Einem neuen, brisanten Bericht zufolge wollte die CIA unter dem früheren US-Präsidenten Barack Obama Julian Assange und andere Journalisten als "Informationsvermittler" bezeichnen, um sie leichter ausspionieren zu können. Während der Trump-Ära ging die CIA jedoch noch viel weiter und bereitete Pläne vor, den WikiLeaks-Gründer zu entführen – oder sogar zu ermorden.
In einem Report der Plattform Yahoo News vom 26. September 2021 wird behauptet, dass die CIA unter der Leitung von Mike Pompeo zu außergewöhnlichen Maßnahmen greifen wollte, um Assange zu schnappen. Dieser Bericht beruht auf Interviews mit mehr als 30 ehemaligen US-Beamten. Er gewährt einen Einblick in die Art und Weise, wie der nationale Sicherheitsapparat der USA seinen Krieg gegen WikiLeaks unter zwei aufeinanderfolgenden US-Regierungen eskalieren ließ.
Auf dem Höhepunkt der Vorbereitungen für die Feindseligkeiten im Jahr 2017 ging die CIA angeblich davon aus, dass russische Agenten Assange bei der Flucht aus der ecuadorianischen Botschaft in London helfen würden. Für einen solchen Fall hatten die US-Amerikaner zusammen mit den Briten laut dem Bericht folgende Maßnahmen eingeplant: Sie würden sich Straßenschlachten mit den Russen zu liefern, womöglich ein Feuergefecht beginnen, ein russisches Diplomatenfahrzeug rammen oder auf die Reifen eines russischen Flugzeugs schießen um es am Abheben zu hindern. Der Versuch, Assange zu befreien, wurde Berichten zufolge für Heiligabend erwartet.
Es war mehr als absurd", sagte ein ehemaliger hochrangiger Beamter dem Magazin über die damalige Situation in der Nähe der Botschaft. "Es ging so weit, dass jeder Mensch im Umkreis von drei Häuserblocks für einen der Geheimdienste arbeitete – egal ob es sich um Straßenkehrer, Polizisten oder Sicherheitsbeamte handelte."
Die CIA erwog auch Pläne, Assange und andere Mitglieder von WikiLeaks zu töten, so der Bericht. Alternativ zog die die Agency in Betracht, ihn aus der Botschaft zu entführen und in die USA zu bringen, oder ihn den britischen Behörden auszuliefern. Damals wurde Assange von Großbritannien gesucht, weil er in einem Auslieferungsverfahren auf Antrag Schwedens die Kaution nicht bezahlt hatte – ein Verfahren, das inzwischen eingestellt wurde. In dem Bericht heißt es:
"Im Jahr 2017, als Julian Assange sein fünftes Jahr in der ecuadorianischen Botschaft in London verbrachte, plante die CIA die Entführung des WikiLeaks-Gründers und löste damit eine hitzige Debatte unter den Beamten der Trump-Regierung über die Rechtmäßigkeit und Praktikabilität einer solchen Operation aus.
Einige hochrangige Beamte innerhalb der CIA und der Trump-Regierung diskutierten sogar über die Ermordung von Assange und gingen so weit, 'Skizzen' oder 'Optionen' für seine Ermordung anzufordern. Diskussionen über die Entführung oder Tötung von Assange fanden 'auf höchster Ebene' der Trump-Regierung statt, sagte ein ehemaliger hoher Beamter der Spionageabwehr. 'Es schien keine Grenzen zu geben'."
Die Möglichkeit einer erfolgreichen Überstellung Assanges in die USA, oder gar seine Ermordung wurde von einem Geheimdienstmitarbeiter aufgrund des Ortes des geplanten Geschehens als "lächerlich" bezeichnet. "Wir sind hier nicht in Pakistan oder Ägypten – wir reden über London", wurde die Quelle zitiert. Auch innerhalb der Regierung Trump gab es Widerstand, weil eine solche Operation nach US-Recht als illegal angesehen werden könnte. Ein Informant sagte, die Verwendung von CIA-Befugnissen, die nur für Spionage gegen Spionage gedacht sind, sei "die gleiche Art von Mist, die wir im Krieg gegen den Terror abgezogen haben."
Was die CIA betrifft, so hat WikiLeaks diese extremen Maßnahmen mit den so genannten "Vault 7"-Veröffentlichungen verursacht. Schließlich enthüllte die Plattform damit ein von US-Agenten verwendetes Cyber-Offensiv-Toolkit. Das Bekanntwerden dieser Werkzeuge war eine schwere Demütigung für den US-Geheimdienst, so dass "Pompeo und (die damalige stellvertretende CIA-Direktorin Gina) Haspel sich an Assange rächen wollten", so Yahoo News. Ein weiterer Informant sagte, dass Pompeo und andere hochrangige Führungskräfte im Grunde den Verstand verloren hätten. Laut dieser Quelle:
"Sie waren völlig losgelöst von der Realität, weil ihnen die Sache mit Vault 7 so peinlich war. Sie sahen Blut."
Pompeo musste einige rechtliche Manöver durchführen, damit der Geheimdienst aggressiver gegen Assange und WikiLeaks vorgehen konnte, ohne dass der damalige US-Präsident Donald Trump solche Operationen absegnen musste. Als der US-Außenminister kurz nach seinem Amtsantritt WikiLeaks in einer öffentlichen Rede als "nichtstaatlichen feindlichen Geheimdienst" bezeichnete, war dies dem Bericht zufolge mehr als nur Rhetorik. Die Verwendung dieser Bezeichnung für WikiLeaks ermöglichte es der CIA, ihre Schnüffelei in die Kategorie "offensive Spionageabwehr" einzuordnen. Und diese darf sie nach eigenem Gutdünken betreiben. Ein ehemaliger US-Beamter sagte:
"Ich glaube nicht, dass den Leuten klar ist, wie viel die CIA im Rahmen der offensiven Spionageabwehr tun kann und dass es nur eine minimale Aufsicht über diese Aktivitäten gibt."
Die CIA hatte dereinst erfolglos zu beweisen versucht, dass WikiLeaks auf Geheiß der russischen Regierung arbeitete. Da sie nun nicht mehr die Befugnis beanspruchen konnten, die Plattform wegen angeblicher Verbindungen zum Kreml ins Visier zu nehmen, versuchten die Beamten in der Folge WikiLeaks als "feindliche Organisation" darzustellen. Auf diese Weise würde es keine Rolle spielen, dass die Organisation gar nicht für Russland arbeitete.
Während Pompeos CIA ihren "Krieg gegen WikiLeaks" ausweitete, hatte die Behörde bereits unter US-Präsident Barack Obama nach Möglichkeiten gesucht, die Transparenzorganisation ins Visier zu nehmen. Der US-Auslandsgeheimdienst setzte sich beim Weißen Haus dafür ein, WikiLeaks und eine Reihe von hochrangigen Journalisten, darunter Glenn Greenwald und Laura Poitras, als "Informationsvermittler" zu bezeichnen. Auf diese Weise konnten mehr Überwachungsbefugnisse gegen sie eingesetzt werden, heißt es in dem Bericht.
"Ist WikiLeaks ein journalistisches Medium? Sind Laura Poitras und Glenn Greenwald wirklich Journalisten?", spekulierte eine Quelle in dem Interview mit Yahoo News. "Wir haben versucht, die Definition zu ändern, und ich habe dies dem Weißen Haus gepredigt und wurde zurückgewiesen."
Am Ende wurde Assange aus der ecuadorianischen Botschaft herausgezerrt, und sitzt derzeit in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis in Haft. Die USA haben gegen eine Gerichtsentscheidung Berufung eingelegt, mit der ihr Antrag auf Auslieferung von Assange wegen Hacking abgelehnt wurde. Es wird erwartet, dass das Verfahren nächsten Monat wieder aufgenommen wird.
Laut Yahoo News haben unter anderem Bedenken bezüglicher einer Gefährdung des US-Verfahrens gegen Assange dazu geführt, dass die in dem Bericht geschilderten CIA-Vorhaben nicht weiter verfolgt wurden. Assanges Verteidigungsteam hofft, dass sich dies bewahrheitet. Auf die Frage nach den angeblichen CIA-Plänen gegen seinen Mandanten sagte Assanges Anwalt, Barry Pollack:
"Meine Hoffnung und Erwartung ist, dass die britischen Gerichte diese Informationen berücksichtigen und ihre Entscheidung, ihn nicht an die USA auszuliefern, weiter untermauern werden."
Die Abneigung gegen Assange ist ein parteiübergreifendes Unterfangen im US-Establishment. Hillary Clinton, Trumps Gegenkandidatin bei der Wahl 2016, scherzte Berichten zufolge 2010 darüber, den australischen Staatsbürger zu "dronen", meinte aber später, sie könne sich nicht daran erinnern, das gesagt zu haben.
Die US-Präsidentschaftswahlen 2016 und die Veröffentlichung der E-Mails der Demokraten durch WikiLeaks wurden laut Yahoo News zu einem Schlüsselmoment für die Kampagne der CIA gegen Assange. Denn somit konnten sie behaupten, das Datenleck sei in Zusammenarbeit mit dem russischen Geheimdienst zustande gekommen. WikiLeaks hat dies bestritten und Moskau besteht darauf, dass der Vorwurf der Wahleinmischung unbegründet und Teil des Versuchs der Demokraten war, Clintons Niederlage herunterzuspielen.
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