Ming Lin, ein Notfallarzt im Bundesstaat Washington, erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg, man habe ihm am 27. März gesagt, er sei gefeuert, weil er einer Zeitung ein Interview über einen Facebook-Post gegeben habe, in dem er eine seiner Meinung nach unzureichende Schutzausrüstung und fehlende Tests beschrieben habe. In Chicago wurde eine Krankenschwester entlassen, nachdem sie ihren Kollegen per E-Mail mitgeteilt hatte, dass sie sich während des Dienstes eine sicherere Schutzmaske wünsche. In New York hat das Gesundheitssystem der NYU Langone Health die Mitarbeiter gewarnt, dass sie entlassen werden, wenn sie ohne Genehmigung mit den Medien sprechen.
Krankenhäuser geben Krankenschwestern und anderen Mitarbeitern des Gesundheitswesens einen Maulkorb, um ihr Image zu wahren. Das ist empörend!", so Ruth Schubert, die Sprecherin der Krankenschwester-Vereinigung in Washington D.C.
Krankenhäuser haben traditionell strenge Richtlinien für den Umgang mit Medien, um die Privatsphäre der Patienten zu schützen und verlangen vom Personal, mit Journalisten nur über offizielle Presseabteilungen zu sprechen. Aber die Pandemie habe eine neue Ära eingeläutet, argumentiert Schubert:
Die Mitarbeiter des Gesundheitswesens müssen die Möglichkeit haben, der Öffentlichkeit mitzuteilen, was in den Einrichtungen, in denen sie die COVID-19-Patienten versorgen, wirklich vor sich geht.
Dieser Ansicht stimmt auch Glenn Cohen, Fakultätsdirektor des Bioethik-Zentrums der Harvard Law School, zu. "Es ist gut und angemessen, dass Beschäftigte des Gesundheitswesens ihre eigenen Ängste und Sorgen zum Ausdruck bringen können, insbesondere wenn sie dies tun, um sich besser schützen zu können", wird er von Bloomberg zitiert. Cohen führt weiter aus:
Krankenhäuser versuchen, den Reputationsschaden zu begrenzen. Denn wenn die Mitarbeiter des Gesundheitswesens öffentlich erklären, dass sie nicht geschützt werden, fängt die Öffentlichkeit an, sich über das Krankenhauswesen zu empören.
Aktuell bringen viele Ärzte, Krankenschwestern und andere Mitarbeiter des US-Gesundheitswesens in den sozialen Medien tiefe Besorgnis über das Fehlen von Schutzausrüstung oder dringend benötigter Patientenpflegeausrüstung wie Beatmungsgeräte zum Ausdruck. Einige Beiträge haben sich viral verbreitet und wurden hunderttausendfach geteilt, begleitet von dem Hashtag #GetMePPE. Die Datenschutzgesetze der US verbieten zwar die Weitergabe spezifischer Patienteninformationen, aber sie verbieten bisher nicht die Diskussion über allgemeine Arbeitsbedingungen.
Nach der Untersuchung einer hypoxischen Frau in ihren 50ern ohne medizinische Probleme, die wahrscheinlich COVID hat, musste ich meinen Einweg-Gesichtsschutz, den ich in den letzten drei Tagen getragen habe, mit einem Desinfektionsmittel reinigen, das zur Reinigung von Krankenhausbetten verwendet wird, da uns die Desinfektionstücher ausgegangen sind.
Auch die Mitarbeiter der NYU Langone Health, ein medizinisches und universitäres Zentrum mit Sitz in New York City, erhielten am Freitag eine Mitteilung, die besagte, dass jeder, der ohne Genehmigung mit den Medien über Arbeitsbedingungen im Corona-Kontext spricht, "disziplinarischen Maßnahmen bis hin zur Kündigung" ausgesetzt sei.
Meine Babys sind noch zu jung, um das jetzt zu lesen. Und sie würden mich in meiner Ausrüstung kaum erkennen. Aber wenn sie mich an COVID verlieren, sollen sie wissen, dass Mama sich sehr bemüht hat, ihre Arbeit zu tun. #GetMePPE #NYC
Lauri Mazurkiewicz, 46 Jahre, die Krankenschwester aus Chicago, die vom Northwestern Memorial Hospital fristlos entlassen wurde, nachdem sie ihre Kollegen aufgefordert hatte, mehr Schutzausrüstung zu tragen, hat mittlerweile eine Klage wegen "unrechtmäßiger Kündigung" eingereicht. Sie kümmert sich neben ihrer Tätigkeit als Krankenschwester um ihren Vater, der an einer schweren Atemwegserkrankung leidet. Mit 75 Jahren gehört er zu einer der Risikogruppen, die am häufigsten an dem Virus sterben:
Ich wollte mich nicht infizieren, weil ich nicht die richtige Maske trage und es dann auf meine Patienten und meine Familie übertragen. Viele Krankenhäuser lügen ihre Mitarbeiter an und sagen, dass einfache Masken ausreichen und die Krankenschwestern werden dann krank und sterben.
Das betroffene Krankenhaus lehnte eine Stellungnahme bisher ab und ließ lediglich erklären, dass man sich "der Sicherheit unserer Mitarbeiter verpflichtet" fühle.
Nisha Mehta, eine 38-jährige Radiologin aus Charlotte, North Carolina, betreibt zwei Facebook-Gruppen für Ärzte mit etwa 70.000 Mitgliedern. Laut ihrer Darstellung, gibt es unzählige Zuschriften von Ärzten aus den gesamten USA, die von fehlenden Schutzmaßnahmen und Ressourcen sprechen, aber dieses nicht an die Öffentlichkeit bringen, weil ihnen von den jeweiligen Krankenhausleitungen mit "extremen Konsequenzen" gedroht wird.
Viele sagen, dass sie täglich E-Mails erhalten, in denen sie aufgefordert werden, unter keinen Umständen mit den Medien zu sprechen. Die Radiologin abschließend:
Die Öffentlichkeit muss diese Geschichten hören, und andere Ärzte müssen sie hören, um vor dem gewarnt zu werden, was auf sie zukommt. Es ist so wichtig, dass jeder versteht, wie schlimm das werden wird.
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