von Scott Ritter
Die erwartete Vergeltung des Iran für den durch die USA begangenen Mord an Qassem Soleimani war ein klares Signal an Donald Trump, dass die jetzige Runde des gewalttätigen Schlagabtausches zwar vorbei sein mag, der Iran auf jede zukünftige Provokation der USA reaktionsbereit ist.
Um Leben von US-Soldaten zu verschonen: Teheran warnte den Irak
Am Dienstagabend trug das Volk Irans den Leichnam Qassem Soleimanis zu Grabe – des charismatischen hochrangigen Offiziers der Islamischen Revolutionsgarde, der in der vergangenen Woche von den USA ermordet wurde. In den frühen Morgenstunden des Mittwochs, als dieses Werk vollführt war, nahmen Soleimanis Waffenbrüder auf Befehl des iranischen Obersten Führers Ali Chamenei mit etwa 22 ballistischen Raketen vom iranischen Territorium aus den riesigen US-Luftwaffenstützpunkt Al Asad im Westen des Iraks und das US-Konsulat in der Stadt Erbil in Irakisch-Kurdistan unter Beschuss.
In den Stunden unmittelbar nach der Ankündigung dieser Angriffe, die im Staatsfernsehen für das iranische Volk live ausgestrahlt wurden, hielt die Welt den Atem an und wartete auf die Ergebnisse. Kurz nach dem Start der Raketen signalisierte der Iran in einem Tweet seines Außenministers Mohammed Dschawad Sarif, der die Angriffe als "angemessene Maßnahmen zur Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 der UN-Charta" bezeichnete, seinen Wunsch nach einer diplomatischen Lösung der Krise. Sarif schloss mit den Worten:
Wir streben weder Eskalation noch Krieg an, doch wir werden uns gegen jegliche Aggression verteidigen.
Die endgültige Entscheidung zur Deeskalation oblag jedoch nicht dem Iran: Krieg ist keine Einbahnstraße, der Feind hat stets ein Wörtchen mitzureden. Bei seinem Raketenangriff auf US-Ziele im Irak hat der Iran jedoch alles versucht, um zu signalisieren, dass er die Frage der Vergeltung für den Mord an Soleimani für abgeschlossen hält. Vor allen Dingen teilte man dem irakischen Premierminister direkt die Absicht mit, US-Ziele im Irak anzugreifen, und zwar volle zwei Stunden vor dem Raketenabschuss. Diese Information teilte der Irak dann den US-Militärkommandeuren mit, sodass diese sicherstellen konnten, dass sich alle US-Truppen zum Zeitpunkt des Angriffs in Schutzräumen beziehungsweise in Deckung befanden.
Demonstration ballistischer Raketen der neuen Generation
Der wichtigste Aspekt der iranischen Aktionen war jedoch die Art und Weise, wie die Raketen des Landes zu ihren Zielen geführt wurden. Seit Jahren machte der Iran erhebliche Fortschritte in Bezug auf die Zuverlässigkeit, Reichweite und Genauigkeit der ballistischen Raketen in seinem Arsenal. Vorbei sind die Zeiten, in denen das iranische Arsenal ausschließlich aus sowjetischen Kurzstreckenraketen der ungenauen Scud-Familie aus den 1960er Jahren bestand.
Teil des Raketenangriffs gegen die US-Stützpunkte waren neue, fortschrittliche Raketen – Qiam-1 und Fateh-110 – mit fortschrittlichen Navigations- und Steuerungssystemen, die höchste Zielgenauigkeit ermöglichen. Der Iran hatte diese Waffen bereits zuvor erfolgreich gegen Einheiten und Objekte der Terrormiliz Islamischer Staat innerhalb des benachbarten Syriens verwendet. Aber dies war das erste Mal, dass diese Waffen gegen die USA eingesetzt wurden. Aus der Sicht der USA waren die Ergebnisse ernüchternd. Bei den iranischen Raketenangriffen gab es keine Opfer unter den in Al Asad oder Erbil stationierten Streitkräften – weder bei den irakischen noch US-amerikanischen oder Koalitionskräften. Doch gerade durch diesen Mangel an Todesopfern beweist Teheran die eigentliche Genauigkeit seiner ballistischen Raketen.
Kommerzielle Satellitenbilder des Luftwaffenstützpunkts Al Asad direkt nach dem Angriff zeigen, dass die iranischen Raketen Gebäude mit Ausrüstung trafen – und zwar mit einer Präzision, die bisher nur Streitkräften technisch fortgeschrittener Mächte wie USA und der NATO, Russland oder China zugetraut wurde. Der Iran feuerte 17 Raketen auf Al Asad ab, und 15 davon trafen ihre Ziele (die Sprengköpfe zweier Raketen detonierten nicht).
Die Satellitenbilder der PlanetLabs von dem Luftwaffenstützpunkt Al Asad zeigen fünf Einschlagstellen der iranischen Raketen von gestern Abend. Der Iran hat es absichtlich vermieden, Gebiete zu treffen, in denen sich Menschen aufhielten.
Ich habe keine Schadensmeldungen vom Pentagon gesehen. Hat jemand anderes welche gesehen?
Der Iran feuerte auch fünf weitere Raketen in Richtung des US-Konsulats in Erbil ab. US-Kommandeure vor Ort erklärten, dass der Iran es anscheinend absichtlich vermied, das Konsulat selbst zu treffen – und gerade dadurch ein klares Signal sandte, dass das Konsulat zerstört worden wäre, hätte man es nur gewollt.
Trump musste nachgeben
Mit dieser Realität musste Präsident Trump ringen, als er sich an das US-amerikanische Volk mit einem Lagebericht zu den Feindseligkeiten zwischen den USA und dem Iran wandte.
Trump hatte zuvor eine massive Vergeltung versprochen, sollte der Iran US-Personal oder US-Einrichtungen angreifen. Trump und das ihn umgebende nationale Sicherheitsteam mussten jedoch von dieser Drohung abweichen, wohl wissend, dass die iranische Reaktion im Falle eines Angriffs auf den Iran sowohl für die US-Streitkräfte in der Region als auch für ihre regionalen Verbündeten, darunter Israel, Saudi-Arabien und die VAE, verheerend wäre. Die USA könnten dem Iran zwar unvorstellbare Verwüstungen zufügen, aber die Kosten dafür wären unannehmbar hoch.
Zugegeben: Trump bediente sich aggressiver Rhetorik, und seine Botschaft machte deutlich, dass man in Washington den Iran immer noch für einen Schurkenstaat hält. Dessen Streben nach Nukleartechnologie, ballistischen Raketen und regionaler Dominanz würde von den USA bekämpft werden, notfalls mit Gewalt. Doch der iranische Raketenangriff machte die neue Realität deutlich, dass die Rhetorik des US-Präsidenten nicht mehr so wasserdicht ist wie früher, wenn es um die Aktionen des Iran am Persischen Golf geht.
Ali Chamenei, der iranische Oberste Führer, verdeutlichte diesen Punkt in einer Reihe von Tweets mit der Behauptung, den USA für ihren Mord an Soleimani eine "Backpfeife" verpasst zu haben. Außerdem betonte er, dass die von Soleimani verfolgte Politik, bei der dieser auf einen Rückzug der USA aus der Region des Persischen Golfs hinarbeitete, nun Realität werde. Dabei verwies er auf die jüngste Abstimmung des irakischen Parlaments dafür, alle ausländischen Truppen, einschließlich der US-Truppen, vom Boden der Golfstaaten zu vertreiben.
Präsident Trump konnte in seiner Rede an das amerikanische Volk, in der er eine starke antiiranische Politik artikulierte, sicherlich seine Fähigkeit bewiesen, große Worte zu spucken. Die wirkliche Frage ist, ob Trump und die US-Bevölkerung bereit sind, diesen Worten auch Taten folgen zu lassen – insbesondere in einer Welt, in der iranische Raketen Tod und Zerstörung bringen können in einem Ausmaß, das bisher unvorstellbar war.
Scott Ritter ist ein ehemaliger Nachrichtenoffizier des US Marine Corps. Er diente in der Sowjetunion als Inspekteur für die Umsetzung des INF-Vertrags, im Stab von General Schwarzkopf während des Golfkriegs und in den Jahren 1991 bis 1998 als UN-Waffeninspekteur.
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