angesichts Chinas nationaler Sicherheitspolitik, die der Regierung einen leichten Zugang zu allen Daten gewährt, die TikTok speichert, sind Länder wie die USA daher zunehmend besorgt. Die beliebte Videostreaming-App TikTok, die allein in den USA Millionen von Nutzern hat, steht in den Vereinigten Staaten deshalb im Mittelpunkt einer lang anhaltenden Debatte über die nationale Sicherheit.
Denn die hauptsächlich bei Teenagern beliebte Anwendung könnte der chinesischen Regierung nach Ansicht vieler Sicherheitsexperten klammheimlich Tür und Angel öffnen, um an sensible Informationen zu gelangen. Gleichzeitig befürchten US-Politiker, dass TikTok von Peking für Propagandazwecke missbraucht werden könnte. Angesichts der mit der Nutzung der Anwendung einhergehenden Gefahren für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten hatte der US-Kongress im Dezember ein Gesetz verabschiedet, das die App auf Regierungsgeräten verbietet.
Auch zahlreiche Parlamente der einzelnen US-Bundesstaaten und Universitäten folgten diesem Beispiel und untersagten ihren Mitarbeitern kurzerhand die Nutzung der Social-Media-Plattform auf Geräten, die Behörden gehören. Anfang März verabschiedete der zuständige Ausschuss im US-Repräsentantenhaus zudem einen Gesetzentwurf, der TikTok in den USA grundsätzlich verbieten würde. China unterstellte den USA daraufhin, "ihre staatliche Macht" zu missbrauchen. TikTok gab am Mittwoch keine weiteren Details über die neue Forderung des CFIUS bekannt, entgegnete aber, dass ein Verkauf die vermeintlichen Sicherheitsprobleme nicht lösen würde. "Wenn der Schutz der nationalen Sicherheit das Ziel ist, löst ein Verkauf das Problem nicht: Eine Änderung der Eigentumsverhältnisse würde keine neuen Beschränkungen des Datenflusses oder -zugangs mit sich bringen", erklärte TikTok-Sprecherin Maureen Shanahan gegenüber US-Medien:
"Der beste Weg, um Bedenken hinsichtlich der nationalen Sicherheit auszuräumen, ist der transparente, in den USA ansässige Schutz der Daten und Systeme von US-Benutzern mit einer robusten Überwachung, Überprüfung und Verifizierung durch Dritte, die wir bereits durchführen."
TikTok und CFIUS verhandeln seit mehr als zwei Jahren darüber, wie die App in den USA weiter betrieben werden kann. Noch im Dezember erwog die Biden-Administration deshalb einen Kompromiss, der es TikTok erlaubt hätte, in den USA unter dem Eigentum der chinesischen Muttergesellschaft ByteDance weiter zu operieren. Die Vereinbarung hätte demnach beinhalten sollen, dass der Datenverkehr der US-Nutzer über Server des US-amerikanischen Cloud-Computing-Unternehmens Oracle geleitet wird, wobei der in den USA ansässige Datenbank-Gigant die Algorithmen der App hätte prüfen sollen. Wegen der jüngsten Datenskandale des Social-Media-Konzerns sind die Bemühungen des US-Präsidenten, die Wogen zu glätten, zuletzt jedoch ins Stocken geraten, da die App nach Ansicht der US-Sicherheitsbehörden weiterhin eine Bedrohung für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten darstellt.
Ungeachtet der neusten CFIUS-Androhung erklärte das Unternehmen am Mittwoch, vorerst dennoch weiter an der Umsetzung des von US-Präsident Joe Biden zuvor vorgeschlagenen Kompromisses arbeiten zu wollen. Um die Bedenken der Amerikaner auszuräumen, hat ByteDance zudem vorgeschlagen, eine eigene Unterfirma namens TikTok US Data Security (USDS) zu gründen, für jene dann auch keine chinesischen Staatsbürger arbeiten dürften. Das neu gegründete Unternehmen würde letztlich an CFIUS Bericht erstatten und nicht an ByteDance.
In den USA ruft die beliebte Social-Media-App TikTok bereits seit Jahren für Sicherheitsbedenken hervor. So hatte die Regierung unter Donald Trump etwa bereits 2020 versucht, den chinesischen Mutterkonzern ByteDance per Exekutivverordnung dazu zu zwingen, sein US-Geschäft auszugliedern und zu verkaufen. In der Verordnung hieß es, dass TikToks Umgang mit US-amerikanischen Daten dazu führen könnte, dass China "so den Aufenthaltsort von Bundesbeamten und Zulieferern erfassen, Dossiers mit persönlichen Informationen für Erpressungen anlegen und Unternehmensspionage betreiben könnte". Jenes Unterfangen scheiterte letztlich jedoch vor Gericht.
Seitdem ist der Konflikt weitgehend eingefroren, und Washington und ByteDance verhandeln bis jetzt ergebnislos über die weiteren Schritte. Doch nicht nur in Amerika ist TikTok unter Beschuss geraten – Kanada erklärte, die App stelle ein "inakzeptables Risiko" dar und verbot sie auf staatlichen Geräten ebenso wie die Europäische Kommission, Belgien und die Niederlande.
Grund für die europäischen Bedenken ist eine erst Anfang November angekündigte Änderung der Datenschutzrichtlinien der App für Nutzer in Europa. Diese nannte China erstmals als eines von mehreren Drittländern, in denen "bestimmte" Mitarbeiter des Unternehmens aus der Ferne auf Nutzerdaten zugreifen können, um so angeblich "wichtige" Aktualisierungen und Wartungsarbeiten auszuführen – und das inmitten einer Untersuchung der irischen Datenschutzkommission (DPC), ob die Datenübertragungen des Unternehmens dem Standard der Allgemeinen EU-Datenschutzverordnung (GDPR) entsprechen.
In Irland untersucht die DPC derzeit die Weitergabe von Millionen europäischer Daten durch TikTok an China. Obwohl die Einzelheiten der Untersuchung bisher nicht bekannt sind, könnte sie möglicherweise zu einem Verbot der App in der EU und zu einer Geldstrafe führen. Taiwan und Afghanistan haben unterdessen ihre eigenen Verbote verhängt, Indien hat TikTok sogar komplett gesperrt.
Mehr zum Thema - Weißes Haus setzt Regierungsmitarbeitern Frist für Löschung von TikTok-App auf Bundesgeräten