Schlomo Hofmeister ist Sonderbeauftragter der Europäischen Rabbinerkonferenz gegen Rechtsextremismus. In dieser Funktion sprach er mit RT DE über die jüngsten Äußerungen von Arnold Schwarzenegger. Dieser hatte den Sturm auf das US-Kapitol mit der Reichskristallnacht von 1938 in Deutschland verglichen.
Als "Reichskristallnacht" wird der Pogrom am 9./10. November 1938 bezeichnet. Dabei wurden von den Nazis Tausende von jüdischen Geschäften und Gotteshäusern zerstört oder in Brand gesetzt. Zehntausende jüdische Mitbürger wurden misshandelt, mindestens 1.500 wurden allein in dieser Nacht ermordet. In den Tagen darauf wurden 30.000 jüdische Menschen verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt.
Generell zu historischen Vergleichen…
"Um aus der Geschichte und den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, ist es essentiell wichtig und unerlässlich, Vorgänge und systematische Abläufe der Gegenwart mit historischen Ereignissen und Situationen zu vergleichen, und derartige Betrachtungen nicht zu tabuisieren – selbst wenn die Ausmaße der herangezogenen Begebenheiten und Geschehnisse strukturell und qualitativ nicht vergleichbar sind. Die Geschichte wiederholt sich zwar prinzipiell nicht, sozio-politische Mechanismen jedoch sehr wohl", erklärt Hofmeister.
Historische Vergleiche seien jedoch immer dann problematisch, "wenn Unvergleichbares verglichen wird oder das Ergebnis – anstatt jene, nämlich die diesem Ergebnis vorangegangenen gesellschaftspolitischen Prozesse – im Fokus des Vergleichs steht".
Historische Vergleiche mit der NS-Zeit…
Weiter führt Hofmeister aus:
"Das dunkle Kapitel der NS-Zeit, von seinen Anfängen in der Weimarer Republik bis Auschwitz, offenbart das gesamte Spektrum sozio-politischer Abläufe, die damals – nicht zum ersten Mal und sicherlich auch nicht zum letzten Mal – die von hohen Werten und Idealen getragene Gesellschaften im Laufe der Menschheitsgeschichte immer wieder in den Abgrund der Barbarei und Unmenschlichkeit stürzten. Es sind diese politischen und gesellschaftlichen Mechanismen, die zu jeder Zeit zum Vergleich mit der Gegenwart nicht nur herangezogen werden dürfen, sondern herangezogen werden müssen, um daraus die entsprechenden praktischen Schlüsse ziehen zu können. Das bedeutet historische Verantwortung."
Zum Vergleich der Erstürmung des Kapitols mit der Reichskristallnacht von 1938…
Zum nun von Schwarzenegger gezogenen Vergleich sagt Hofmeister: "Konkrete Vorfälle und Episoden – wie die Erstürmung des Kapitols in Washington vergangene Woche – mit schlichtweg unvergleichbaren Ereignissen aus der NS-Zeit in einem Atemzug zu nennen, mag zwar die nachvollziehbare Intention zugrunde liegen, die durchaus ernst zu nehmende Dramatik und strukturelle Bedrohung der demokratischen Grundordnung in der US-amerikanischen Gesellschaft zu betonen, birgt jedoch in sich die Gefahr, jene Schrecken der NS-Zeit zu verharmlosen, die in ihrer Dimension und Qualität damit einfach nicht vergleichbar sind."
Der Oberrabbiner der IKG Wien, Jaron Engelmayer, meinte gegenüber RT DE dazu:
"Um die Ausmaße oder den beizumessenden Schweregrad einer Situation schnell und besser begreiflich machen zu können, werden hierfür auch oft Vergleiche herangezogen. Da der Holocaust und die Nazi-Zeit nach wie vor von der breiten westlichen Bevölkerung als Inbegriff des Grauens, Schreckens und Bösen verstanden und begriffen werden, werden diese besonders gerne zu genanntem Zweck instrumentalisiert.
Doch handelt es sich hier um ein gefährliches, zweischneidiges Schwert. Während es oft funktioniert, damit die gewünschte Aufmerksamkeit auf die eigenen Worte und die gegenwärtige Ereignisse zu gewinnen, wird gleichzeitig das wohl schlimmste und dunkelste Kapitel der jüngeren Menschheitsgeschichte eins ums andere Mal relativiert, mit nicht vergleichbaren Verhältnissen gleichgesetzt - denn ein wirklicher Vergleich wird der Realität in vielen, wenn nicht den meisten Punkten nicht wirklich standhalten."
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