Seit 19 Jahren versuchen die USA, die Taliban in Afghanistan zu besiegen. Anfängliche Flächenbombardements zeigten durchaus Wirkung und die Kämpfer des Mullahs Omar flohen scharenweise über den Hindukusch nach Pakistan. Letztendlich war es jedoch die Besatzung Afghanistans durch westliche NATO-Truppen, die die Taliban veranlasste, sich neu zu formieren.
Seitdem haben sich die Taliban zu einer starken paschtunischen Streitmacht entwickelt, die sich von der überlegenen Feuerkraft der US-Armee nicht mehr so leicht aus der Ruhe bringen lässt. Nach fast zwei Jahrzehnten Krieg kontrollieren sie etwa die Hälfte des Landes und profitieren von der Schwäche der Zentralregierung in Kabul, die durch westliche Gelder stark korrumpiert wurde.
Da ein Sieg der vermeintlich mächtigsten Armee der Welt über ein paar Tausend Kämpfer seit Jahren nicht in Reichweite schien und selbst mit der Aufstockung von Truppen kurz nach Barack Obamas Wahl zum US-Präsidenten nicht umgesetzt werden konnte, war es tatsächlich der gegenwärtige US-Präsident Donald Trump, der der Realität ins Auge blickte. Die Frage war nur, ob die USA bei dem unvermeidlichen Abzug aus Afghanistan ihr Gesicht würden wahren können oder nicht.
Genau dies war später Gegenstand der Verhandlungen zwischen der US-Regierung und den Taliban, die im Februar mit einem Abkommen besiegelt wurden. In den vergangenen Monaten zog das Pentagon bereits Tausende Soldaten ab, sodass sich gegenwärtig weniger als 5.000 Männer und Frauen in US-Uniform in dem zentralasiatischen Land befinden. Bis Anfang kommenden Jahres soll die Zahl noch einmal halbiert werden.
Damit das auch so bleibt und Washington sich an die Vereinbarungen hält, sehen es die Taliban offensichtlich als Voraussetzung an, dass Trump im Amt bleibt. Ein Joe Biden könnte sich gegen das unterzeichnete Abkommen stellen, die Truppen vor Ort lassen und bei Bedarf jederzeit wieder aufstocken. Dass sich die USA nicht zwingend an Abkommen bei einem Wechsel im Weißen Haus halten, zeigte Donald Trump selbst, als er aus dem unter Obama ausgehandelten Atomabkommen (JCPOA) mit dem Iran ausstieg.
In verschiedenen Interviews mit dem Sender CBS News äußerten sich sowohl Zabihullah Mudschahid, offizieller Sprecher der Taliban, als auch ein weiterer Vertreter zum Wahlkampf in den USA. Der namentlich nicht genannte Vertreter meinte, man hoffe, dass Trump die Wahlen gewinnt und die Truppen wie vereinbart abzieht. Mudschahid hingegen äußerte sich detaillierter zu dem Thema:
Wir denken, dass die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung müde von der Instabilität ist, von den wirtschaftlichen Fehlschlägen und Lügen der Politiker, und dass sie erneut Trump vertrauen werden, weil Trump entscheidungsfreudig ist und die Situation innerhalb des Landes kontrollieren könnte. Andere Politiker, einschließlich Biden, skandieren nur unrealistische Slogans.
Aber auch zu geopolitischen Fragen zeigte der Talibansprecher eine realistische Einschätzung. Er stellte fest, dass es einen Zusammenhang zwischen der militaristischen Interventionspolitik der USA und der Destabilisierung in den betreffenden Staaten mit allen daraus folgenden Konsequenzen gebe:
Der Slogan von Trump war von Anfang, dass sie nicht den Weltpolizisten spielen und auch keine allgemeine Weltflagge und Hymne haben wollen, sondern dass Amerika die Priorität ist. Wenn es keine Einmischung der USA in andere Länder gibt, glauben wir, dass sie im Vergleich zu ihrer aggressiven Position weniger Bedrohungen ausgesetzt sein werden. Trump verfolgt eine klare Politik in dieser Hinsicht und für Amerika ist das besser.
Diese unerwartete Unterstützung für den um die Wiederwahl kämpfenden US-Präsidenten kommt in Washington jedoch nicht gut an. Tim Murtaugh, Trumps Kampagnenchef, wies diese Unterstützung der Taliban zurück und erklärte, dass sie "wissen sollten, dass der Präsident immer amerikanische Interessen mit allen Mitteln verteidigen" werde.
Mehr zum Thema - "Schrecklich katastrophal": US-Kriege sind für mindestens 37 Millionen Flüchtlinge verantwortlich