von Wladislaw Sankin
Der US-Diplomat William B. Taylor weiß, wovon er redet, wenn es um Krieg geht. Wie auch Ex-Außenminister John Kerry, war der 72-Jährige selbst Soldat im Vietnamkrieg, später hat er viele Jahre im Verteidigungsministerium gearbeitet. Auch in der Ukraine hat er viel Erfahrung. Bevor Taylor im Juni 2019 von Außenminister Mike Pompeo zum Bevollmächtigten – also zum Interimsbotschafter – berufen wurde, war er von 2006 bis 2009 selbst Botschafter in Kiew. Diese drei Jahre fielen in die Amtszeit des nationalistischen Präsidenten Wiktor Juschtschenko und in die Zeit, in der die Bush-Regierung den ersten Versuch unternahm, die Ukraine in die NATO aufzunehmen.
Anfang Januar beendete der Topdiplomat seinen Dienst und gab dem ukrainischen Fernsehsender 1+1 ein Abschlussinterview. In der als Fernsehbeitrag ausgestrahlten Kurzversion des Gesprächs stand das Militärische im Vordergrund. Als der Reporter seinen Besuch an der Frontlinie erwähnte und fragte: "Gibt es etwas, das das US-Militär von den ukrainischen Kollegen lernen kann?", packte der Diplomat ohne zu zögern aus.
Es sei sehr wichtig, dass die US-Armee eng mit den ukrainischen Streitkräften zusammenarbeitet und von ihnen lernt. Das US-Militär lerne von den ukrainischen Soldaten und Offizieren über die russische Taktik, die russische Ausrüstung und die Art und Weise, wie diese geliefert wird. Dem Diplomaten zufolge erfahren die USA dabei auch etwas über einige Aktionen der Russen, die ihren Angriffen vorausgehen.
Zu verstehen, wie die Russen handeln und kämpfen, ist für uns sehr wichtig. Ich hoffe, dass wir nie gegen die Russen kämpfen werden, aber wenn wir es tun, werden die Erfahrungen, die ukrainische Offiziere und Soldaten gesammelt haben, unser Vorteil sein", sagte Taylor.
In der Langfassung des Interviews auf der Webseite des Senders hat Taylor wiederholt betont, wie wichtig es sei, dass die Ukraine "die Russen besiegt" und sie aus dem Donbass "entfernt".
Die Ukraine will dasselbe wie die USA. Eine erfolgreiche Ukraine ist etwas, das wir gerne unterstützen", so Taylor.
Taylor ist nicht irgendwer. Mit seinen Aussagen vor dem Kongressausschuss spielt er im Impeachment-Verfahren gegen Präsident Donald Trump eine zentrale Rolle und repräsentiert die "Ukraine-Lobby" der US-Elite, die auch Lobbyarbeit für die Belieferung der Ukraine mit amerikanischem Militärequipment betreibt. Im Gespräch wird darauf noch einmal eingegangen. Der Kongress habe im neuen Budget die finanziellen Zuwendungen noch mal um 50 Millionen Dollar auf 300 Millionen aufgestockt, erzählt Taylor stolz. Er zählt auf, was die Ukraine für dieses Geld bei US-Herstellern kaufen kann:
Es sind Antischiffsraketen, Drohnen, Funk- und Nachsichtgeräte. Das ist, was kommen wird. Und dies ist ein wichtiger Bestandteil, damit sich die Ukraine gegen die Russen verteidigen kann.
Seinem Gesprächspartner versichert der Diplomat: Die Ukraine-Politik der USA sei von der parteipolitischen Wetterlage unabhängig. Und es ist wichtig, mit wem er in der Ukraine spricht.
Der private Fernsehsender 1+1, der dem Oligarchen Igor Kolomoiski gehört, ist berühmt-berüchtigt für antirussische Propaganda und flog mit zahlreichen Fake News auf. Wie auch die meisten Medien in der Ukraine, hält er eisern an dem Narrativ fest, dass die Ukraine mit Russland im Krieg steht und Opfer einer russischen Aggression ist. Kritik an der Ukraine ist demnach russische Propaganda.
Das richtige "Wording" prägt die Politik
Dieses Narrativ geht auf PR-Kampagne der vom US-Finanzmagnat George Soros maßgeblich mitfinanzierten Stiftung Ukrainian Crisis Media Center (UCMC) zurück. Im März 2014, als sich infolge des westlich unterstützten Staatsstreichs in Kiew die Autonome Republik Krim abspaltete, hat das UCMC die entsprechende Erzählung erarbeitet und möglichst viele Mitglieder der damaligen Übergangsregierung in Kiew und die westlichen, darunter auch die deutschen, Medien entsprechend geschult.
Das sagt viel über die Ziele der USA in der Ukraine aus. Für das große Land in Übersee, das sich gerne als Weltgendarm (der jüngste verbrecherische Anschlag mit zwölf Toten auf irakischem Territorium sei ein Beispiel dafür) aufspielt, ist es offenbar von Nutzen, wenn ein Krieg zwischen diesen beiden großen europäischen Staaten immer wieder heraufbeschworen wird. Die in Russland weit verbreitete These, dass die Ukraine von den Westmächten und allen voran von den USA zu einer Art ewigem Anti-Russland aufgebaut werden soll, erscheint in diesem Kontext durchaus plausibel.
Der Ausrutscher, der dem Diplomaten im Gespräch mit dem ukrainischen Journalisten über die Lippen ging und diesem Artikel die Schlagzeile spendete, war sicherlich eher als Nettigkeit und Ermunterung für die Ukrainer gedacht, den Krieg mit den Russen "bis zum Sieg" weiterzuführen. Denn die "richtige" diplomatischen Phrase hat der US-Beamte doch noch eingebaut: "Ich hoffe, dass wir nie gegen die Russen kämpfen werden."
Dieses Gespräch zeigt einmal mehr, dass die Ziele der USA jenen der Europäer völlig zuwiderlaufen. Das sollten die Oberhäupter der wichtigsten europäischen Staaten so schnell wie möglich verinnerlichen. Denn kann es wirklich in europäischem Interesse sein, wenn immer wieder ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine heraufbeschworen wird?
Ukrainischer Bürgerkrieg
Zumal – und das ist das Entscheidende – es einen solchen gar nicht gibt. Der Krieg in der Ukraine ist eigentlich ein "Territorialkonflikt" und weist klassische Züge eines "nicht internationalen (internen) bewaffneten Konflikts" auf, schätzt der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages den Konflikt in seinem neuesten Gutachten "Intervention in Bürgerkriegsgebieten: Zur Rolle Russlands im Ost-Ukraine-Konflikt" ein.
Die anderslautenden Behauptungen, die die deutschen Medien und die Öffentlichkeit durchziehen, sind demnach nichts als Propaganda im Sinne der USA und militaristisch-nationalistischer Kreise in der Ukraine selbst. Oder aber Spurenverwischung, denn es waren auch die EU-Spitzen, darunter die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrer CDU und deren EU-Ableger EVP, die das osteuropäische Land mit Druck auf den damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch und dem Aufbau der Opposition während der sogenannten Maidan-Proteste in den Abgrund eines Bürgerkonflikts stießen.
Diese Politik hat sich zumindest als schwerwiegender Fehler erwiesen. Um den ohnehin verheerenden Folgen dieser Politik Herr zu werden, sollte alles darangesetzt werden, den Bürgerkrieg in der Ukraine so schnell wie möglich zu beenden. Dazu ist der Abzug der Waffen auf beiden Seiten und ein daraus folgender Waffenstillstand eine der ersten Voraussetzungen. Leider nutzt die deutsche Diplomatie die ihr zur Verfügung stehenden Mittel immer noch nicht, wenn man dem Bericht des russischen Außenministers Sergei Lawrow über den Verlauf der Normandie-Gespräche in Paris am 9. Dezember Glauben schenkt.
Ihm zufolge lehnte der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij die Vorschläge der russischen Seite über den vollständigen Waffenabzug an der gesamten 400 Kilometer langen Trennlinie vehement ab. Mit dieser Weigerung spielte er der Kriegspartei in der Ukraine und den USA in die Hände. Emmanuel Macron und Merkel wiesen Selenskij dabei nicht zurecht und schwiegen. Aber warum? Glaubt die deutsche Bundeskanzlerin etwa immer noch, sie befände sich in einem persönlichen Konflikt mit Wladimir Putin – wie die deutsche Politik das "große ukrainische Spiel" Ende 2013, Anfang 2014 bewertete, also zu Maidan-Zeiten?
Das Gutachten des deutschen Bundestages ist am gleichen Tag veröffentlicht worden, an dem der Normandie-Gipfel stattfand. Neben der staatsrechtlichen Bewertung des Konflikts stellen die Gutachter den kausalen Zusammenhang der Ereignisse des Konflikts ansatzweise plausibel dar, etwa, wenn Moskaus Hilfe an die Rebellen als Folge der ukrainischen Politik bewertet wird:
Moskau leistet wirtschaftliche und humanitäre Hilfe und Unterstützung beim Aufbau der Staatlichkeit in den von pro-russischen Separatisten kontrollierten aber international nicht anerkannten 'Volksrepubliken' Lugansk und Donezk, die infolge einer ukrainischen Handelsblockade vollständig darauf angewiesen sind, Rohstoffe aus Russland zu beziehen und eigene Produkte dorthin zu liefern.
Es ist für die deutsche Politik an der Zeit, sich mit diesem Dokument vertraut zu machen, um endlich ein realistisches Bild des Konflikts zu bekommen. Wenn man den Frieden auf dem europäischen Kontinent immer wieder als wichtigstes Gut beschwört – und das tun die deutschen Parteien ja noch ab und zu –, dann sollte doch alles darangesetzt werden, die US-Brillen abzusetzen und den akuten Bürgerkrieg in Europa so schnell wie möglich zu beenden.
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