von Andreas Richter
Friedrich Merz, der frischgebackene Kandidat auf den CDU-Parteivorsitz, früher Unionsfraktionsvorsitzende und langjähriger BlackRock-Lobbyist, erhielt nach der Beantwortung der abschließenden Frage seiner Pressekonferenz am Dienstag massive Kritik in Medien und sozialen Netzwerken.
Worum ging es? Ein Journalist des Spiegel fragte Merz, bezugnehmend auf dessen einleitende Bemerkungen, zu den Morden von Hanau:
Schließe ich daraus richtig, dass Ihre Antwort auf das Problem des Rechtsradikalismus die stärkere Thematisierung von Clankriminalität, Grenzkontrollen und so weiter ist? Und wenn nicht: Was wäre sie dann?
Merz' Antwort lautete:
Die Antwort ist: Ja.
Die Empörung war gewaltig. Der Spiegel-Journalist Steffen Lüdke schrieb auf Twitter:
So jemand darf nicht Kanzler werden.
Meinungsbeiträge unter anderem bei Zeit Online und im Tagesspiegel hielten Merz vor, dem Geschäft der Rechtsextremen nachzugeben, indem er ihren Forderungen nachgebe. Offenbar vermissten sie die üblichen Worthülsen vom "Kampf gegen rechts", oder den gegen "Hass und Hetze", oder Allgemeinplätze wie den, dass die Behörden entschlossen gegen rechtsextrem motivierte Gewalt vorzugehen hätten.
Merz' vermeintlicher Fehler besteht also darin, konkrete Probleme anzugehen, die mit Zuwanderung zu tun haben und von zahlreichen Menschen als gravierend angesehen werden. Ihn deswegen selbst in die rechtsextreme Ecke zu stellen, ist falsch und kurzsichtig, wirft dabei aber ein grelles Licht auf die heute im Mainstream übliche Art des Denkens.
Im Jahr 1992 einigte sich die Regierung Kohl mit der SPD auf eine Verschärfung des Asylrechts, den sogenannten Asylkompromiss. Davor war es zu einer Reihe rechtsextremer Gewalttaten und zu spektakulären Wahlerfolgen der Republikaner gekommen. Damals wurde die Asylrechtsänderung eher aus verfassungsrechtlichen Gründen und von links kritisiert; der Mainstream trug sie geschlossen mit. Die Republikaner verschwanden in der Folge in der Versenkung, die Gewaltwelle ebbte ab.
In den Neunzigern war es noch Konsens, dass das Nichtadressieren sozialer und sonstiger Probleme zur Verbreitung extremer Ansichten führt. An dieser Erkenntnis orientierten sich die Politiker wenigstens in dem erwähnten Fall, und das nicht ohne Erfolg. Drei Jahrzehnte später herrscht in Politik und Medien die entgegengesetzte Denkweise vor. Demnach bestimmte das Bewusstsein das Sein, jede Wirklichkeit wäre sozial konstruiert und dementsprechend entstehe auch der Rechtsextremismus in den Köpfen und müsse eben dort bekämpft werden.
Philosophisch betrachtet hat eine radikale idealistische Weltsicht die materialistische abgelöst. Dieser Paradigmenwechsel folgte dem Zeitgeist und erfolgt nicht zufällig. Denn mit der Berufung auf abstrakte Werte und Ideen ist es möglich, unbequeme Positionen und Meinungen als extrem und unrechtmäßig darzustellen.
Wenn der Extremismus im Kopf entsteht, wird jede Kritik an konkreten Problemen illegitim; jeder Hinweis auf Sicherheits- und soziale Probleme im Kontext von Migration kann selbst als tendenziell rechtsextrem gelten. Der "Kampf gegen rechts" ist damit ein Instrument der Mächtigen für die Kontrolle der eigenen, nach Jahrzehnten neoliberaler Politik ausgelaugten Unterschicht. Durch das Verhindern von Debatten über reale Probleme dürfte er Extremismus allerdings eher befördern; es handelt sich also dabei einmal mehr um einen Etikettenschwindel.
Dass nun gerade ein Friedrich Merz als Materialist und Pragmatiker auftritt, der sich der realen Probleme annimmt, ist einigermaßen überraschend. Schließlich trug Merz in seiner Zeit im Bundestag erheblich dazu bei, dass immer mehr Lebensbereiche der Menschen – darunter Wohnen, Gesundheit, Rente, Bildung... – den Kapitalinteressen unterworfen wurden und setzte diese Arbeit auf andere Weise danach bei der Fondsgesellschaft BlackRock fort. Für die daraus erwachsenen sozialen Probleme ist er mitverantwortlich. Allerdings sind diese Zusammenhänge bislang weder für ihn noch für die breite Öffentlichkeit ein Thema.
Mittlerweile ist Merz nach der massiven Mainstream-Kritik wieder zurückgerudert und hat die von ihm bestätigte Verbindung zwischen der Bekämpfung der Clan-Kriminalität und dem Zurückdrängen des Rechtsextremismus relativiert. Er habe die Frage nicht ganz verstanden; inhaltlich seien die Themen Rechtsextremismus und Clan-Kriminalität getrennt, für die Bekämpfung beider Phänomene benötige man einen starken Rechtsstaat.
Damit ist Merz in die Mainstream-Phalanx zurückgekehrt. Statt einer offenen Debatte über die bestehenden Probleme und ihre Ursachen ist auch hier einmal mehr mit der Fortführung des Scheindiskurses um den "Kampf gegen rechts" zu rechnen. Die Polarisierung der Gesellschaft wird sich damit weiter vertiefen.
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