Angesichts des Krieges in der Ukraine hat US-Präsident Joe Biden in der vergangenen Woche angekündigt, die US-Verteidigungsausgaben im kommenden Jahr um 9,8 Prozent zu erhöhen. Hierfür seien im Haushaltsentwurf der Regierung rund 773 Milliarden US-Dollar (704 Milliarden Euro) vorgesehen.
Ein großer Teil der "größten Investition" der US-Geschichte "in die nationale Sicherheit" soll Biden zufolge in Investitionen zur militärischen Abschreckung Russlands in Europa fliesen. Das US-Militär müsse weiterhin das "am besten vorbereitete, am besten ausgebildete, am besten ausgerüstete Militär der Welt sein", erklärte er.
Mit seiner Ankündigung befeuerte der US-Präsident die bereits zuvor schon hohen Gewinnerwartungen der US-Rüstungsbranche erneut. Diese verzeichnet seit Beginn des Ukraine-Krieges einen langfristigen Aufwärtstrend ihrer jeweiligen Kurse an der Börse.
Wie andere westliche Länder griffen auch die Vereinigten Staaten auf ihre eigenen Bestände zurück, um die Ukraine beispielsweise mit schultergestützten Stinger- und Javelin-Raketen der Rüstungskonzerne Lockheed-Martin und Raytheon Technologies zu versorgen. Aufgrund der eiligen Aufrüstung der ukrainischen Streitkräfte durch die USA müssen die US-Waffenbestände, die hierfür angezapft wurden, nun jedoch schnell wieder aufgefüllt werden.
Das Pentagon plane eigens zu diesem Zweck, Mittel in Höhe 3,5 Milliarden US-Dollar des erst letzte Woche verabschiedeten Haushaltsgesetzes einzusetzen, sagte ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums der Nachrichtenagentur AFP.
Die gemeinsam von Raytheon und Lockheed Martin hergestellte Javelin-Rakete wird als "das weltweit beste von der Schulter aus abzufeuernde Panzerabwehrsystem" angepriesen, das in der Lage ist, Kampfpanzer zu zerstören.
Die Stinger-Raketen von Raytheon sind für den Abschuss von Hubschraubern und anderen tieffliegenden Flugzeugen konzipiert und wurden von den USA und anderen NATO-Bündnispartnern im Zuge des Ukraine-Krieges bereits mehrfach an das osteuropäische Land geliefert.
"Wir prüfen Optionen, um die US-Bestände schneller wieder aufzufüllen und die erschöpften Bestände von Verbündeten und Partnern aufzufüllen", erklärte der Pentagon-Sprecher weiter. "Es wird einige Zeit dauern, bis die industrielle Basis sowohl bei den Haupt- als auch bei den Nebenlieferanten wiederhergestellt ist, damit die Produktion wieder aufgenommen werden kann", ergänzte er und deutete damit längerfristige Beschaffungsverträge mit den beiden Waffenlieferanten an.
"Wenn im nächsten Jahr jeden Monat 1.000 Stingers und 1.000 Javelins nach Osteuropa geliefert würden, was angesichts des derzeitigen Tempos nicht unwahrscheinlich ist, beliefen sich die Einnahmen der beiden Programmhersteller unserer Meinung nach auf ein bis zwei Milliarden Dollar, was nicht unerheblich ist", sagte Colin Scarola, Vizepräsident des Investment-Analyse-Unternehmens CFRA, gegenüber AFP.
Doch ging es Lockheed Martin und Raytheon bereits vor dem Eingreifen Russlands in der Ukraine Ende Februar finanziell recht gut. Insbesondere die im Nahen Osten herrschende instabile Sicherheitslage bescherte den beiden Rüstungsgiganten Umsatzzahlen in Höhe von 64 beziehungsweise 67 Milliarden US-Dollar. "Raytheon hat wahrscheinlich mehr Geld mit dem Verkauf eines Patriot-Raketensystems an Saudi-Arabien verdient als mit der Herstellung von Stinger-Raketen", sagte Jordan Cohen, ein Spezialist für Waffenverkäufe am Cato-Institut, einer transatlantischen Denkfabrik.
Bei der Veröffentlichung ihrer letzten Quartalsergebnisse Ende Januar deuteten einige Führungskräfte von Waffenherstellern an, dass ihnen die Situation auf der Welt, insbesondere die in der Ukraine, zugutekommen werde. Die zunehmenden Spannungen in Asien, dem Nahen Osten und Osteuropa würden zukünftig zu höheren Umsätzen führen. "Nicht sofort, aber später im Jahr 2022 und darüber hinaus", sagte der CEO von Raytheon, Greg Hayes, bei der Vorstellung der letzten Quartalsergebnisse des Rüstungsherstellers. James Taiclet, Vorstandsvorsitzender von Lockheed Martin, betonte wiederum, er beobachte einen "erneuten Großmacht-Wettbewerb", der höhere US-Militärausgaben auslösen könnte.
"Der Krieg in der Ukraine mischt die geopolitische Ordnung in einer Weise auf, die es in den letzten 30 Jahren nicht gegeben hat", mahnte Burkett Huey von Morningstar, einem US-Finanzdienstleistungsunternehmen, gegenüber AFP:
"Die Menschen beginnen zu begreifen, dass die Welt nicht mehr so sicher ist und dass wahrscheinlich mehr in Verteidigungsgüter investiert werden muss, was den Auftragnehmern zugute käme."
Der Wissenschaftler Eric Heginbotham, Forscher am MIT Center for International Studies, blickt mit Sorge auf die Entwicklungen im Westen. Laut Heginbotham haben westliche Regierungen im Gegensatz zu Asien viel weniger Appetit auf eine Reduzierung der Militärausgaben. "Die Länder werden versuchen, die Interoperabilität mit den Vereinigten Staaten zu verbessern, die sozusagen die zentrale Säule der NATO sind", erklärte der Wissenschaftler AFP.
Mitte März hatten Deutschland und andere EU-Mitgliedsstaaten zudem angekündigt, einen Teil ihrer bisherigen Kampfjet-Flotten durch F-35-Kampfjets des Herstellers Lockheed-Martin zu ersetzten. Der atomar bestückbare Tarnkappenbomber soll zukünftig zum neuen Militärstandard am EU-Himmel werden. "Die F-35-ifizierung der europäischen Armeen ist ein gutes Geschäft für die US-Militärfirmen. Insbesondere das US-Militär ist davon angetan, da es sich um gemeinsame Betriebsplattformen handelt", so Eric Gomez, ein Experte für Verteidigungspolitik am Cato Institute:
"Auf der anderen Seite wird es für die Vereinigten Staaten schwieriger, einen Rückzug aus Europa in Erwägung zu ziehen, da die Regierung Biden immer wieder betont, dass China im Fokus steht."
Ukraine-Krieg führte zu Börsen-Insider-Geschäften durch Mitglieder des US-Senats
Doch auch verschiedene US-Senatoren profitieren vom Krieg in der Ukraine. Mindestens 19 der US-Kongressabgeordneten erwarben im Verlauf des Jahres Aktienpakete von US-Rüstungsunternehmen, die im Zuge des Ukraine-Krieges später Großaufträge von der US-Regierung erhalten sollten: Raytheon Technologies und Lockheed Martin.
Wie das Nachrichtenmagazin Business Insider unter Berufung auf Finanzunterlagen der US-Behörden berichtete, stehen einige der US-Abgeordneten unter Verdacht, ihre sicherheitsrelevanten Insider-Informationen zur eigenen Vorteilsnahme genutzt zu haben.
Demnach kaufte der republikanische Abgeordnete John Rutherford aus Florida am 24. Februar, dem Tag, an dem der Ukraine-Krieg begann, Raytheon-Aktienpakete im Wert von 1.001 bis 15.000 US-Dollar. Rutherford ist Mitglied des Bewilligungsausschusses des US-Repräsentantenhauses, der für die Ausgaben der US-Regierung zuständig ist. In dieser Funktion ist er Mitglied des Unterausschusses für Innere Sicherheit sowie des Unterausschusses für militärische Bauvorhaben, Veteranenangelegenheiten und verwandte Bereiche.
"Was wir in der Ukraine sehen, ist die tragische Konsequenz einer bösen und aggressiven Diktatur", twitterte Rutherford am 24. Februar. "Putin ist ohne legitimen Grund in ein souveränes Land eingedrungen und muss dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Die USA und unsere Verbündeten müssen die maximal möglichen Sanktionen verhängen und dürfen nichts vom Tisch nehmen."
Zu den frühen Käufern zählt auch die US-Abgeordnete Marjorie Taylor Greene aus Georgia. Sie erwarb am 22. Februar Lockheed-Martin-Aktien im Wert von zwischen 1.001 und 15.000 US-Dollar. Zwei Tage nach ihrem Kauf schrieb Greene auf Twitter:
"Krieg ist ein großes Geschäft für unsere Oberhäupter."
Die republikanische US-Abgeordnete Diana Harshbarger aus Tennessee und ihr Ehemann tätigten dem Business-Insider-Bericht zufolge drei separate Transaktionen mit Raytheon-Aktien im Wert von bis zu 15.000 US-Dollar. Lois Frankel, eine demokratische US-Senatorin aus Florida, verkaufte Lockheed-Martin-Aktien im Wert von bis zu 15.000 Dollar, behielt jedoch Anteile an dem Unternehmen.
Laut der Finanzunterlagen, die Business Insider vorliegen, hält US-Senator John Hickenlooper, ein Demokrat aus Colorado, zwischen 100.001 und 250.000 US-Dollar in Raytheon-Aktien. Thomas Daffron, ein ehemaliger langjähriger Stabschef und Ehemann der republikanischen Senatorin Susan Collins aus Maine, wiederum besitzt Aktien von United Technologies im Wert zwischen 15.000 und 50.000 US-Dollar. Das Unternehmen ist Teil der Raytheon-Gruppe.
Insgesamt seien es 15 US-Senatoren, die an dem Krieg in der Ukraine verdienten. "Dies ist eine Fallstudie, die zeigt, warum der Aktienhandel des Kongresses Anlass zu großer Besorgnis gibt", sagte Dylan Hedtler-Gaudette, Leiter eines überparteilichen Projekts zur Regierungskontrolle (POGO), gegenüber Business-Insider:
"Die Investitionen zeigen, dass der Krieg nicht nur für die Rüstungsunternehmen profitabel ist, sondern auch für die Mitglieder des Kongresses, die investieren."
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