Chomsky im RT-Interview: Liberale wollen USA als "führenden terroristischen Staat" nicht wahrhaben

Wie viele Trump-Anhänger leben auch liberale US-Intellektuelle in einer Fantasiewelt: Sie nehmen einen führenden Urheber des "internationalen Terrorismus" – die US-Regierung – als grundsätzlich gutartigen Akteur wahr. Dieser Auffassung ist zumindest der US-Philosoph Noam Chomsky, der seine Ansichten im RT-Interview erläutert.

"So wenig, wie man den republikanischen Mob nicht dazu bringen kann, zuzugeben, dass für sie die Wahl verloren ist, genauso wenig kann man liberale US-amerikanische Intellektuelle zum Eingeständnis bringen, dass die Vereinigten Staaten ein führender terroristischer Staat sind."

Dieses Urteil, ebenso einsichtig wie vernichtend, erteilte der Philosoph, Linguist, Geschichts- und Kognitionswissenschaftler Noam Chomsky im Interview mit Chris Hedges von RT.

Eine Tatsache ist, dass die USA fast während ihrer gesamten Geschichte als souveräner Staat Angriffskriege gegen jemanden geführt haben, nach innen wie nach außen, stellt Chomsky fest. Der so genannte "Krieg gegen den Terror", den seinerzeit noch Ronald Reagan zum Schwerpunkt der US-Außenpolitik machte, diente lediglich Washingtons Auseinandersetzung mit dem "Widerstand gegen den US-Terrorismus in Mittelamerika und auch in Südafrika", betont der US-amerikanische Sozialkritiker.

Auch Nelson Mandela wurde von den USA bis 2008 als Terrorist betrachtet – bemerkenswerterweise auch noch lange, nachdem das Apartheid-Regime aufgelöst war. Und der geheime Krieg der USA gegen Nicaragua wurde vom Internationalen Gerichtshof als Verstoß gegen das Völkerrecht eingestuft. "Was die Reagan-Regierung tat, war der Gipfel des Terrorismus nach unseren eigenen Definitionen", betont Chomsky mit Verweis auf Feldhandbücher des US-Militärs.

"Aber die New York Times brachte einen Leitartikel heraus, in dem es hieß, wir könnten das Urteil des Gerichtshofs abschmettern, weil es ein feindliches Forum sei. Warum ist es ein feindliches Forum? Weil es die USA verurteilt hat."

Ein weiteres Opfer der USA ist Kuba, dessen Volk eine seit Jahrzehnten dauernde Blockade und eine weiter anhaltende US-Kampagne zur Untergrabung seiner Regierung und zur Herbeiführung eines Aufstandes ertragen muss. In den USA wurde dies so wahrgenommen, als hätte die CIA einst lediglich dumme Komplotte ausgebrütet, gleichsam Spitzbubenstreiche, bei denen allenfalls Fidel Castros Bart angekokelt werden sollte:

"Dem war nicht so, es war ein ernsthafter terroristischer Krieg, der mit der kubanischen Raketenkrise fast zur Zerstörung der Welt führte."

Das Versagen der liberalen Intellektuellen, sich ein wahrhaft unverfälschtes Bild von der US-Politik zu machen, sei beileibe nicht nur einem Mangel in den Geschichtsbüchern geschuldet; auch beschränkten sich derartige Sehfehler nicht bloß darauf, was in fremden Ländern geschieht: Bei den Kapitol-Unruhen vom 6. Januar zum Beispiel ging es mitnichten um einen "verrückten Mob" von Trump-Anhängern, der "aus dem Nichts" kam, um schließlich besiegt zu werden, und somit auch noch all die Herrlichkeit der US-amerikanischen Demokratie zu beweisen.

"Es gibt wirklich ernsthafte Missstände – übrigens parteiübergreifend, auch wenn die Republikaner momentan jeden Rahmen sprengen – aber die werden nicht diskutiert", so die ernüchternde Beobachtung Chomskys.

Und dieses Versäumnis fügt Millionen von US-Amerikanern echten, spürbaren Schaden zu. Die Sozialstaat-Elemente, die mit Bernie Sanders ein Politiker vorschlug, der in einem Land wie Deutschland ohne weiteres als mitte-rechts durchginge, wurden während des US-Präsidentschaftswahlkampfes von 2020 noch immer als zu radikal für die USA dargestellt – und das ist nicht nur schädlich, sondern entlarvend:

"Was er fordert – allgemeine Gesundheitsversorgung, kostenlose Hochschulbildung – wird von konservativen Parteien in Europa als selbstverständlich betrachtet. Das ist so eine Beleidigung für das amerikanische Volk zu sagen, 'ihr seid so rückständig und reaktionär, dass ihr nicht haben könnt, was Mexiko hat, was Frankreich hat, was Brasilien hat'."

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