Unerwünschte politische und gesellschaftliche Entwicklungen werden anderen in die Schuhe geschoben. Es ist dieser Reflex, der sich in der transatlantischen Hemisphere etabliert, aber wohl kaum bewährt haben dürfte. Die Lösung der hausgemachten Probleme wird lediglich und auf fahrlässige Weise auf die lange Bank geschoben.
Die Spirale der Schuldzuweisungen scheint sich dabei immer schneller zu drehen und unerfreuliche Entwicklungen werden nunmehr gerne gleich zwei vermeintlichen "Strippenziehern" angelastet und sagt dabei doch ein ums andere Mal mehr über den Ankläger als über den Beschuldigten aus. Aktuellstes Beispiel sind die historisch wohl einmaligen Proteste nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd durch die US-Polizei.
So war es der Senator Marco Rubio, ein Republikaner aus dem Bundesstaat Florida und amtierender Vorsitzender des Select Intelligence Committee des Senats, der auf Twitter anklagend seinen Zeigefinger schwang:
Ich sehe SEHR starke protestbezogene Aktivitäten in den sozialen Medien und Gegenreaktionen von Konten in sozialen Netzwerken, die mit mindestens drei ausländischen Gegnern in Verbindung stehen. Diese Spaltungen haben sie zwar nicht erschaffen, aber sie schüren und fördern aktiv Gewalt und Konfrontation aus verschiedenen Schlagrichtungen.
"Ausländische Einmischung" also, aber nicht etwa diejenige der US-Regierung in Wahlen und Entwicklungen anderer Staaten. Dies gilt offensichtlich als selbstverständlicher Teil des eigenen Sendungsbewusstseins. Schließlich bezeichnet man sich offiziell gerne als "exzeptionell".
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Schließlich wurde die ehemalige Beraterin für nationale Sicherheit unter US-Präsident Barack Obama, Susan Rice, in Sachen Urheberschaft des "ausländischen Einflusses" konkreter. In einem CNN-Interview erklärte Rice:
Ich würde wetten – aufgrund meiner Erfahrung, denn die Aufklärungsdaten lese ich heutzutage nicht mehr –, doch nach meiner Erfahrung ist das hier [die zum Teil eskalierenden Proteste, Anm. d. Red.] ebenfalls direkt aus dem russischen Spielbuch entnommen.
Derweil besteht Grund zu der Annahme, dass es vielmehr dem US-amerikanischen "Spielbuch entnommen" scheint, stets Verschwörungstheorien über vermeintliche ausländische Akteure zu verbreiten, wenn für unerwartete Entwicklungen ein Schuldiger – bislang vorzugsweise die russische Regierung – benötigt wurde.
Nun scheint man jedoch, anhand der Devise "doppelt hält besser" vorzugehen. So behauptete das Weiße Haus demnach am Freitag, es habe Informationen, "wonach Personen, die mit dem venezolanischen Staatspräsidenten Nicolás Maduro in Verbindung stehen, zu Gewalt bei den Protesten in den Vereinigten Staaten angestiftet haben".
Der US-Senator Sen Rick Scott polterte, dass die US-Regierung "hart gegen alle Agenten vorgehen" werde, die "mit lateinamerikanischen Diktatoren in Verbindung stehen" und bezog sich damit auf einen Bericht des Blogs Diario Las Américas.
Beweise wurden wie üblich nicht zur Verfügung gestellt und das Weiße Haus lehnte es demnach ab, "Informationen aus nicht offenen Quellen" zu diskutieren, die zur entsprechenden Einschätzung geführt hätten.
Wir sind uns der Bemühungen von Personen bewusst, die mit Amerikas Gegnern in Verbindung stehen, einschließlich des illegitimen Regimes des venezolanischen Nicolás Maduro, einen Konflikt anzuzetteln, zur Gewalt anzustiften und die Amerikaner zu spalten, indem sie friedliche Proteste ausnutzen", erklärte ein hoher Beamter der Trump-Regierung demnach gegenüber dem Miami Herald und forderte aufgrund der Sensibilität der Geheimdienstangelegenheit Anonymität.
Auf die Frage nach zusätzlichen Informationen, um die Behauptungen zu untermauern, hieß es demnach:
Wir sind nicht in der Lage, über nicht-öffentliche Informationen weiter zu diskutieren.
Wie dem auch sei, die Anschuldigungen sind in der Welt und werden nach dem Vorbild klassischer Verschwörungstheorien ihre Verbreitung finden – auch ohne Beweise. Das FBI und die US-Staatsanwaltschaft gaben bislang ebenfalls keinen Kommentar ab. Das US-Außenministerium wiederum erklärte demzufolge, dass jegliche Ermittlungen zu inländischen Protesten nicht in seinen Zuständigkeitsbereich fallen.
Vielleicht gilt es jedoch in der Zwischenzeit bereits als Einmischung ausländischer Akteure, wenn ein Staatsmann sich anmaßt, Vorgänge in den USA kritisch zu kommentieren.
Das Erwachen des amerikanischen Volkes ist nicht nur ein Protest für den Tod von George Floyd, es ist gegen ein ganzes System von Rassismus und struktureller Unterdrückung, gerichtet, das nicht endet", erklärte der venezolanische Präsident Nicolás Maduro angesichts der flächendeckenden US-Proteste am Montag auf Twitter.
Eine direkte Verbindung zu den Protesten nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd wies Maduro im Namen Venezuelas kategorisch von sich.
Ist Maduro schuldig an der Ermordung von George Floyd, ist Maduro schuldig an der Ermordung von 700 Afroamerikanern in den letzten sieben Jahren, ist Maduro schuldig an Unterdrückung, Repression, Polizeibrutalität in den Vereinigten Staaten", fragte Maduro rethorisch an die US-Regierung gerichtet.
Laut Maduro seien es weite Teile des "amerikanischen Volkes" selbst, die die Proteste tragen und nicht nur den Mord an George Floyd ablehnen, sondern auch das gesamte System von "Rassismus und struktureller Repression".
Wie weit werden sie ihre 'Maduritis', ihre Besessenheit und ihren Wahnsinn treiben", fragte Maduro.
Laut dem von der transatlantischen Wertegemeinschaft als "Diktator" titulierten Maduro hätten die massiven sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen aufgrund der Corona-Krise den "Volksaufstand" gefördert. Dieser sei der "erste politische Ausdruck der aufgestauten Spannungen nach der Pandemie".
In diesem Zusammenhang brachte Maduro auch sein Bedauern gegenüber den vielen gemeldeten Vorfällen von Polizeibrutalität gegen Demonstranten zum Ausdruck. Eine Brutalität, die demnach auch friedliche Demonstranten treffe.
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