von Zlatko Percinic
Es war das zweite Mal, dass Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) die Eröffnungsrede bei dieser jährlichen Veranstaltung hält, die von der Körber-Stiftung organisiert wird. Sie war geprägt von den Debatten der vergangenen Monate rund um das Thema NATO, Russland und insbesondere der Schockwelle, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit seiner "Hirntod"-Diagnose ausgelöst hat. Maas versuchte, eine positive Bilanz der Entwicklung seit dem Fall der Mauer zu ziehen, was aber durch die von ihm selbst angesprochenen Brandherde in Europa erheblich relativiert wurde.
Und Brandherde gibt es genug, um die sich die deutsche Außenpolitik kümmern muss und an denen sie teilweise selbst beteiligt ist. Doch der Minister wiegelte jegliche Kritik ab. Die deutsche Außenpolitik "ist nicht disruptiv", sagte Maas vor rund 250 anwesenden Gästen, "ganz im Gegenteil." Schon früh in seiner Rede kam er auf Russland zu sprechen, das nach der Auflösung des Eisernen Vorhangs "vom Gegner zum Partner" wurde. Doch die daraus entstandenen Erwartungen hätten sich nicht erfüllt. Stattdessen habe man es jetzt mit einem Russland zu tun, das die Krim "annektiert" hat und "andauernde Spannungen" in der Ostukraine befördert.
Es herrsche Krieg in der Ukraine, sagte er, "dort sterben Menschen vor unserer Haustür". Zweimal wiederholte er das Wort "Krieg" hintereinander, fast so, als ob er irgendjemanden davon überzeuge wollte, dass in der Ukraine seit fast 5,5 Jahren gekämpft wird. Doch es gäbe "vorsichtige positive Signale", und Deutschland dränge Russland dazu, "seinen Einfluss auf die Separatisten geltend zu machen." Das Normandie-Format mit Frankreich wurde wiederbelebt, und es fand ein Teilabzug von schwerem Kriegsgerät auf beiden Seiten der Frontlinie in der Ostukraine statt, was ein wichtiger Punkt des Minsker Abkommens ist.
Von dem französischen Vorstoß zur raschen Verbesserung der Beziehungen zwischen der EU und Russland wollte Heiko Maas aber nichts wissen:
Ich sage aber auch: Mit Deutschland wird es bei dieser Verständigung keine Sonderwege geben. Unsere Nachbarn in Polen und im Baltikum können sich sicher sein, dass wir ihre Sicherheitsbedürfnisse immer ernst genommen haben und das auch weiter tun. Ja, wir sind bereit, einen langfristig tragbaren, gemeinsamen europäischen Ansatz gegenüber Russland zu entwickeln. Aber wir werden dies nicht über die Köpfe unserer östlichen Nachbarn hinweg tun, sondern mit all ihrer spezifischen Erfahrung und ihren berechtigten strategischen Interessen.
Das der Bundesaußenminister in seiner Rede so viel Gewicht auf die "berechtigten strategischen Interessen" von Ländern wie Polen und den drei baltischen Ländern legt, erstaunt angesichts Berlins Haltung zum russischen Nord-Stream-2-Projekt. Gerade dieses zusätzliche Gaspipelineprojekt, das von just diesen Ländern vehement kritisiert, bekämpft und als Gefahr für die nationale Sicherheit bezeichnet wurde, konnte nur deshalb realisiert werden, weil sich Deutschland mit all seiner politischen Macht hinter dieses Projekt stellte – und das selbst gegen den dezidierten Protest der Vereinigten Staaten von Amerika.
Weiterhin behauptete Maas:
Deutschland ist für viele osteuropäische Nachbarn in Europa die Brücke zwischen Ost und West. Und die Erwartungen in dieser Beziehung an uns, vor allen Dingen von unseren osteuropäischen Nachbarn, sind außerordentlich groß. Es gibt dort die Sorge, dass Europa in ein Europa erster und zweiter Klasse sich entwickelt. Ein Kerneuropa und der Rest.
Dabei ist gerade Deutschland eine treibende Kraft hinter dieser Entwicklung. Ausgerechnet an derselben Stelle beim Berliner Forum Außenpolitik 2018 forderte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Norbert Röttgen (CDU), dass sich eine "Avantgarde-Gruppe" innerhalb der EU bilden sollte, die sich auf "eine gemeinsame außenpolitische Politik einigen und diese auch umsetzen" soll. Diese Forderung stieß damals beim slowakischen Außenminister Miroslav Lajčák auf wenig Gegenliebe, der die Bildung einer "Exklusivgemeinschaft" innerhalb der EU scharf verurteilte. Das hielt Röttgen aber nicht davon ab, unbeirrt solche Pläne weiter zu verfolgen, die offenbar bei Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer auf fruchtbaren Boden zu stoßen scheinen.
Was Heiko Maas bzw. die deutsche Außenpolitik viel mehr zu bewegen scheint als die tatsächliche Berücksichtigung der strategischen Interessen der östlichen Nachbarn, ist der Machtkampf zwischen Berlin und Paris. Während Emmanuel Macron das nach dem Brexit und der strategischen Umorientierung der USA in Richtung Asien entstehende Machtvakuum in Europa zugunsten Frankreichs nutzen möchte, befürchtet Deutschland einen Statusverlust.
Da Frankreich aber militärisch viel stärker als Deutschland ist, sucht Berlin in der NATO den rettenden Anker, um sich Zeit zu erkaufen, bis die Bundeswehr deutlich besser aufgestellt ist. Deshalb erfolgen die schon fast peinlichen Huldigungen an die NATO, wie sie von der deutschen Regierung seit der "Hirntod"-Diagnose bekundet werden. Maas meinte dazu:
Man kann mit Fug und Recht sagen: Die NATO lebt und zwar von Kopf bis Fuß, auch wenn es andere Diagnosen gibt und ehrlich gesagt, wer auf dem letzten Treffen der Außenminister der NATO dabei gewesen ist, konnte sich dessen dort noch einmal versichern. … An einer Entkopplung europäischer und amerikanischer Sicherheit können wir nämlich kein Interesse haben. Im Gegenteil, sie wäre hochgefährlich. Ohne die Vereinigten Staaten sind wir gegenwärtig weder in Deutschland noch in Europa im Stande, uns wirkungsvoll zu schützen.
Deshalb sei er davon überzeugt, dass sein Vorschlag zur Reformierung der NATO beim Treffen der Außenminister in Brüssel gut aufgenommen wurde. Außerdem engagiere sich Deutschland durch "beharrliche Krisendiplomatie" an der Lösung von Konflikten wie in Libyen – die von der NATO erst verursacht wurden –, aber auch in Afghanistan, im Jemen, in Mali oder im Sudan. Dass die meisten dieser Konflikte erst durch westliche Interventionen oder Unterstützung von bestimmten Gruppierungen ausgebrochen sind, erwähnte Maas lieber nicht.
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