Auf ihrer Suche nach neuen Gaslieferanten wurden Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) bereits in Katar und auch in Norwegen vorstellig – bekanntermaßen erfolglos. Nun sind die beiden Politiker mit einer Delegation von Wirtschaftsvertretern zu einer dreitägigen Reise in Kanada. Hauptziel des Besuchs ist demnach die Vertiefung der Zusammenarbeit beider Länder im Klima- und Energiebereich. Ob dies angesichts des erheblichen Widerstands der indigenen Bevölkerung und Umweltorganisationen gegen die Ausdehnung einer Förderung von Gas in dem Land gelingen wird, bleibt allerdings fraglich.
Mit drei Stationen an drei Tagen ist die Reise der rund 80-köpfigen Delegation ungewöhnlich lang. Dies könnte angesichts der in Deutschland aufziehenden Energiekrise infolge der Sanktionen gegen Russland aber auch auf die Hoffnung der beiden Regierungsmitglieder zurückzuführen sein, Alternativen zu russischem Gas zu finden. Laut Regierungskreisen schraube die deutsche Regierung die Erwartung an die Lieferung von sogenanntem LNG-Gas aus Kanada zwar offiziell herunter, da in den nächsten ein, zwei Jahren ohnehin nichts geliefert werden kann, weil es noch keine LNG-Exportterminals an der kanadischen Ostküste gibt, dennoch stehe die Bundesregierung angesichts der gedrosselten Gaslieferungen aus Russland unter Druck.
Vorerst wolle man Kanada jedoch lediglich als sicheren Lieferanten von Wasserstoff in der Zukunft an Deutschland binden. "Das Land verfügt über ähnliche reiche Bodenschätze wie Russland – mit dem Unterschied, dass es eine verlässliche Demokratie ist", sagte Scholz nach seiner Ankunft in Montreal. "So eröffnen sich neue Felder der Zusammenarbeit. Insbesondere beim Aufbau einer Wasserstoff-Wirtschaft wollen wir eng kooperieren."
Der Grund für die Zurückhaltung im Falle von potenziellen Gaslieferungen aus Kanada, das über große Erdgasvorkommen verfügt, ist vor allem, dass Scholz Premierminister Justin Trudeau nicht noch mehr Probleme bereiten will. Das Thema ist für die Regierung von Trudeau innenpolitisch problematisch. Denn bereits jetzt gibt es in Kanada erheblichen Widerstand gegen den Ausbau der für den Umschlag von Flüssigerdgas benötigten LNG-Terminals, gerade von der indigenen Bevölkerung Kanadas und Umweltschutzgruppen.
Der kanadische Premier hatte sich Deutschland gegenüber bereits beim G7-Gipfel im Juni als möglicher Lieferant von Erdgas angeboten. Das Gas wird jedoch durch umstrittene Fördermethoden wie Fracking oder Offshore-Bohrungen gewonnen, was der Umwelt erheblich schadet. Aufgrund des jahrelangen Widerstands in der Bevölkerung gegen die Erschließung von Schiefergasvorkommen gibt es in Kanada eine seit Jahren wachsende Protestbewegung.
Daneben drohen der kanadischen Regierung ernsthafte Konflikte mit indigenen Gruppen, da die Gas-Anlagen häufig durch ihre Gebiete verlaufen. So kam es in Westkanada in der Vergangenheit deshalb bereits zu heftigen Protesten, die teils auch in Gewalt umschlugen. Um Deutschland überhaupt Gas liefern zu können, müssten neue Gas-Terminals gebaut und die Leitungen gen Osten zumindest ausgebaut werden. Das Interesse der Deutschen hatte deshalb schon im Vorfeld des Besuchs von Scholz und Habeck dafür gesorgt, dass sich Widerstand gegen die Pläne der beiden verbündeten Staaten formierte. Das versprochene Gas könne nur auf Kosten der Menschen und der Umwelt in seinem Land gewonnen werden, erklärte Ronald Tremblay, Großhäuptling der Wolastoq, der Zeit:
"Für uns ist es Tränengas, das uns zum Weinen bringt und uns erstickt."
Ob die Bemühungen der Bundesregierung, Kanada als neuen Energielieferanten zu gewinnen, Erfolg haben werden, ist angesichts des erheblichen Widerstands innerhalb der kanadischen Bevölkerung deshalb unklar. In den letzten Monaten hatten Kanada und Deutschland hinter den Kulissen zwar bereits erörtert, welche Optionen für LNG-Terminals es an der Ostküste gibt, doch sind die Pläne für die Anlagen im Osten allesamt noch nicht genehmigt. Auch die Symbio-Anlage dürfte frühestens im Jahr 2027 fertiggestellt sein. Das dürfte für Deutschland angesichts seiner derzeit prekären Lage vermutlich jedoch zu spät sein.
Dennoch sind die Hoffnungen groß, dass Kanada der Bundesrepublik dabei hilft, von russischem Gas unabhängig zu werden. Hoffnungen, die die Bundesregierung zuvor auch schon vor ihren Gesprächen mit Katar und auch Norwegen hegte. So waren manche schockiert, als Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im März nach Doha flog und sich dort sogar vor dem Energieminister von Katar verneigte. Er habe keine andere Wahl, lautete die Botschaft angesichts der schwerwiegenden Energiekrise.
Augenscheinlich hatte sich die Verbeugung Habecks vorerst auch gelohnt: "Großartigerweise" sei eine Energiepartnerschaft vereinbart worden, verkündete Habeck damals. Katar sei sogar langfristig offen für erneuerbare Energien und mehr Klimaschutz. Monate später dann die Absage. "Die Kataris haben sich entschieden, kein gutes Angebot zu machen", erklärte der Grünen-Politiker auf seiner Sommertour. "Und die Unternehmen, mit denen ich damals da war, haben sich im Moment woanders Gas besorgt." Wo genau, konnte der Wirtschaftsminister jedoch nicht näher erläutern.
Auch ein Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz in Norwegen führte statt in eine feste "Energiepartnerschaft" ins Leere. Er sehe derzeit keine Möglichkeit, die Bitte des Bundeskanzlers um eine Erhöhung der Gaslieferungen nach Deutschland zu erfüllen, erklärte der norwegische Ministerpräsident Jonas Gahr Støre im Anschluss an das Treffen in Oslo. "Norwegen liefert maximal das, was wir liefern können. Es ist nicht so, dass wir politisch einfach bestimmen können, wir liefern jetzt noch mehr." Damit platzte für die Bundesregierung nach Habecks Katar-Deal auch in Norwegen der Traum, schnell zusätzliche Lieferanten als Ersatz für russisches Gas zu finden. Müssen Scholz und Habeck diese Erfahrung in Kanada erneut machen?
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