von Kani Tuyala
Eines kommt bei der aktuellen Diskussion nach dem Mord an dem Afroamerikaner George Floyd und den internationalen Protesten zu kurz: Rassismus ist integraler Bestandteil der Geschichte des Kapitalismus und kann nicht von seiner Entwicklung getrennt werden. Rassismus war – und ist immer noch – eine ideologische Rechtfertigung für neokoloniale Kriege und Eroberung.
Es war die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright, die die Ansicht vertrat, dass der Tod von 500.000 irakischen Kindern durch die US-Sanktionspolitik "den Preis wert war". Der Wert eines Kindes ist eben relativ und hängt zu einem beträchtlichen Teil auch von der Farbe seiner Haut ab.
Tatsächlich war zudem die Institution der quasi-industriellen Sklaverei die notwendige Voraussetzung für die Entwicklung der modernen Industrie. Es war u.a. Karl Marx, der betonte, dass Sklaverei "eine Wirtschaftskategorie von größter Bedeutung" sei.
Es ist die Sklaverei, die den Kolonien ihren Wert gab; es sind die Kolonien, die den Welthandel geschaffen haben, und es ist der Welthandel, der die Voraussetzung für die Großindustrie ist. Somit ist Sklaverei eine wirtschaftliche Kategorie von größter Bedeutung", argumentierte Marx in seiner Herleitung.
Rassismus ist und war nie ein Phänomen des Kapitalismus. Er ist integraler Bestandteil seiner Entwicklung, hob Marx hervor. Oder wie der Historiker Walter Johnson 2018 über die entsprechende Kausalität schrieb:
Es gab keinen Kapitalismus ohne Sklaverei: die Geschichte von Manchester [in Großbritannien, Anm. d. Red.] geschah nie ohne die Geschichte von Mississippi.
Dies ist der eigentliche historische Kontext der aktuellen Proteste nach dem Mord an dem Afroamerikaner George Floyd. Rassismus und Kapitalismus sind zwei Seiten derselben Medaille. Man kann nicht die immer offenkundigeren Auswüchse des Kapitalismus kritisieren, ohne auch den Rassismus anzuprangern – und umgekehrt.
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Die Nachfahren afrikanischer Sklaven waren dabei immer nur das schwächste Glied der kapitalistisch geprägten Klassen- und Weltordnung, das Synonym schlechthin für die reine Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft, auf der sich die nun "freien" transatlantischen Gesellschaften herausbilden konnten. Und selbstverständlich herrscht auch unter den wirtschaftlich und sozial gebeutelten Gesellschaftsschichten eine Hierarchisierung vor, die sich nicht selten an der Hautfarbe orientiert. Teile und herrsche, auch wenn etwa weiße Arbeiter mit ihren schwarzen Kollegen weit mehr gemeinsam haben als mit Mark Zuckerberg, Bill Gates oder Jeff Bezos.
Auch deshalb ist dem Kampf gegen Rassismus nicht mit kosmetischen Veränderungen am Status quo beizukommen, etwa in Form einer möglichen "Polizeireform" in den USA. Ohne die Einbeziehung des schon längst auch für nicht dunkelhäutige Menschen zum menschenverachtenden Gesellschaftssystem mutierten "land of the free" wird jedes Aufbegehren gegen Rassismus ins Leere laufen. Schlimmer noch, es wird von denjenigen absorbiert, die für dessen Kontinuität und Notwendigkeit stehen. Der strukturelle Rassismus ist schließlich systemrelevant.
Daher ist es keinesfalls ungewöhnlich, aber bemerkenswert, dass just US-amerikanische Konzerne wie Apple, Google, Facebook und Amazon nun den einen oder anderen Dollar lockermachen, um sich im Kampf gegen den grassierenden Rassismus zu engagieren.
So kündigten Apple und Google vor wenigen Tagen an, jeweils 100 Millionen US-Dollar für Initiativen zur Bekämpfung von Rassismus in die Hand nehmen zu wollen. Apple versprach zudem, in "Bildung" und eine "Strafrechtsreform" zu investieren.
Die Dinge müssen sich ändern, und Apple hat sich verpflichtet, eine Kraft für diesen Wandel zu sein", erklärte Apple-Chef Tim Cook auf Twitter.
100 Millionen US-Dollar. Das klingt nach dem großen Wurf, nach bedingungsloser Ernsthaftigkeit. Dabei sollte man jedoch nicht vergessen, das Apple laut Wall Street Journal im vergangenen Jahr einen Gewinn von 55 Milliarden US-Dollar bei einem Umsatz von 260 Milliarden US-Dollar erzielte.
Dabei basiert der gigantische Erfolg des US-Konzerns auf den ausbeuterischen Prinzipien, deren integraler Bestandteil der aktuell weltweit kritisierte Rassismus und menschenverachtende Geschäftspraktiken sind. Dies kommt nicht von ungefähr der sprichwörtlichen Quadratur des Kreises gleich. Relativ preisgünstiges Top-Marketing am Puls der Zeit und damit für ein "hippes" Unternehmen wie Apple unverzichtbar ist es allemal.
Doch der nachhaltige Wettbewerbsvorteil von Apple basiert nicht etwa auf "Innovation", überlegenem Design und Marketing. Er ist vor allem auch Ergebnis einer knallharten und nur wenig innovativen Lieferkette. Apple schuf ein geschlossenes Ökosystem, das jeden Teil der Lieferkette vom Design bis zum Einzelhandel kontrolliert – mit oft fatalen Folgen für die schwächsten Glieder der Kette.
Der Aktivist Li Qiang von der in den USA ansässigen Organisation China Labour Watch sagt dazu:
Ohne China wäre Apple nicht das Unternehmen, das es heute ist. Kein anderes Land kann so billig Arbeitskräfte bereitstellen und seine Produkte so schnell herstellen.
Das Ganze unter höchst fragwürdigen Bedingungen, die sich nur schlecht mit dem Apple-Verhaltenskodex vertragen:
Apple hat sich den höchsten Standards für soziale und ökologische Verantwortung und ethisches Verhalten verpflichtet. Die Zulieferer von Apple sind verpflichtet, für sichere Arbeitsbedingungen zu sorgen, Mitarbeiter mit Würde und Respekt zu behandeln, fair und ethisch zu handeln und umweltverträgliche Praktiken anzuwenden, unabhängig davon, wo sie Produkte herstellen oder Dienstleistungen für Apple erbringen.
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Diese Aussage reflektiert in hohem Maße die Grundlage, auf der Apple arbeitet: ein vermeintlich moralischer Anspruch, der die tatsächliche Verantwortung für die eigene Profitabilität aber anderen auferlegt.
Während also Apple die Last von Kosten und Produktion verlagert, lassen seine Zulieferer die Arbeiter diese durch niedrige Löhne und unsichere Bedingungen tragen. Das Ergebnis ist ein Wettlauf nach unten bei den grundlegendsten Arbeits- und Umweltstandards in den sogenannten "Entwicklungsländern".
Noch augenscheinlicher wird die nach wie vor äußerst lebendige Logik einer ausbeuterischen Wertschöpfungskette fast wie zu den "besten" Sklaverei-Zeiten, wenn man den Blick nach Afrika richtet. So reichten Ende 2019 14 kongolesische Familien wegen der unmenschlichen Arbeitsbedingungen in den lokalen Kobaltminen im Kongo eine Sammelklage gegen Unternehmen wie Google, Apple, Microsoft und Tesla ein.
In den entsprechenden Minen müssen Kinder (wir erinnern uns an Madeleine Albright) für einen Hungerlohn von einem bis zwei US-Dollar am Tag unter steinzeitlichen Bedingungen arbeiten. Nicht selten führen die miserablen Arbeitsbedingungen zum Tod der Kinder – womit der traditionelle und unabdingbare Kreislauf von Profitmaximierung auf dem Rücken der aktuell Schwächsten geschlossen bleibt.
Im Boden der Demokratischen Republik Kongo (DRK) lagern die weltweit größten Kobaltvorkommen. Kobalt wird wiederum für die Produktion von Lithium-Ionen-Akkus benötigt. Wie praktisch also, dass eines der potenziell reichsten Länder der Welt einfach nicht auf die Beine kommt und von Armut und Konflikten zerrissen wird. Warum dies so ist, diese Frage stellen sich offensichtlich zu wenige Menschen.
Viel einfacher ist es, die Armut allein der Korruption und Misswirtschaft "der Afrikaner" zuzuschreiben. Ein Narrativ, das wiederum eine der Hauptquellen für den weltweit grassierenden Rassismus gegenüber schwarzen Menschen darstellt und nicht selten von denjenigen geteilt wird, die ansonsten differenziert und bisweilen leidenschaftlich die destruktive Machtpolitik der vermeintlichen Wertegemeinschaft kritisieren.
Apple-Chef Cook sagte, dass die Apple-Initiative für "Rassengleichheit" und "Gerechtigkeit" nach dem Vorbild der Arbeit des Unternehmens im Bereich der ökologischen Nachhaltigkeit der letzten Jahre gestaltet werden soll. Gleichzeitig geht der Konzern nur halbherzig gegen massive Menschenrechts-, Umwelt- und ethische Probleme innerhalb seiner globalen Lieferketten vor.
Zudem will man im Rahmen der eigenen Initiative die Unterstützung für afroamerikanische Bildungseinrichtungen ausweiten. Das ergibt durchaus Sinn, können die Studenten nach ihrem Abschluss doch direkt in das System eingespeist werden, von dem Apple selbst profitiert. Das Rennen um die mit Geld und Einfluss gefüllten Futtertröge ist bislang nicht fair organisiert, aber für alle gleich attraktiv – unabhängig von der Hautfarbe.
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