von Jürgen Cain Külbel
Dass deutsche Exekutive und Judikative in Mordsachen sauber arbeiten, beweist der Cold Case "Maria Baumer", der am 12. Dezember 2019 Schlagzeilen machte. Die 26-Jährige war Pfingsten 2012 verschwunden; im September 2013 entdeckten Pilzsammler ihre in ein Brand-Kalk-Gemisch eingebettete Leiche in einem Wald bei Regensburg. Die Todesursache blieb unklar. Mittels neuer forensischer Methoden wurde nun in Kleidung und Haaren der Toten das starke Beruhigungsmittel Lorazepam nachgewiesen. Die Kripo rollte den Fall neu auf, untersuchte den PC des Hauptverdächtigen, heute 36-jährigen Ex-Verlobten der Toten, im Jahr 2013 und entdeckte im Browser-Suchverlauf Suchwörter wie: Lorazepam, letale Dosis, der perfekte Mord.
Der wiederum beteuerte, nach Verschwinden von Maria Baumer zweimal mit ihr telefoniert und eine Facebook-Nachricht erhalten zu haben. Die Ermittler konterten: Die Nachricht wurde von seiner IP-Adresse an seinen Facebook-Account geschrieben, die Telefonate sind nicht auf das Handy des Opfers zurückzuführen. Besonders belastend: Drei Tage vor Verschwinden von Maria Baumer kaufte der Verdächtige einen Spaten im Baumarkt, dem Spuren von jener Grube anhaften, in der man die Tote fand. Der Mann sitzt laut Staatsanwaltschaft wegen dringenden Tatverdachts in Untersuchungshaft; zu Recht: Beweise und Indizien gegen ihn wiegen schwer.
Was sich die "Investigativreporter" von Bellingcat, Spiegel und Co., die jüngst im "Berliner Tiergarten-Mord" die "Spur nach Moskau" aufgemacht haben, hinter die Ohren tätowieren lassen müssen: "'Bis zu einem offiziellen Rechtsspruch', so der für den Fall Maria Baumer zuständige Staatsanwalt Thomas Rauscher, 'gilt aber die Unschuldsvermutung für den Verdächtigen'".
Exakt die haben die "Investigativreporter" an Alster und Spree im Fall des 40-jährigen Selimchan Changoschwili, des Tschetschenen mit georgischer Staatsangehörigkeit, der am 23. August im Kleinen Tiergarten in Berlin erschossen worden war, ausgehebelt. Der Täter, angeblich ein 49-jähriger Bürger Russlands, am Tattag gefasst, schweigt zu den Vorwürfen. Wegen des mehr als dünnen Anfangsverdachts, dass staatliche Stellen in Russland oder der Teilrepublik Tschetschenien den Mord in Auftrag gegeben hätten, übernahm die Bundesanwaltschaft den Fall.
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An dieser Stelle etwas strafprozessrechtliche Theorie für "Investigativreporter": Im Fall Baumer liegt dringender Tatverdacht vor; aufgrund der Ermittlungsergebnisse besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Ex-Verlobte das Opfer getötet hat. Realiter unterscheidet das Strafprozessrecht drei Stufen des Verdachts: Anfangsverdacht, hinreichender und dringender Tatverdacht. Anfangsverdacht, die schwächste Stufe, meint, dass verdichtende Momente vorliegen, um bei der Ermittlungsbehörde Verfahrenshandlungen im Sinne der Strafprozessordnung (StPO) auszulösen; gemäß § 152 II StPO ist die Staatsanwaltschaft beim Vorliegen eines Anfangsverdachts verpflichtet, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Das gilt im Fall Changoschwili.
Hinreichender Tatverdacht hingegen ist Voraussetzung zur Erhebung der öffentlichen Klage nach § 170 I StPO. Der wird bejaht, wenn nach Bewertung des sich aus dem Akteninhalt ergebenen Sachverhalts der Beweisergebnisse eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Verurteilung gegeben ist. Das Gericht wird die Anklage nur dann zur Hauptverhandlung zulassen, wenn ein hinreichender Tatverdacht besteht (§ 203 StPO). Dringender Tatverdacht liegt vor, wenn nach gewonnenen Ermittlungsergebnissen die hohe Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass der Beschuldigte eine Straftat begangen hat. Voraussetzung der Untersuchungshaft ist also das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts und ein Haftgrund. Im Fall Changoschwili liegen weder hinreichender noch dringender Tatverdacht vor.
Diese juristischen Feinheiten sind auch für Julian Röpcke, "conflict analyst" bei Springers BILD, böhmische Dörfer. Am 3. Dezember 2019 schrieb er in seinem Kommentar "Unser Fall Skripal":
Es klingt wie ein James-Bond-Drehbuch: Ein russischer Geheimdienst hebt den internationalen Haftbefehl für einen gesuchten Mörder auf. Die Agenten löschen Informationen aus der Datenbank und geben ihm eine neue Identität. Dann schicken sie ihn nach Berlin. Sein Auftrag: einen im Exil lebenden Staatsfeind töten. (…) Deutschland hat seinen 'Fall Skripal' – der russische Ex-Agent, den die Russen 2018 bei London vergifteten.
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Der Autor spricht ohne Not eine Schuldzuweisung aus, die nach deutschem Strafrecht justiziabel sein kann – es besteht durchaus ein Anfangsverdacht gemäß § 164 StGB wegen falscher Verdächtigung oder § 187 StGB wegen Verleumdung. Auch die BILD-Schlagzeile "So mordete Putins Killer" vom 5. Dezember 2019 tangiert solcherart Anfangsverdacht. Röpcke zeigt sich auch völlig unbedarft, wenn es um die Beurteilung der britischen Polizei, also einem professionellen Ermittlungsorgan, zum Status quo im "Fall Skripal" geht. Neil Basu, Leiter der britischen Antiterroreinheit der Polizei, sagte am 7. August 2019 in The Guardian:
Wir haben bislang keinen Fall für eine Anklage. Wir sind Polizeioffiziere, daher müssen wir Beweise suchen. Es gab eine riesige Menge an Spekulationen, wer verantwortlich ist, wer die Befehle gab, alles auf dem Expertenwissen von Menschen über Russland. Ich brauche Beweise.
Die "riesige Menge an Spekulationen" wurde von russophoben Laien-Ermittlern in die Welt gesetzt, die der ehemalige Mitarbeiter einer Unterwäsche-Firma, der Brite Eliot Higgins, seit 2014 in seinem Propaganda-Outfit Bellingcat um sich scharte. Selbstredend hat Röpcke zu den Laien-Ermittlern seit Jahr und Tag einen heißen Draht; verbindet beide doch der Atlantic Council (AC), jene "Denkfabrik" mit engen Verbindungen zu US-Regierung, NATO und Kriegsverbündeten. Beide kooperieren auch mit dem vom AC gegründeten "Digital Forensic Research Lab" (auch "Digital Sherlocks"), das Facebook auf unliebsame Inhalte überwacht. Bis Anfang dieses Jahres war Higgins noch "Senior Fellow" der Zensur-Initiative.
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Bellingcat macht keinen Hehl daraus, dass es vom NATO-CIA-Atlantic Council und der CIA-nahen Washingtoner Endowment for Democracy (NED), eine berüchtigte Frontorganisation, die sich weltweit dem Regimewechsel widmet, finanziell gefördert wird.
Auch George Soros' Open Society Foundations, Google, das britische Außenministerium, die niederländische Regierung lassen sich finanziell nicht lumpen. Allerdings: Wer sich von diesen Kreisen aushalten lässt, ihnen Seele und Existenz vor die Füße wirft, hat von vornherein jeglichen Anspruch verwirkt, als objektiver und unvoreingenommener "Ermittler" bewertet zu werden. Das Gegenteil ist der Fall: Die Geldflüsse sichern ab, dass Bellingcat seit 2014 den propagandistischen Bedürfnissen der Kriegsparteien Washingtons, Londons, NATO zuarbeitet und "investigativ" Amok läuft, um vor allem Syriens Regierung für Chemiewaffenangriffe verantwortlich zu machen, Russland mit dem Skripal-Vergiftungsfall in Salisbury und dem Abschuss des Passagierflugzeugs MH17 über der Ukraine in Verbindung zu bringen.
Bellingcat wird selbstredend vom Mainstream – die vierte Kriegsgewalt in den westlichen Ländern – gelobt, gepäppelt, mit Preisen überschüttet, um der von der Truppe erledigten, so erwünschten Auftrags-Propaganda eine gewisse Wertigkeit zu verleihen. Doch die Fassade bröckelt, das propagandistische NATO-Sprachrohr Bellingcat gerät zunehmend in den Malstrom der Wahrheit: 1. Die britische Polizei geht nicht konform mit Bellingcats "Ermittlungen" im Fall Skripal, 2. Bellingcat verliert in diesen Tagen die Deutungshoheit in Sachen Chemiewaffenangriffe in Syrien, weil professionelle Ermittler und Forensiker, Whistleblower innerhalb der OPCW, beginnen, die Wahrheit zu erzählen und aufzudecken. 3. sich im Berliner Mordfall Changoschwili, den die Truppe "investigativ" betreut, kein echter Durchbruch anbahnt.
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Dass sich das Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel in diesem Sommer ausgerechnet den sterbenden Schwan Bellingcat als Relotius-Ersatz angelacht hat, ist eher von der peinlichen Art. Sie hätten es seit der Pleite mit ihrer Autorin Christina Hebel, bekannt, aus dem Bellingcat'schen "Ermittlungsfundus" zu schöpfen, besser wissen müssen. Am 1. Juni 2015 titelte Hebel "Wie Russland die MH17-Beweise manipuliert haben soll", pries darin Bellingcats Findungen an, Russland habe Satelliten-Aufnahmen gefälscht. Zwei Tage später ruderte das Magazin zurück, professionelle Forensiker hatten sich gemeldet und erklärt, Bellingcats Forensik sei unter aller Sau. Mit der Schlagzeile "Bellingcat betreibt Kaffeesatzleserei" vom 3. Juni 2015 glättete das Blatt seinen Fauxpas.
Im Fall Changoschwili ist der Spiegel erneut mit Bellingcat ins Bett gestiegen. Die Braut heißt diesmal Christo Grozew, Bellingcat-Akteur seit der ersten Stunde, treibende Kraft hinter den Desinformationskampagnen in Sachen Skripal, MH17 und syrische Chemiewaffenangriffe. Grozew, 1969 im bulgarischen Plowdiw geboren, dessen Aktivitäten auf eine russophobe Haltung schließen lassen, ist Absolvent der American University of Bulgaria, die mit Geldern der Soros Foundation und der United States Agency for International Development (USAID) gesponsert wurde.
Wen wundert es, dass er schon als Student das American University Radio (AURA) an seiner Soros-Uni begründete. 1995 wurde er endlich vom US-Medienunternehmen Metromedia International angeheuert, um kommerzielle Radiosender in Russland zu starten, mit dem Ziel, dort "unabhängige Medien zu schaffen". Martin Stone, Ex-Chef der von der CIA durchsetzten United States Information Agency, und James Baker, Ex-US-Außenminister, standen der "edlen" Mission vor. Heute hat es Grozew in den Aufsichtsrat der mächtigen holländischen Mediengruppe De Telegraaf Media Groep NV geschafft, hält rund fünf Prozent der Aktien. De Telegraaf ist seit Jahren eine der wichtigsten Vermarktungsplattformen für Bellingcat-Propaganda.
Zwischenbemerkung: Im Herbst 2018 deckten Leaks das Treiben der britischen Integrity Initiative auf; ein internationales, verdecktes Netzwerk aus Geheimdienstlern, Militärs, Politikern, Journalisten, Akademikern, das massiv anti-russische Medienkampagnen koordinierte. Finanziert wurde das von den Außenministerien in London und Washington, dem litauischen Verteidigungsministerium, der NATO und Facebook. Die Integrity Initiative verband Schlüsselakteure in jenen Kampagnen, die auch Grozew und Bellingcat anführten: der unaufgeklärte Fall Skripal, der angebliche Giftgasangriff im syrischen Duma.
In Deutschland existierte damals ein nationaler Cluster unter Leitung eines ehemaligen britischen Geheimdienstlers. In dem verdeckten Geheimdienst-Netzwerk werkelten neben vielen anderen auch Scott Lucas, Professor für Amerikanische Studien an der Universität Birmingham, und Ben Nimmo, ehemals Pressestab der NATO, heute eine der Leitfiguren im "Kampf gegen die Propaganda des Kreml" und, wie Eliot Higgins, Mitglied im Atlantic Council. Die Integrity Initiative verschwand nach ihrer Enttarnung im Jahre 2018 von der Bildfläche.
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Im Zusammenhang mit dem Mord an Changoschwili ließ der Spiegel nun auch die vom britischen Geheimdienst gelenkten Integrity-Initiative-Schatten Lucas und Nimmo zu Wort kommen. Am 4. September 2019 präsentierte Maik Baumgärtner ein Interview mit Lucas mit der Quintessenz, dass "die deutsche Beschwichtigungspolitik mit Putin (…) gescheitert ist. Russische Spione sollten öffentlichkeitswirksam ausgewiesen und die Ermittlungen auf höchster Ebene geführt werden. Wenn Russland mit der Ermordung von Changoschwili ohne Konsequenzen durchkommt, muss man fragen: Wer wird das nächste Opfer sein?"
Auch Ben Nimmo hatte einen Plan: Sollte die deutsche Regierung ihre Zurückhaltung aufgeben, sagt er dem Spiegel, könnte Russland mit einer Desinformationskampagne ähnlich der im Fall Skripal reagieren. Die Kennzeichen einer solchen seien die "vier D's der Propaganda: 'dismiss, distort, distract, dismay'". Abtun, verdrehen, ablenken, abschrecken.
An den a-kriminalistischen und a-forensischen Spiegel-Schmonzetten im Fall Changoschwili, die vom Propaganda-Saft durchdrungen sind, den Mord unbedingt dem russischen Präsidenten Putin respektive dem russischen Staat anzulasten, arbeiteten sich beim Spiegel sage und schreibe zehn sogenannte "Investigativreporter" ab. Federführend dabei der russophobe NATO-Troll Grozew.
Was die "Investigativreporter" vom Spiegel der deutschen Öffentlichkeit jedoch nicht mitteilten: Das Mordopfer Changoschwili wohnte nach meinen Erkenntnissen in einem Hotel in der Berliner Chausseestraße, und zwar vis-à-vis des deutschen Bundesnachrichtendienstes. Kurze Wege also. Im Sputnik vom 12. Dezember 2019 wollte der Chef der einstigen KGB-Antiterroreinheit, Wladimir Luzenko, nicht ausschließen, dass der in Berlin ermordete Georgier ein Informant "gewisser, wohl deutscher" Geheimdienste war: "Hätte Changoschwili ein Informant sein können? Na klar. Solche Lumpen wenden sich normalerweise an die Geheimdienste, bieten ihnen ihre Leistungen an, um sich ein wohlgenährtes Leben zu sichern. So wie Osama bin Laden einst ein CIA-Agent war."
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