Die ehemalige Kolumnistin der New York Times, Bari Weiss, hat am Donnerstagabend den zweiten Teil der sogenannten "Twitter Files" veröffentlicht. Die von der Journalistin publizierten Twitter-Interna zeigen auf, wie das frühere Management der Social-Media-Plattform die Sichtbarkeit von "missliebigen Tweets" und bestimmten rechtsgerichteten Konten mithilfe verschiedener "schwarzer Listen" einschränkte – ohne, dass die Nutzer davon wussten. Der Kurznachrichtendienst, der im Oktober von SpaceX-Gründer Elon Musk gekauft wurde, hatte in der Vergangenheit bereits öffentlich eingeräumt, die Reichweite bestimmter Konten einzuschränken. Die betroffenen Accounts waren für Follower dann zwar weiterhin sichtbar, erschienen aber nicht mehr in Suchanfragen. Über die Teilsperrung wurden die Nutzer zumeist nicht informiert.
Laut Weiss habe die Überprüfung der Dokumente aufgezeigt, "dass Teams von Twitter-Mitarbeitern schwarze Listen erstellten, missliebige Tweets am Trending hinderten und aktiv die Sichtbarkeit ganzer Accounts oder sogar Trending Topics einschränkten – alles im Geheimen, ohne die Nutzer zu informieren." Zu den von Twitter ins Visier genommenen Personen gehörten demnach vor allem konservative Kommentatoren. Darunter Fox-News-Moderator Dan Bongino und Charlie Kirk von Turning Point USA, einer konservativen Denkfabrik mit Sitz in Arizona. Ersterer wurde den Angaben zufolge auf die "schwarze Suchliste" des Konzerns gesetzt. Und letzteren belegte man mit dem internen Hinweis "Kommentare nicht verstärken", wie Weiss am Donnerstag anhand von Screenshots belegte.
Der Verdacht, dass Twitter in der Vergangenheit insbesondere konservative Stimmen zensierte, hat sich dank der Arbeit der von Musk beauftragten Journalisten inzwischen bestätigt. Doch den Zensur-Maßnahmen fielen offenbar nicht nur Vertreter konservativer Meinungen zum Opfer. Eingeschränkt wurden auch die Beiträge jener, die das gängige Corona-Narrativ infrage stellten, darunter die des Stanford-Professors und Arztes Jay Bhattacharya, der sich überwiegend kritisch zu den COVID-19-Maßnahmen äußerte. Wegen Bhattacharyas Ansichten wurden die Beiträge des Arztes von dem Konzern letztlich auf die "schwarze Trendliste" gesetzt, wie Weiss auf Twitter schrieb.
Der Social-Media-Riese selbst hatte lange Zeit bestritten, missliebige Beiträge einzuschränken. Im Jahr 2018 erklärten Twitters Leiterin für Rechtspolitik Vijaya Gadde (inzwischen von Musk entlassen) und der Content-Chef Kayvon Beykpour:
"Wir schränken die Reichweite von Beiträgen nicht ein ... Und wir verhängen ganz sicher keine Schattensperren aufgrund von politischen Ansichten oder Ideologien."
In Wahrheit handelte es sich dabei jedoch lediglich um ein Spiel mit Begriffsbezeichnungen, das die Twitter-Führungskräfte da betrieben. Denn das Unternehmen zensierte letztlich doch, nannte diese Praxis aber "Sichtbarkeitsfilterung", wie mehrere Quellen gegenüber Weiss bestätigten. Ein leitender Mitarbeiter des Unternehmens erklärte der Journalistin beispielsweise:
"Betrachten Sie die Sichtbarkeitsfilterung als eine Möglichkeit für uns, das, was die Leute sehen, auf verschiedenen Ebenen zu unterdrücken. Es ist ein sehr mächtiges Werkzeug."
Zwei andere Twitter-Mitarbeiter gestanden gegenüber Weiss gar ein, dass das Unternehmen die Sichtbarkeit "in hohem Maße" kontrolliere: "Und wir kontrollieren die Verstärkung deiner Inhalte in hohem Maße. Und normale Menschen wissen nicht, wie viel wir tun." Für die Zensur der Inhalte war ersten Recherche-Ergebnissen zufolge offenbar ein internes Team zuständig, und zwar das sogenannte "Strategic Response Team, Global Escalation Team" (SRT-GET). Die einzige Aufgabe dieses Teams sei demnach gewesen, die Reichweite problematischer Accounts im gesamten Netzwerk zu begrenzen.
Eine andere "geheime Gruppe" operierte jedoch noch oberhalb von SRT-GET. Bekannt war sie unter dem Namen "Site Integrity Policy, Policy Escalation Support Team (SIP-PES)" und begrenzte sich auf nur wenige Mitglieder: Vijaya Gadde; Twitters ehemaligem Leiter der Abteilung für Sicherheit und Integrität, Yoel Roth; und Jack Dorsey, der frühere CEO von Twitter. Laut Weiss war SIP-PES der Ort, an dem "die größten und politisch heikelsten Entscheidungen getroffen wurden." Ein Twitter-Mitarbeiter sagte gegenüber der Journalistin, dass es für Konten, die an dieses Team verwiesen wurden, "kein Ticket oder Ähnliches geben würde."
Weiss' Enthüllungen sind der zweite Teil dessen, was Twitter-CEO Elon Musk als "Twitter Files" bezeichnet. Der erste Teil, der vergangene Woche von dem unabhängigen Journalisten Matt Taibbi veröffentlicht wurde, belegt die Zusammenarbeit des Kurznachrichtendienstes mit der US-Regierung bei der Kontrolle der Geschichte über den Laptop Hunter Bidens vor den Präsidentschaftswahlen 2020. Twitter hatte seinerzeit außergewöhnliche Schritte unternommen, um die brisante Geschichte der New York Post zu zensieren. Als die Zeitung den Artikel auf dem Höhepunkt des US-Präsidentschaftswahlkampfs im Jahr 2020 veröffentlichte, hatte Twitter kurzerhand die Verbreitung sämtlicher Weblinks zu dem Artikel unterbunden. Unter anderem konnte der Text daraufhin nicht mehr per Tweet oder Direktnachricht weitergeleitet werden.
Twitter hatte die Enthüllungen der New York Post damals zensiert, weil sie angeblich gegen die "Hacked Materials Policy" des Unternehmens verstießen. Nahezu alle Medien hatten es dem Konzern gleichgetan und die Laptop-Geschichte unterdrückt. Ehemalige führende US-Geheimdienstler diffamierten die in dem Artikel veröffentlichten Recherche-Ergebnisse damals gar als russische Propaganda. Zahlreiche US-Medien haben in den vergangenen Monaten jedoch eine komplette Kehrtwende vollzogen. Sowohl die New York Times als auch die Washington Post, NBC News und Politico bestätigten zuletzt, dass der Inhalt des Laptops authentisch sei. Auch der ehemalige Twitter-CEO Jack Dorsey räumte inzwischen ein, dass es ein Fehler gewesen sei, sich in die Hunter Biden-Story einzumischen.
Weiss' Enthüllungen lösten am Freitag eine polarisierte Reaktion aus: Konservative sahen in ihrer Berichterstattung einen Beweis für die liberale Voreingenommenheit von Twitter. Viele Linke warfen der Journalistin hingegen vor, eine "Nicht-Story" aufzubauschen und PR für Musk, den reichsten Mann der Welt, zu betreiben. Musk hatte den Kurznachrichtendienst im Oktober übernommen. Sei der Übernahme setzt sich der Milliardär für mehr Meinungsfreiheit auf der Social Media-Plattform ein.
Musk, der sich selbst als "Absolutist der freien Meinungsäußerung" bezeichnet, hatte in den vergangenen Wochen die Schlagzeilen bestimmt. So etwa ließ er diverse Accounts freischalten, die vor seiner Twitter-Übernahme wegen vermeintlicher Verstöße gegen die Nutzungsbedingungen des Konzerns gesperrt worden waren, darunter auch das Konto des früheren US-Präsidenten Donald Trump. Mit der Veröffentlichung der sogenannten "Twitter Files" will Musk der jahrelangen "Unterdrückung der freien Meinungsäußerung" durch Twitter nun endgültig Einhalt gebieten.
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