Der Tod des schwarzen US-Amerikaners Ronald Greene in Louisiana hat das ungelöste Problem der Polizeigewalt in den USA erneut in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Hieß es 2019 zunächst, dass dieser an einem Herzinfarkt gestorben sei, änderte sich der Befund, nachdem Videoaufzeichnungen publik wurden, welche die Brutalität zeigten, mit der die Staatsgewalt gegen den Mann vorgegangen war. Das FBI war daraufhin gezwungen, einen neuen Blick auf die Autopsie des Opfers zu werfen. In dem Video, das erst 2021 veröffentlicht wurde, war zu sehen, wie Polizisten des Bundesstaates Louisiana ihn nach einer Verfolgungsjagd betäubten, schlugen und herumzerrten.
Am 25. Mai 2020 hatte in einem anderen Fall ein Polizist den am Boden liegenden George Floyd mit vollem Körpergewicht sein Knie 9 Minuten und 29 Sekunden lang in den Nacken gedrückt. Die danebenstehenden Polizisten ließen ihren Kollegen gewähren. Ein Augenzeuge filmte die Tat. Der Afroamerikaner verstarb durch die Gewalteinwirkung des Polizisten. Sein Ausruf "Ich kann nicht atmen" wurde zum Leitspruch der Protestbewegung "Black Lives Matter". Die Polizei hatte Floyd verfolgt, nachdem zwei Mitarbeiter eines Ladens den 20-Dollar-Schein, mit dem er kurz zuvor für eine Schachtel Zigaretten bezahlte, für falsch gehalten hatten.
Eine Studie der Universität Washington befasste sich jüngst mit dem Thema Polizeigewalt und kam zu einem erschreckenden Resultat. Am Donnerstag veröffentlichte die Fachzeitschrift The Lancet die Forschungsergebnisse. Es handelt sich bei der Studie um eine der umfassendsten Untersuchungen zum Ausmaß der Polizeigewalt in den Vereinigten Staaten. Hierzu verglichen die Forscher Informationen aus einer Bundesdatenbank und dem National Vital Statistics System, wo die Sterbeurkunden gesammelt werden. Diese wurden mit aktuellen Daten von drei Organisationen verglichen, die Tötungen durch die Polizei anhand von Nachrichtenmeldungen und Anfragen nach öffentlichen Unterlagen verfolgen.
Die Studie kam zu einem schockierenden Ergebnis: In den Jahren zwischen 1980 und 2018 wurden rund 55 Prozent der Begegnungen mit der Polizei, die einen tödlichen Ausgang hatten, mit einer anderen Todesursache vermerkt. Die Zahl der Todesfälle in Polizeigewahrsam stieg stetig an. Ihren Höhepunkt hatte die Kriminalität in den USA dabei in den 1990er Jahren.
Der drastische Fehler in der Statistik wird auf die rassistische Voreingenommenheit der Gerichtsmediziner und Leichenbeschauer zurückgeführt. Es fehlen rund 17.000 Todesopfer von Polizeigewalt. In dem untersuchten Zeitraum wurden 3,5-mal so häufig schwarze US-Amerikaner wie Weiße getötet.
Dr. Christoper Murray, Direktor des Institute for Health Metrics and Evaluation an der Universität Washington sagte:
"Ich denke, die wichtigste Erkenntnis ist, dass die meisten Menschen im öffentlichen Gesundheitswesen dazu neigen, die Vitalstatistiken für die USA und andere Länder als die absolute Wahrheit zu betrachten. Und es stellt sich heraus, wie wir zeigen, dass mehr als die Hälfte der Todesfälle durch Polizeigewalt in den Vitalstatistiken fehlen."
Es ist üblich, dass Todesfälle durch Gewalteinwirkung von Gerichtsmedizinern untersucht werden. Diese sollen die Todesursache feststellen. Bislang wird in den forensischen Berichten jedoch nicht vermerkt, ob die Polizei involviert war. Diese Information muss nach Hinweisen durch den Gerichtsmediziner aufgenommen werden. Pathologen kritisieren, dass ihnen die Strafverfolgungsbehörden nicht alle relevanten Informationen zur Verfügung stellen oder sie sogar unter Druck gesetzt würden, ihre Meinung zu ändern.
In Oklahoma, Arizona, Alaska und dem District of Columbia finden sich die häufigsten Todesfälle durch Polizeigewalt. Am wenigsten Fälle gibt es dagegen in Massachusetts, Connecticut und Minnesota. Auch ohne die Anpassung der Statistik gilt die Polizeigewalt als die häufigste Todesursache für junge Männer in den USA. Einer von 1.000 schwarzen US-Amerikanern lässt sein Leben durch die Hand der Polizei.
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