von Wladislaw Sankin
Oft findet auf der Münchner Sicherheitskonferenz das Interessanteste am Rande, abseits des Protokolls statt, wenn eigentlich in Konflikten verfeindete Parteien – wie die Iraner mit US-Amerikanern oder Russen mit Ukrainern – miteinander Tacheles reden können. Oder – wie eben heute geschehen – die Präsidenten Serbiens und des Kosovo, als sie einen Eisenbahn- und Autobahn-Vertrag unterzeichneten, unter der Ägide des US-Botschafters in Deutschland, Richard Grenell, als dem neuen Balkan-Beauftragten der Trump-Administration.
Genauso ist es mit Rüstungskonzernen, die in München während der vielen inoffiziellen Treffen ihr "Schaulaufen" (Sputnik) veranstalten. Neben der Bundesregierung gehören auch sie zu den wichtigsten Sponsoren dieser Veranstaltung. Darin könnte auch ein Schlüssel für das Rätsel liegen, warum die Eröffnungsrede des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier am Freitag so widersprüchlich ausfiel.
So rief Steinmeier im Gegensatz zu seinem Amtsvorgänger Gauck vor sechs Jahren die deutsche Außenpolitik eher zu Diplomatie und Pazifismus auf: "Aufgabe kluger Außenpolitik ist es und muss es sein, durch Mut und Tatkraft Kriege zu verhindern, Konflikte zu entschärfen, Leid zu lindern", sagte Steinmeier. Zu Libyen, das Deutschland jüngst für sich als neues außenpolitisches Betätigungsfeld auserkoren hat, sagte er dabei ganz im Sinne der Realpolitik:
Man muss viele Hände schütteln, wenn man Frieden in Libyen erreichen will – und das sind nicht nur saubere Hände.
Wir erinnern uns: Gauck forderte in München ein stärkeres, auch militärisches Engagement Deutschlands in der Außenpolitik, ein Aufruf zu "mehr Verantwortung", die seither geradezu sprichwörtlich geworden ist. Diesmal verortete Steinmeier das Ziel deutschen Engagements in der Stärkung "Europas". Deutschland sei auf Europa angewiesen und solle das "geeinte Europa" zusammenhalten.
Dabei sprach er sich zugleich für höhere deutsche Verteidigungsausgaben und für eine Stärkung des europäischen Pfeilers in der NATO aus. Er bekannte sich zum Ziel der NATO, dass jeder Mitgliedsstaat zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für die Streitkräfte ausgeben soll. Gleichzeitig warnte er allerdings davor, in der Außenpolitik einen zu starken Akzent auf das Militärische zu legen:
Das militärische Instrument ist für unsere Sicherheit unverzichtbar, aber weder das erste noch das erfolgversprechendste, wenn es um diplomatische und politische Handlungsbereitschaft geht.
Dabei kritisierte Steinmeier die USA, China und Russland explizit und warf ihnen vor, zur destruktiven Dynamik der Weltpolitik und Förderung der egoistischen Nationalismen beizutragen: "In diesem Zeitalter führt uns der Rückzug ins Nationale in eine Sackgasse, in eine finstere Zeit."
Die Staatspräsidenten Chinas und Russlands griff er frontal an: Russland habe nicht nur ohne Rücksicht auf das Völkerrecht die Krim annektiert, es habe auch militärische Gewalt und die gewaltsame Verschiebung von Grenzen auf dem europäischen Kontinent wieder zum Mittel der Politik gemacht. China akzeptiere das Völkerrecht nur selektiv, und das Vorgehen im Südchinesischen Meer verstöre ebenso, wie auch das Vorgehen gegen Minderheiten im eigenen Land.
Zu den USA hingegen fiel seine Kritik milder aus. Konkret wurde er dabei nur einmal: "Ich halte die Aufkündigung des Atomabkommens mit dem Iran für einen Fehler." Die USA seien dennoch "unser engster Verbündeter".
Wenn wir dieses Europa auch in Fragen der Sicherheit zusammenhalten wollen, dann reicht es nicht, allein die Europäische Union sicherheitspolitisch und militärisch stark zu machen, wir müssen auch in die transatlantische Bindung weiter investieren", sagte Steinmeier.
Nach seiner Kritik an Russland warnte Steinmeier auch noch vor der zunehmenden Entfremdung des Landes von "Europa" und plädierte für die Entwicklung einer eigenen "europäischen" Politik gegenüber Russland, die sich nicht nur auf verurteilende Statements und Sanktionen beschränkt solle.
Wir dürfen allerdings nicht über ein neues Verhältnis zu Russland auf Kosten unserer östlichen Nachbarn nachdenken", schränkte er sogleich wieder ein.
Die Konferenz war am Freitagnachmittag vom Ex-Botschafter Wolfgang Ischinger eröffnet worden. Er sprach von einer "Identitätskrise des Westens" und forderte, die Reihen zu schließen und vereint in den Krisen aufzutreten. "Es reicht nicht, dass Sie, die mächtigsten Menschen der Welt, nur mit den Schultern zucken", appellierte Ischinger angesichts der Krisen auf der Welt energisch ans Publikum.
"… mit den Schultern zucken"? Angesichts der Strategie der NATO-Erweiterung, die mit der Aufnahme Nord-Mazedoniens im letzten Jahr ja immer noch nicht aufgehört hat, und angesichts der bevorstehenden, unvergleichlich massiv angelegten US-Militärübung "Defender Europe 2020" mit 39.000 Soldaten aus 18 Ländern, ist das Schwadronieren über angebliche "Verzweiflung" des Westens wohl nichts anderes als eine theatralische Irreführung.