Nach der zweiten Nacht gewaltsamer Unruhen in Philadelphia wurde die Nationalgarde von Pennsylvania mobilisiert, weil weitere Ausschreitungen befürchtet werden. Bereits in der Nacht zu Dienstag war es infolge zunächst friedlicher Proteste zu Gewalttaten gekommen, nachdem am Montagnachmittag der 27-jährige Afroamerikaner Walter Wallace von Polizisten getötet worden war. Er war zuvor mit einem Messer auf die Beamten losgegangen.
"Eine große Gruppe mit etwa 1.000 Menschen plündert Unternehmen in der Gegend von Castor und Aramingo", teilte die örtliche Polizei am Dienstagabend mit.
Gouverneur Tom Wolf wies nun die Nationalgarde des Bundesstaates an, die örtlichen Strafverfolgungsbehörden "beim Schutz des Lebens, des Eigentums und des Rechts, sich friedlich zu versammeln und zu protestieren", zu unterstützen, erklärte der Beamte für öffentliche Angelegenheiten, Lieutenant Colonel Keith Hickox. Laut dem Gouverneur wird es jedoch 24 bis 48 Stunden dauern, bis die Nationalgarde eintrifft.
"Wir hatten gehofft, dass sich das, was wir gestern Abend gesehen haben, nicht wiederholen wird, und wir treffen jede erdenkliche Vorsichtsmaßnahme", sagte Philadelphias demokratischer Bürgermeister Jim Kenney nach der Ankündigung des Einsatzes der Nationalgarde.
Bei den Ausschreitungen in der Nacht zu Dienstag kam es zu Plünderungen von Geschäften und Brandstiftungen, mindestens ein Polizeifahrzeug ging dabei in Flammen auf.
Es kam zu über 90 Festnahmen. Mindestens 30 Polizisten wurden laut offizieller Angaben bei den Auseinandersetzungen mit Randalierern teils schwer verletzt. Darunter war eine Beamtin, die sich ein Bein brach, nachdem ein Pick-up-Truck in eine Menge von Polizisten gefahren war, wie Videoaufnahmen zeigen.
Ein weiteres Video zeigt, wie Polizisten von Randalierern, die die Beamten mit Steinen und anderen Gegenständen bewerfen, in einer Straße zurückgedrängt werden.
Wie ABC unter Berufung auf Polizeiangaben berichtet, wurden während der Unruhen zudem zehn Geldautomaten gesprengt.
Tötung von Wallace soll untersucht werden – Angehörige machen Polizei Vorwürfe
Wallace wurde am Montagnachmittag erschossen, nachdem die Polizei auf einen Anruf wegen eines Mannes mit einem Messer reagiert hatte. Bei ihrer Ankunft am Tatort trafen sie den 27-Jährigen mit einen Messer bewaffnet an. Nachdem er trotz mehrfacher Aufforderungen die Waffe nicht fallen ließ und sich weiter den Polizisten näherte, die bereits ihre Schusswaffen gezogen hatten, gaben zwei Beamte mehrere Schüsse auf ihn ab.
Von Passanten gemachte Videoaufnahmen zeigen, wie sich Wallace mit gezogenem Messer auf die Beamten zubewegt, während diese rufen: "Legen Sie das Messer weg!" Der Mann sei "unberechenbar" gewesen, so die Darstellung der Polizei.
Wallace wurde in der Schulter und Brust von Kugeln getroffen und verstarb anschließend im Krankenhaus an seinen Verletzungen. Nach Angaben seines Vaters litt er an psychischen Problemen und nahm dagegen Medikamente ein. "Er hat psychische Probleme", sagte Walter Wallace Sr. "Warum müssen Sie ihn niederschießen?" Es sei bekannt gewesen, dass Wallace psychische Probleme gehabt habe, sagte Medienberichten zufolge der Anwalt der Familie, Shaka Johnson. Wallace habe an einer bipolaren Störung gelitten. Demnach hatte die Familie den Notruf gewählt, um einen Krankenwagen zu bestellen. Stattdessen sei die Polizei gekommen.
Auch Anwohner werfen der Polizei vor, dass die Tötung des Familienvaters nicht notwendig gewesen sei. "Sie hätten einen Taser (Elektroschockwaffe) einsetzen oder ihm ins Bein schießen können", so eine Frau gegenüber dem Lokalsender 6abc Philadelphia.
Bürgermeister Kenney erklärt dazu: "Ich habe das Video dieses tragischen Vorfalls gesehen. Es wirft schwierige Fragen auf, die beantwortet werden müssen." Polizeichefin Danielle Outlaw versprach eine gründliche Untersuchung des Falls und erklärte zudem, dass nicht alle Beamte mit Tasern ausgerüstet seien. Zusätzliche Mittel dafür seien beantragt worden.
In den USA war es seit Ende Mai landesweit zu Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt gekommen. Der Auslöser der Proteste war die brutale Tötung des unbewaffneten Afroamerikaners George Floyd bei einem Polizeieinsatz in der Stadt Minneapolis gewesen. Bei den Protesten der "Black Lives Matter"-Bewegung kam es immer wieder auch zu gewalttätigen Ausschreitungen.
Philadelphia-Krawalle könnten Wahlen in Pennsylvania beeinflussen
Der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden sprach den Angehörigen von Wallace sein Mitgefühl aus, verurteilte aber auch die Ausschreitungen: "Gleichzeitig entschuldigt Wut über die sehr realen Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft keine Gewalt." Angriffe auf Polizisten und die Zerstörung kleiner Unternehmen brächten keine Gerechtigkeit.
Bei seinen letzten Wahlkampfauftritten ging Präsident Donald Trump auch auf die Unruhen in Philadelphia ein und machte die Demokraten für die Ausschreitungen mitverantwortlich. "Letzte Nacht wurde Philadelphia von radikalen Biden-Anhängern auseinandergenommen", sagte Trump am Dienstag bei einer Veranstaltung im Bundesstaat Wisconcin. "Biden steht an der Seite der Randalierer, ich stehe an der Seite der Helden der Strafverfolgungsbehörden", so der Präsident, der die Parole "Recht und Ordnung" zu einem zentralen Motto seines Wahlkampfes gemacht hat.
Auch das Weiße Haus macht die Demokraten mitverantwortlich für die Gewalt. "Die Unruhen in Philadelphia sind die jüngste Folge des Krieges der liberalen Demokraten gegen die Polizei", heißt es in einer Erklärung. Alle Vorfälle mit tödlicher Gewalt müssten vollständig untersucht werden. Es könne aber niemals zugelassen werden, "dass der Mob regiert".
Bei der Präsidentschaftswahl 2016 konnte sich Trump in Pennsylvania sehr knapp durchsetzen. Der Bundesstaat im Nordosten der USA lässt sich als Swing State weder den Republikanern noch den Demokraten klar zuordnen. Umfragen räumen derzeit Biden gute Chancen ein, sich die 20 Wahlleute dort zu sichern.
Laut Modellen der Analysefirma TargetSmart ist es seiner Partei gelungen, sich bei den Briefwählerstimmen einen massiven Vorsprung zu sichern. Demnach liegen sie derzeit rund 650.000 Stimmen vorne. Trump konnte den Bundesstaat 2016 mit lediglich rund 45.000 Stimmen Vorsprung für sich entscheiden.
Dennoch könnte das Rennen um Pennsylvania noch eng werden. Denn laut Umfragen haben dort über die Hälfte der Anhänger der Demokraten ihre Stimme bereits per Briefwahl abgegeben, während das nur auf jeden dritten Republikaner zutrifft. Letztere neigen traditionell dazu, ihre Stimme erst am Wahltag selbst abzugeben.
Mit ihren rund 1,6 Millionen Einwohnern ist Philadelphia die größte Stadt in Pennsylvania und eine Hochburg der Demokraten. Bei der Wahl 2016 kamen diese dort auf rund 82 Prozent, während nur 15 Prozent für die Republikaner stimmten. Laut aktuellen Umfragen, die vor den Krawallen durchgeführt wurden, sinkt in der Metropole jedoch die Zustimmung für die Demokraten. Einem Bericht der New York Times zufolge sind sie dort auf 73 Prozent abgerutscht, während sich Trumps Partei auf 24 Prozent steigern konnte. Die Anhänger des Präsidenten gehen davon aus, dass die jüngsten Krawalle die Zustimmung für Trump weiter steigen lassen – und der 74-Jährige den Bundestaat bei den am Dienstag anstehenden Präsidentschaftswahlen am Ende doch noch behaupten kann.
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