Glaubt man den Umfragen, so liegt der Herausforderer für das Amt des US-Präsidenten zwei Wochen vor der Wahl deutlich vor dem Amtsinhaber. So führt Joe Biden nach einer aktuellen Umfrage mit 49,8 Prozent gegenüber Donald Trump mit 44,1 Prozent, wie merkur.de berichtet. Dies bedeutet für Biden allerdings eine Verschlechterung um 2,9 Prozentpunkte gegenüber der Vorwoche und für Trump eine Verbesserung um 1,8 Prozentpunkte. Verantwortlich für die Umfrageverluste Bidens seien Abwanderungen potenzieller Wähler an andere, faktisch aussichtslose Kandidaten wie Jo Jorgensen von der Libertären Partei oder Howie Hawkins von den Grünen, so merkur.de weiter.
Sollte sich dieser Trend in den verbleibenden zwei Wochen fortsetzen, dürfte es auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen hinauslaufen. Doch andererseits beziehen sich derlei Umfragen ja lediglich auf das landesweite Gesamtergebnis. Dieses ist in den USA aber nicht zwangsläufig entscheidend. Denn der amerikanische Präsident wird nicht direkt vom Volk, sondern indirekt über ein Gremium von insgesamt 538 Wahlmännern bestimmt. Wer hier erst die Mehrheit – also 270 Stimmen – erzielt, ist auch tatsächlich gewählt.
Diese für europäische Beobachter ungewöhnliche Konstruktion ist zum einen historisch bedingt, spiegelt zum anderen aber auch die bedeutsame Stellung der Bundesstaaten wider. Denn es sind die Staaten, die eine Union bilden und nicht ein Zentralstaat, der sich nachträglich eine administrative Struktur gibt. In diesem Geiste bestimmen die einzelnen Staaten also zunächst jeder für sich, welchen Kandidaten sie als "Unions-Präsidenten" präferieren und alle Wahlmännerstimmen des jeweiligen Staates zahlen dann sozusagen auf das Konto dieses Kandidaten ein. Nur in Maine und Nebraska gilt das "Winner takes all"-Prinzip nicht. Überlegungen in Richtung einer Veränderung des Wahlrechts erleben gerade in Wahljahren immer mal wieder eine gewisse Konjunktur, verbleiben ansonsten aber eher im rein wissenschaftlichen Diskurs.
In den allermeisten Fällen hatte dies in der Praxis ohnehin keine Auswirkungen auf das Endergebnis. Doch es gibt Ausnahmen. So wurde beispielsweise John F. Kennedy 1960 vom Wahlmännergremium zum US-Präsidenten gewählt, obwohl er nach der Zahl der Gesamtstimmen eigentlich der unterlegene Kandidat war.
Es wird daher diesmal – wie schon bei der Wahl 2016 – von herausragender Bedeutung sein, wer in den sogenannten Swing States die Nase vorn hat. Auch hier hat der demokratische Bewerber Biden laut Umfragen bislang einen klaren Vorteil. Allerdings ist sein Vorsprung in einigen dieser entscheidenden Staaten ausgesprochen knapp – und zwar gerade in so wichtigen wie Florida, Georgia und North Carolina, welche zusammen 60 Wahlmännerstimmen einbringen. Gerade in Florida und North Carolina hat Biden zuletzt stark an Sympathien eingebüßt, wie t-online.de berichtet. Umgekehrt ist Trumps Umfrage-Vorsprung in beispielsweise Ohio ebenso ausgesprochen knapp.
Man darf wohl mutmaßen, dass die Demokraten einen Wahlsieg ihres Kandidaten für beinahe sicher halten. Doch es bleibt abzuwarten, ob sie am Ende nicht ein Déjà-vu erleben. Denn auch Trump hat gute Chancen auf den Sieg. Allerdings hat er weniger Spielraum für Fehler. Ausgehend von den jüngsten Umfragen muss Trump viele Staaten für sich gewinnen, während Biden auf die einen oder anderen "verzichten" kann.
Es dürfte spannend werden. Einige Beobachter sprechen von der Möglichkeit einer unklaren Situation am Wahlabend. Was dann passieren würde, weiß heute niemand so genau. Vermutlich liefe es auf einen langwierigen juristischen Klärungsprozess hinaus ähnlich wie bereits im Jahr 2000. Die amerikanische Verfassung sieht jedoch die Vereidigung des gewählten Präsidenten für den 20. Januar vor. Im Jahr 2000 gelang dies erst, nachdem Al Gore zuletzt auf weitere juristische Schritte verzichtet hatte.
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