von Scott Ritter
Eine vereitelte Verschwörung von 13 selbst ernannten "Milizionären" zur mutmaßlichen Entführung der Gouverneurin von Michigan Gretchen Whitmer unterstreicht, wie gefährlich die politische Kluft in den USA heute ist. Manche Worte in legitimen politischen Auseinandersetzungen laufen Gefahr, "Partisanen" anzufeuern, in einem Land an der Schwelle zu zivilen Gewaltausbrüchen, wie es sie seit den Unruhen der 1960er Jahre nicht mehr gab.
Der Fall der Mitglieder bei den "Wolverine Watchmen", einer in Michigan ansässigen Miliz, liegt ziemlich einfach: Sie werden beschuldigt, geplant zu haben, die Gouverneurin Whitmer zu entführen. Aber die Bemühungen führender Demokraten, darunter von Joe Biden und Gouverneurin Whitmer selbst, den US-Präsidenten Donald Trump für alles Mögliche verantwortlich zu machen, liegt nicht so klar, wie sie es gern hätten.
Nachdem das FBI die Anklage gegen die 13 mutmaßlichen Entführer veröffentlicht hatte, sagte Gouverneurin Whitmer in einer Erklärung:
Erst in der vergangenen Woche stellte sich der Präsident der Vereinigten Staaten vor das amerikanische Volk und weigerte sich, weiße Rassisten und Hassgruppen wie diese beiden Milizen in Michigan zu verurteilen. Vielmehr sagte er ihnen: 'Haltet euch zurück und haltet euch bereit'. Die Hassgruppen verstanden die Worte des Präsidenten 'Haltet euch zurück und haltet euch bereit' nicht als Zurechtweisung, sondern als Sammlungsruf, als Aufruf zum Handeln.
Whitmer bezog sich auf die Wahlkampf-Debatte zwischen Biden und US-Präsident Trump, als dieser vom Moderator Chris Wallace aufgefordert wurde, sich von Verfechtern einer weißen Vorherrschaft zu distanzieren. Nachdem Trump in der Vergangenheit mehrfach eine weiße Vorherrschaft verurteilt hatte, stellte er sich bei der Antwort auf die Frage von Wallace diesmal ungeschickt an und öffnete seinen politischen Gegnern für Anschuldigungen Tür und Tor. Wallace und Biden hoben denn auch in der Debatte hervor, Trump habe die Aktionen weißer rassistischer Gruppen wie der Proud Boys eher gefördert als verurteilt.
Beim Hervorheben der TV-Debatte verstehen Biden wie Whitmer jedoch nicht, worum es eigentlich geht. Was in Michigan geschah, war kein Ausdruck einer der weißen Vorherrschaft, sondern vielmehr ein Problem des staatlichen Machtmissbrauchs und des Gefühls der Frustration eines bestimmten Teils der Bevölkerung, gegen solchen Missbrauch wenig oder gar nichts mehr ausrichten zu können.
Ein Blick auf die Anklage des FBI zeigt, dass die Verschwörung zur Entführung Whitmers angeblich auf ein Treffen im Juni 2020 zurückzuführen ist. Die Teilnehmer sollen über den Sturz der Regierungen jener Bundesstaaten diskutiert haben, "von denen sie glaubten, dass sie gegen die US-Verfassung verstoßen". In diesem Zusammenhang fiel auch der Name Whitmer.
Die von den Verschwörern behaupteten "Verstöße gegen die Verfassung" standen im Zusammenhang mit Maßnahmen, die Whitmer im April 2020 als Reaktion auf den Ausbruch von COVID-19 verhängt hatte. Diese Maßnahmen führten zu groß angelegten Protesten gegen Whitmer, einschließlich der Besetzung des Regierungsgebäudes des US-Bundesstaates Michigan durch bewaffnete Bürger. Am 17. April 2020 twitterte Präsident Trump zur Unterstützung dieser Demonstranten "Befreit Michigan". Und am 1. Mai folgte ein Tweet, in dem er schrieb:
Die Gouverneurin von Michigan sollte ein wenig nachgeben und das Feuer löschen. Das sind sehr gute Leute, aber sie sind wütend. Sie wollen ihr Leben wieder zurückhaben! Treffen Sie sich, reden Sie mit ihnen, machen Sie einen Deal.
Whitmer ignorierte den Präsidenten, und der daraus resultierende Groll heizte jene Wut noch an, die Grundlage für das Treffen im Juni war, bei dem dann angeblich die Idee zur Entführung der Gouverneurin geboren wurde. Auch wenn die Entscheidung der "Wolverine Watchmen", gegen Gouverneurin Whitman vorzugehen, ein Verbrechen der ungeheuerlichsten Art darstellt, das unter keinen Umständen toleriert werden kann, ist es eine Tatsache, dass sich das zugrunde liegende Anliegen als Rechtfertigung dieser Miliz, wonach Gouverneurin Whitmer ihre verfassungsmäßigen Befugnisse überschritten hatte, als rechtlich einwandfrei erwies.
Am 2. Oktober 2020 erklärte der Oberste Gerichtshof von Michigan die Maßnahmen, die zur Besetzung des Regierungssitzes im April geführt hatten, für verfassungswidrig und stellte fest, dass die Gouverneurin die Legislative des Bundesstaates, die in Michigan von den Republikanern dominiert wird, nicht umgehen durfte, indem sie die Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 per Notverordnung verabschiedete.
Das Urteil des Obersten Gerichtshofs von Michigan knüpft damit an ein ähnliches Urteil eines Bundesbezirksrichters an, der ähnliche Maßnahmen zur Eindämmung von Pandemien in Pennsylvania als "verfassungswidrig" eingestuft hatte. Richter William Stickman IV hatte damals festgestellt, dass "selbst im Notfall die Autorität der Regierung nicht uneingeschränkt ist". Die Verfassung könne das Konzept einer "neuen Normalität" nicht akzeptieren, bei der die Grundfreiheiten des Volkes unbefristeten Notverordnungen zur Eindämmung der Pandemie untergeordnet werden.
Diese beiden Gerichtsurteile unterstreichen die philosophische Kluft zwischen Demokraten und Republikanern, wenn es um die Reaktion auf COVID-19 geht.
Die Generalstaatsanwältin von Michigan Dana Nessel erklärte Reportern, dass die Republikaner und Strafverfolgungsbehörden von Michigan an der Verschwörung gegen Whitmer beteiligt gewesen seien, weil sie "an einer Reihe dieser Veranstaltungen teilgenommen haben". Nessel hob auch Trumps Tweet "Befreit Michigan" als ein Beispiel hervor, dass die Miliz zur Entführung Whitmers ermutigt wurde. "Diese Leute denken, dass er mit ihnen spricht", sagte Nessel. "Ich meine, er sagte – wenn Sie sich erinnern – tatsächlich, die Gouverneurin solle sich hinsetzen und verhandeln mit diesen bewaffneten Männern." Biden sprang auf den Zug auf und antwortete auf die Frage, ob er die Meinung teile, dass Trumps Tweet "Befreit Michigan" Milizen ermutigt habe: "Ja, das tue ich."
Tatsache bei der Angelegenheit ist jedoch, dass Trumps Tweet überhaupt nichts mit den illegalen Handlungen der "Wolverine Watchmen" zu tun hat, dafür aber umso mehr mit den verfassungsmäßigen Rechten der Bürger von Michigan. Man kann sich der harten Wahrheit nicht entziehen, dass Trump und die Demonstranten die Handlungen Whitmers zu Recht verfassungswidrig nannten. Biden sollte vielleicht darüber nachdenken, bevor er seinen Senf dazugibt.
Trump für seinen Teil reagierte auf Whitmers Vorwürfe und erklärte:
Ich toleriere keinerlei extreme Gewalt. Was ich als ihr Präsident immer tun werde, ist, alle Amerikaner zu verteidigen, auch diejenigen, die sich mir widersetzen und mich angreifen! Gouverneur Whitmer, öffnen Sie Ihren Staat wieder, öffnen Sie Ihre Schulen und öffnen Sie Ihre Kirchen!
Rechtlich und verfassungsmäßig gesehen, liegt Trump richtig.
Das Verwirrspiel in Michigan ist nur ein Mikrokosmos einer größeren Kluft, die heute in den USA besteht und die durch die COVID-19-Pandemie stärker in den Fokus gerückt wurde. Trumps Wahlsieg im Jahr 2016 enthüllte die Realität, dass es tatsächlich zwei Vereinigte Staaten von Amerika gibt. Die einen spiegeln Werte wider, die mehr oder weniger im Einklang mit Donald Trumps revanchistischem Motto stehen, die USA wieder groß zu machen, (und dabei selbst jenes Establishment anzugreifen, das dafür verantwortlich ist, dass es anfangs großartig war). Die anderen USA sind jene, die sich in etwa am progressiven Flügel dieses Establishments orientieren, das die USA unter weitgehender Ablehnung der altbekannten Praktiken, die der Kern von Trumps Vision von Größe sind, neu definieren will.
Trumps persönlicher und politischer Kampf gegen die COVID-19-Pandemie führte zu einem regelrechten Bürgerkrieg mit seinen demokratischen Gegnern, in dem alles bis zur nationalen Lähmung politisiert wurde. In dem Gesetze zur Unterstützung bedürftiger Familien der werktätigen Klasse aufgehalten werden, rein aus der Angst, sie könnten der anderen Seite mehr nutzen als der eigenen. Ebenso wird Trumps Wunsch, die Wirtschaft wiederzubeleben im Sinne der Verbesserung seiner Chancen für eine Wiederwahl, von der demokratischen Opposition konterkariert, die eher von der Notwendigkeit getrieben wird, als ein Gegner Trumps wahrgenommen zu werden, als dass es ihr tatsächlich um das Wohl der Menschen ginge.
Der Oberste Gerichtshof wurde in diesem Kampf zu einem Schlachtfeld. Die Demokraten befürchten, dass eine absolute Mehrheit der Konservativen von sechs zu drei nicht nur langjährige liberale Anliegen wie Abtreibungsrechte und Obamacare (Anm.: Patient Protection and Affordable Care Act (PPACA) ist ein Bundesgesetz der Vereinigten Staaten, auf Deutsch: Patientenschutz und erschwingliche Pflege) abschießen wird, sondern auch dazu beitragen könnte, die Präsidentschaftswahlen am 3. November zugunsten Trumps zu beeinflussen.
Trumps Verteidigung der Verfassungsgrundsätze machte die Absurdität einer "konstitutionellen" Reaktion der Demokraten deutlich. So zum Beispiel Nancy Pelosis bizarren Versuch, sich auf den 25. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten zu berufen, der die Bedingungen regelt, unter denen ein amtierender Präsident ersetzt werden kann. Pelosi schlug die Schaffung einer ständigen Kommission vor, die die Fähigkeit des Präsidenten zur Amtsausübung prüfen solle.
Pelosis Vorschlag hat keine Chance, ein Gesetz zu werden – der von den Republikanern kontrollierte Senat wird dafür sorgen. Aber genau wie bei einer demokratischen Amtsenthebung des Präsidenten ist es auch das Ziel Pelosis, Trumps Glaubwürdigkeit und Funktionsfähigkeit anzugreifen. Hierin liegt das Problem: Mit Präsident Trump und Pelosi an entgegengesetzten Enden in dieser konstitutionellen Auseinandersetzung um die Legitimität von Trumps Amtszeit bekamen die bevorstehenden Wahlen den Ruf von "Wir gegen die", der das Gerangel in Michigan vergleichsweise blass erscheinen lässt.
Es besteht kein Zweifel: Die USA stehen kurz vor einer Krise, die sie wie keine andere in der heutigen Zeit auf die Probe stellen werden. Beide Seiten steckten Positionen ab, die angeblich auf der Grundlage der Verfassung begründet sind. Und somit können und werden beide Seiten behaupten, dass die Wahl für die USA eine Überlebensfrage sei. Indem beide Seiten das Ergebnis in der Weise definieren, schufen sie die Bedingung, dass niemand etwas anderes als seinen eigenen Sieg akzeptieren kann. Es wird keinen friedlichen Machtübergang geben.
Leider bedeutet dies auch, dass diese Wahl wahrscheinlich vor Gericht entschieden wird. Und während dieser Rechtsstreit noch tobt, werden die extremen "Partisanen" beider Seiten auf die Straße gehen. Es wird Blut fließen – und es gibt wenig, das beide Seiten tun können, um dies zu verhindern. Denn beide Seiten tragen gleichermaßen die Verantwortung dafür. Sie schufen die einer militanten Parteilichkeit zugrunde liegenden Umstände, die die Politik in den USA heute bestimmen.
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Übersetzt aus dem Englischen. Scott Ritter ist ein ehemaliger Offizier für Aufklärung der US-Marineinfanterie. Er diente den USA in der Sowjetunion als Inspektor für die Umsetzung der Auflagen des INF-Vertrags, während des Zweiten Golfkriegs im Stab von General Norman Schwarzkopf und war danach von 1991 bis 1998 als Waffen-Chefinspekteur bei der UNO im Irak tätig. Derzeit schreibt Ritter über Themen, die die internationale Sicherheit, militärische Angelegenheiten, Russland und den Nahen Osten sowie Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung betreffen.
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