Nach den Unruhen am 6. Januar, als Demonstranten in Washington DC in das Kapitol eindrangen, sperrten Twitter und Facebook die Nutzerkonten des noch amtierenden US-Präsidenten Donald Trump. Dieser hatte die vergangenen Monate vielfach von mutmaßlichem Wahlbetrug gesprochen und hätte damit zu "Gewalt angestiftet". Obwohl Twitter-Chef Jack Dorsey die Sperrung von Trumps Nutzerkonto verteidigte, sieht er zugleich eine Gefahr darin, dass Unternehmen zu viel unkontrollierte Macht innehaben, Beiträge in den sozialen Medien zu zensieren oder zu entfernen.
"Ich feiere nicht und bin auch nicht stolz darauf, dass wir @realDonaldTrump von Twitter verbannen mussten", twitterte Dorsey am Mittwoch und fügte hinzu, dass die Entscheidung, den Präsidenten von der Plattform zu verbannen, dennoch "die richtige" gewesen wäre. Er zitierte die "außergewöhnlichen und unhaltbaren Umstände", die der Social-Media-Gigant Twitter berücksichtigen musste, als man sich dazu entschloss, Trumps Präsenz von der Plattform zu löschen. Die Entscheidung sei jedoch zum Schutz der "öffentlichen Sicherheit" getroffen worden.
"Offline-Schäden durch Online-Sprache sind nachweislich real und diese treiben vor allem unsere Richtlinien und die Durchsetzung an", sagte er.
Dorsey gab jedoch zu, dies zeige, dass die Technologiegiganten Stimmen nach Belieben stumm schalten können, wenn sie diese für zu gefährlich halten.
"Diese Maßnahmen ergreifen zu müssen, fragmentiert das öffentliche Gespräch. Sie spalten uns. Sie begrenzen das Potenzial für Klärung, Erlösung und Lernen."
Die Sperrung des Nutzerkontos vom US-Präsidenten schaffe einen Präzedenzfall, den Dorsey für gefährlich hält. Demnach sei die Macht, die ein Unternehmen oder eine Einzelperson über einen Teil des weltweiten öffentlichen Diskurses hat, durchaus bedenklich. Dorsey prophezeite, dass das Entfernen von Nutzern – wegen einer durch Twitter wahrgenommenen Bedrohung des öffentlichen Wohls – ein weiterer Sargnagel des zunehmend veralteten Konzepts eines "freien Internets" sein könnte.
"Dieser Moment in der Gegenwart mag diese Dynamik erfordern, aber auf lange Sicht wird sie destruktiv für den edlen Zweck und die Ideale des offenen Internets sein", warnte Dorsey.
Twitter, Facebook, Youtube und Snapchat gehören zu den wichtigsten Social-Media-Plattformen, die entweder Trumps Konto endgültig gelöscht haben oder diesen wegen "Anstiftung zur Gewalt“ im Vorfeld des Sturms des US-Kapitols suspendierten. Obwohl Trump wohl der prominenteste Nutzer ist, dessen Konto gesperrt wurde, so wurden in den letzten Wochen auch viele andere Nutzer zum Schweigen gebracht. Hunderttausende Trump-Anhänger, aber auch Vertreter der Verschwörungstheorie QAnon und Konten von alternativen Medien, wurden von Facebook und auf Twitter gesperrt.
Auch das soziale Netzwerk Parler, das als Zufluchtsort für viele Konservative galt, sei laut dessen Geschäftsführer John Matze am Rande des Aussterbens, wie dieser am Mittwoch sagte. Das Unternehmen könnte demnach womöglich nie wieder online gehen, da Amazon die Beherbergung von Parler auf seinen Server-Plantagen beendet hat. Der Online-Händler und seit Jahren auch Internet-Gigant sagte, Parler wäre dabei gescheitert, "gewalttätige" Inhalte im wachsenden Zustrom von Benutzern rechtzeitig zu entfernen.
Dorsey wies die Vorstellung zurück, dass es sich beim Sperren von Nutzerkonten um eine abgesprochene Aktion der großen Tech-Konzerne gehandelt hätte und argumentierte, es sei "wahrscheinlicher", dass all diese "Unternehmen zu ihren eigenen Schlussfolgerungen kamen oder höchstens durch die Aktionen anderer ermutigt wurden." Dorsey sagte, dass er es gerne sehen würde, wenn Twitters Politik als Moderator dezentraler betrieben würde und verglich das zukünftige Modell mit dem von Bitcoin – "nicht kontrolliert oder beeinflusst von einer einzelnen Entität." Dorsey fügte hinzu, dass es denjenigen, die mit der aktuellen Politik von Twitter nicht einverstanden sind, freistünde, die Plattform zu verlassen.
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