von Zlatko Percinic
Schulen und Kindergärten sind geschlossen, der Reiseverkehr wurde eingeschränkt und die Bevölkerung wurde in die eigenen vier Wände verbannt. Menschen sollen "soziale Distanz" üben, der Kontakt zu Familienangehörigen und Freunden wird in das digitale Leben gedrängt. In einigen Ländern wurde die Armee aus den Kasernen geholt und steht schwer bewaffnet an den Grenzen, in den Innenstädten und vor Regierungsgebäuden.
"Wir sind im Krieg", betonte Emmanuel Macron mehrmals. Im Krieg gegen einen unsichtbaren Feind. Gemeint ist natürlich das Coronavirus, das Europa laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum neuen Epizentrum verwandelt hat. Und einen Feind will man in der Regel besiegen, ihn vernichten oder zumindest zum Rückzug zwingen. Dabei hat man ihn noch nicht einmal als solchen erkannt, als China ganze Millionenstädte unter Quarantäne gestellt hatte.
Prof. Dr. med. Clemens Wendtner, Chefarzt des Klinikums Schwabing in München, sagte noch Ende Januar, als bereits die ersten Menschen mit dem Virus infiziert und in seiner Klinik behandelt wurden:
Meine derzeitige klinische Einschätzung aus der persönlichen Erfahrung mit MERS ist die: Trotz eines wahrscheinlichen Imports von vereinzelten infizierten Fällen wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit keine signifikante Gefährdung für Deutschland durch 2019-nCoV geben! Es ist für mich im Gegenteil insgesamt erstaunlich, dass in Deutschland über 20.000 Influenza-Tote jährlich in der öffentlichen Wahrnehmung weniger schockierend wirken, obwohl hier sogar durch einen einfachen Grippeimpfstoff viel Leid und letztendlich auch viele Todesfälle effizient vermeidbar wären.
Von vorbeugenden Quarantänemaßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung, wie sie dann später in Frankreich, Österreich oder Spanien noch eingeführt werden sollten, hielt Prof. Wendtner nicht viel. Er halte die wissenschaftliche Publikation für richtig, die zum Schluss kommt, "dass selbst eine Quarantäne nur maximal 25 Prozent der Ausbreitung wirklich verringern könnte". Zudem gebe es unter aller Dramatik um das Coronavirus und die daraus resultierende COVID-19 Krankheit durchaus eine "gute Nachricht". Die Sterblichkeitsrate liege "nach jetzigem Wissensstand für 2019-nCoV unter einem Prozent, also deutlich unter der von SARS und MERS (bis 13 Prozent)".
Rund sechs Wochen später wurden in Deutschland nach Angaben (Stand 18. März) des Robert Koch-Instituts (RKI) von 160.000 durchgeführten Tests 8.198 Menschen positiv auf Corona getestet. Davon verliefen zwölf Fälle tödlich. Mit anderen Worten bedeutet das, dass die Ansteckungsrate bei etwa fünf Prozent liegt, und die Sterblichkeitsrate gegenwärtig sogar bei 0,0075 Prozent. In anderen Ländern wie Italien, Spanien oder dem Iran liegt die Sterblichkeitsrate deutlich höher, zwischen 4,5 Prozent in Spanien und acht Prozent in Italien, aber immer noch weit unter der Rate von Krankheiten wie SARS-1, MERS oder Dengue, das gerade in Südamerika wütet.
Auch Professor Hendrik Streeck, Facharzt für Virologie und Infektionsepidemiologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn, sagte in einem Interview mit der FAZ (16. März):
Der neue Erreger ist gar nicht so gefährlich, er ist sogar weniger gefährlich als Sars-1. Das Besondere ist, dass Sars-CoV-2 im oberen Rachenbereich repliziert und damit sehr viel infektiöser ist, weil das Virus sozusagen von Rachen zu Rachen springt. Genau das hat aber auch einen Vorteil: Denn Sars-1 repliziert zwar in der tiefen Lunge, ist damit nicht so infektiös, geht aber in jedem Fall auf die Lunge, was es gefährlicher macht. Sars-2 geht seltener auf die Lunge, was allerdings dann zu den schweren Verläufen führt.
Das Coronavirus ist also gar nicht so gefährlich. Und das sagt der Mann, der mit seinem Team das Virus erforscht. Dass es in Deutschland weit weniger Fälle von infizierten Menschen und noch viel weniger Todesopfer gibt, überrascht Prof. Streeck keineswegs. In Italien "hat man nur die sehr schwer symptomatischen Fälle getestet", sagt der Experte. Laut einer aktuellen Studie aus dem chinesischen Shenzhen haben 91 Prozent der COVID-19-Fälle lediglich "milde oder moderate" Symptome, wobei sich die Italiener anfänglich demzufolge auf die restlichen neun Prozent konzentriert haben. "Hinzu kommt, dass dort auch nachträglich die Toten auf Sars-CoV-2 getestet werden", fügte er hinzu. Es ist daher nicht auszuschließen, dass auch in Deutschland deutlich mehr Menschen verstorben sind, die das Virus bereits in sich trugen.
Auf der anderen Seite haben wir Prof. Dr. Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts, der die Referenzinstanz für die Bundesregierung ist und die Empfehlungen für verschiedene Maßnahmen ausspricht. Von ihm kommen im Gegensatz zu anderen Experten eher alarmistische Töne. Die Risikoeinschätzung wurde entsprechend am 17. März auf "hoch" eingestuft, seitdem die neuen Hochrechnungen davon ausgehen, dass bis Juni sich bis zu zehn Millionen Menschen infizieren könnten, wenn sich die Bevölkerung nicht an die Richtlinien hält.
Glaubt man der jüngsten chinesischen Studie, würde das bedeuten, dass wir es bis Juni mit 900.000 schweren Fällen zu tun hätten, die in Krankenhäusern intensivmedizinisch betreut werden müssten. Dem stehen aber lediglich 28.000 Intensivbetten und insgesamt nur 497.200 Betten zur Verfügung. Selbst eine Verdopplung der Intensivbetten, wie es etwa Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) fordert, würde in so einem Fall in der Wirkung verpuffen. Das heißt, dass das Gesundheitssystem, das als eines der besten der Welt angepriesen wird, vollständig zusammenbrechen würde.
Bereits vor Ausbruch dieser Krise ächzte das Gesundheitssystem unter den Folgen der Privatisierung und auf Gewinnmaximierung getrimmten Krankenhäuser. Nicht umsonst versuchte Deutschland in Osteuropa und sogar Mexiko, Pflegepersonal abzuwerben, um den akuten Mangel auszugleichen. Dazu kommt, dass der Bundestag in Zusammenarbeit mit demselben Robert Koch-Institut bereits im Jahr 2012 eine Risikosimulation für den Bevölkerungsschutz durch einen Pandemieausbruch durchführte, wo bereits auf diese Problematik hingewiesen wurde.
Die von der Bundesregierung empfohlenen Maßnahmen wie Grenzschließungen, Quarantäne etc. dienen einzig dem Schutz dieses Systems, da ein Zusammenbruch unberechenbare gesellschaftliche Folgen nach sich ziehen könnte. In einer ohnehin bereits aufgeladenen und gespaltenen Gesellschaft, was zu einem wesentlichen Teil auf die Politik von Kanzlerin Angela Merkel der vergangenen Jahre zurückzuführen ist, könnte solch ein Szenario eine ganz andere Dynamik entfachen, die nur schwer zu kontrollieren wäre. Deshalb sollen die Menschen auch unter allen Umständen zu Hause bleiben, notfalls eben per Ausgangssperre dazu gezwungen.
Die Frage ist aber, ob das Coronavirus sich tatsächlich so verbreiten wird, wie es die Hochrechnungen suggerieren. Was ist mit der realen Bedrohung für die Gesundheit der Bevölkerung und sind die ergriffenen bzw. geplanten Maßnahmen überhaupt angemessen? Zumindest was die Sterblichkeitsrate betrifft, ist sich der Virologe Prof. Streeck im FAZ-Interview sicher:
In Deutschland sterben jeden Tag rund 2.500 Menschen, bei bisher zwölf Toten gibt es in den vergangenen knapp drei Wochen eine Verbindung zu Sars-2. Natürlich werden noch Menschen sterben, aber ich lehne mich mal weit aus dem Fenster und sage: Es könnte durchaus sein, dass wir im Jahr 2020 zusammengerechnet nicht mehr Todesfälle haben werden als in jedem anderen Jahr.
Diese Debatte über die reale Gefahr und Angemessenheit der Regierungsentscheidungen fehlt aber zur Zeit in Deutschland. Die Medien versagen in ihrer eigentlichen Aufgabe, den Mächtigen und der Regierung auf die Finger zu schauen, zu hinterfragen und wenn nötig zu kritisieren. Stattdessen bringt der Stern ein Loblied auf Merkel und titelt: "Von wegen Kanzlerin auf Abruf: Angela Merkel im Corona-Modus – In Corona-Zeiten dürfte nun das Krisenmanagement der nüchternen Physikerin wieder gefragt sein".
Wieso aber in Deutschland – und anderen Ländern Europas – das öffentliche Leben im Kampf gegen das Virus vollständig zum Erliegen gebracht werden soll, während Südkorea auf solche generelle Maßnahmen verzichtete und trotzdem die Ausbreitung offensichtlich erfolgreich eindämmen konnte, wird nicht angesprochen. Wer sich zu dieser Entwicklung kritisch äußert oder die Panik anspricht, wird der Häresie beschuldigt.
Ein schon fast exemplarisches Beispiel dafür bot der Berliner Radiosender radioeins. In der Sendung vom 14. März führte er ein Interview mit der Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie an der Universität Zürich, Prof. Dr. Karin Mölling. Wie schon ihr Bonner Kollege Streeck oder der Münchner Chefarzt Wendtner hält die Virologin Corona für kein schweres "Killervirus". Das eigentliche Problem sei die Panikmache, ist sich Mölling sicher. Doch statt eine abweichende Meinung einfach gelten zu lassen, begibt sich die Redaktion von radioeins im vorauseilenden Gehorsam auf die Regierungslinie und fügt unter dem Interview hinzu:
RTDeutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Mehr zum Thema - Deutsche Telekom überlässt Robert Koch-Institut Bewegungsprofile von Nutzern