"Raum für Diplomatie" Von der Leyen hat sich als Vermittlerin bereits disqualifiziert

Als EU-Kommissionspräsidentin hat Ursula von der Leyen eine besondere Verantwortung für die Geschicke der EU inne. Bei der gegenwärtig hochgefährlichen Situation im Nahen Osten hätte sie die Möglichkeit gehabt, strategische Weichen zu stellen. Diese Chance wurde leider vertan.

von Zlatko Percinic

Eigentlich hat die ehemalige deutsche Verteidigungsministerin am Rande der CSU-Klausurtagung im bayerischen Seeon das Rezept für eine stärkere diplomatische Rolle der EU in den Händen gehabt. Man wolle eine Vermittlerrolle in der spannungsgeladenen Situation im Nahen Osten einnehmen, nachdem die USA in der irakischen Hauptstadt das Symbol der sogenannten Achse des Widerstandes, den iranischen Generalmajor Qassem Soleimani, sowie den Vizechef der irakischen Volksmobilisierungskräfte Abu Mahdi al-Muhandis durch einen Drohnenangriff getötet haben. Die Aufgabe der EU sei es, "Raum für Diplomatie" zu schaffen, meinte von der Leyen weiter. 

Klingt eigentlich alles vernünftig und der zugedachten Rolle der Europäischen Union auch würdig und wichtig. Aber eben nur eigentlich. Statt sich als neutraler Vermittler anzubieten, wo sich die EU als selbstbewusster und respektierter außenpolitischer Akteur hätte präsentieren können, ließ von der Leyen das dafür notwendige Feingefühl missen und beschuldigte rundheraus den Iran für die Eskalation. Sie sprach zudem die USA von jeglicher Schuld frei und meinte, dass die völkerrechtswidrige Liquidierung eines hochrangigen Generals "nach einer wiederholten, über Wochen dauernden Provokation der Iran nahestehenden Kräfte" erfolgt sei.

Mit dieser Absolution disqualifizierte die Kommissionspräsidentin sich und die gesamte EU als neutralen Vermittler in diesem dramatischen Konflikt. In dieser Rolle nimmt man keine klare Position gegen oder für eine Seite ein, sondern bleibt eben neutral. Gleichzeitig versuchte sich von der Leyen aus der Verantwortung zu stehlen, indem sie noch hinterherschob:

Meine Aufgabe ist es nicht zu bewerten, sondern zu deeskalieren und Lösungen zu finden.

Genau das ist der springende Punkt. Sie hat bereits eine Bewertung vorgenommen, indem sie dem Iran den Schwarzen Peter zuschob und sich weigert, die destruktive und destabilisierende Politik der Vereinigten Staaten von Amerika in der Region nicht einmal anzusprechen, geschweige denn in die Bewertung miteinzubeziehen. 

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Noch vor wenigen Wochen erklärte Ursula von der Leyen in ihrer Rede bei einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin, dass die EU "die Sprache der Macht lernen muss". Davon hat sich die Kommissionspräsidentin – und auch die Bundesregierung in Berlin – allerdings mit der klaren Positionierung hinter die US-Linie und der Weigerung, die US-Rolle in die Gleichung aufzunehmen, weit entfernt. Diese Mäuschen-duck-dich-Haltung wird in der Region nicht als "Sprache der Macht", sondern als Zeichen der Schwäche gewertet. Keine gute Ausgangslage, um ernst genommen zu werden.    

Dazu kommt, dass auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg erwartungsgemäß den US-Drohnenangriff rechtfertigt und den Iran dazu aufruft, von "weiterer Gewalt und Provokationen abzusehen." Damit kapselt sich das transatlantische Bündnis zusammen mit der EU weiter von der sich ändernden geopolitischen Realität in einer strategisch wichtigen Region ab und überlässt das Feld anderen Akteuren. 

Als EU-Kommissionspräsidentin hätte von der Leyen normalerweise auch die Pflicht gehabt, sich entschieden gegen die Tötung eines hochrangigen Generals durch die USA zu stellen. Da es keine Verurteilungen seitens der Europäer gab, legitimieren sie diese gefährliche Praktik.

Damit könnte ein Präzedenzfall geschaffen worden sein, der auch militärische oder politische Führer von westlichen Ländern zu legitimen militärischen Zielen macht, deren Länder sich an geheimen Operationen – oder deren Unterstützung – beteiligen. Es wäre hochgradig arrogant, davon auszugehen, dass nur die USA und Europäer Blut vergießen dürfen, ohne dafür eines Tages zur Rechenschaft gezogen zu werden. Es kann aber in niemandes Interesse sein, dass Staaten ihre militärischen Mittel für Mordanschläge auf unliebsame Regierungsvertreter oder hochrangige Offiziere verwenden. 

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