von Andreas Richter
Die Leipziger Linksjugend hat auf ihrem Facebook-Konto am Samstag einen Post mit dem Titel "Keine Solidarität mit Russland!" veröffentlicht. Dabei handelte es sich um eine überarbeitete Version des Posts "Kein Frieden mit Russland!", der eine Woche zuvor erschienen war und nicht nur auf dem Parteitag der sächsischen Linken in Dresden für lebhafte und kontroverse Debatten sorgte.
Dort wurde der Post als geschichtsvergessen kritisiert, als beleidigend sowohl für die Opfer des Krieges als auch für die Parteimitglieder, die sich aktiv für Frieden mit Russland einsetzen. Die Leipziger Linksjugend löschte ihn daraufhin und erklärte, dessen Veröffentlichung sei "eine nicht abgesprochene Aktion einer Einzelperson" gewesen.
Nun also der neue Post, der in weiten Teilen der alte ist. Geändert wurde die Überschrift, in der es nun um Solidarität geht, die Russland verweigert werden müsse. Es soll nicht der Eindruck erweckt werden, dass die Leipziger Linksjugend Krieg mit Russland möchte. Gestrichen wurden auch mehrere rhetorische Entgleisungen gegenüber den eigenen Genossen, die im ersten Post noch als "Verrückte", "Ewiggestrige" und "stalingeile Subjekte" verunglimpft wurden.
Das durchgestrichene Putin-Bild im Originalpost wurde ersetzt durch das Bild zweier Frauen, die sich zu küssen versuchen, daran aber offenbar durch Bänder in den russischen Nationalfarben gehindert werden, die ihnen den Mund verschließen. Die Argumentation ist im wesentlich gleich geblieben. Es lohnt eine nähere Betrachtung, um zu verstehen, wie ein relevanter Teil der Parteijugend denkt – wohl nicht nur in Leipzig.
Zunächst werden die innerparteilichen Gegner angegangen, die Russland für "unseren sozialistischen Genossen" hielten. (Glaubt denn tatsächlich noch irgendjemand in der Linken, Russland sei sozialistisch?) Den Linken, die für "Frieden mit Russland" im Leitantrag des Parteitags stimmten, wird dann unterstellt, dass es ihnen nicht um den "diplomatischen Friedenszustand" ginge, sondern um Solidarität mit Russland und die Verklärung der dortigen Verhältnisse.
Dann wird den innerparteilichen Gegnern noch einmal vorgeworfen, Russland zu idealisieren, noch einmal wird der Sozialismus bemüht, den diese dort angeblich sähen:
Wieder zeigt sich das östliche Märchen vom sozialistischen Schwesternstaat, der dem "bösen Westimperialismus entgegensteht". Was genau jene daran nicht wahrhaben wollen ist: dass das Projekt des Sozialismus in Russland schon lange gescheitert ist und es daher keinen rationalen Grund gibt, sich mit diesem autokratischen Regime zu solidarisieren.
Die vermeintlichen Russland-Sympathisanten reproduzierten die "Logik des Kalten Krieges" – und verschleierten so "den Blick auf das imperialistische und undemokratische Wesen der russischen Staatsführung":
Immer wieder kommt es dabei zu kruden Vergleichen zwischen den russischen Verhältnissen und denen demokratischer Staaten mit der Intention, eine Rechtfertigung für erstere zu liefern. Eine emanzipatorische Linke sollte kein Unrecht mit Verweis auf die angeblich genauso schlimmen Übel anderer Staaten relativieren. Die Gleichsetzung qualitativ verschiedener Sachverhalte, also ihre moralische Äquivalenz, ist ein Wesensmerkmal des linken Antiamerikanismus.
Was dann folgt, ist aus dem Originalpost bekannt. Seit der "Machtübernahme" Wladimir Putins im Jahre 1999 stehe "alles unter der Regie der Geheimdienste, so auch die Medien, "ein riesiger gleichgeschalteter Propagandaapparat". Die Lage der Homosexuellen in Russland sei "erschreckend schlecht", die Regierung befeuere die Homophobie in der der Gesellschaft. Das "einfache Ausleben der Sexualität und der öffentlichen Darstellung auch in Medien oder durch Künstler*innen" werde als Propaganda dargestellt.
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Homosexualität werde tabuisiert, 34 Prozent der Russen hielten sie für eine Geisteskrankheit. Der Beitrag schließt mit einer Schlussfolgerung und einem Aufruf:
Dies sind nur wenige, aber schon sehr klare indiskutable Gründe, sich nicht mit Russland zu solidarisieren, noch irgendeinen unsinnigen Frieden mit den russischen Verhältnissen zu fordern.
Kein Frieden den Unterdrückern! Kein Frieden den Autokraten! Keine Solidarität mit Russland!
Der Post erhielt über 675 Kommentare, die meisten von ihnen positiv. Viel Unterstützung kam aus dem eigentlich entgegengesetzten politischen Lager, unter anderem von Anhängern ukrainischer Ultranationalisten und Fans des Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera.
Diese Unterstützung erfolgt nicht zufällig, wie ein näherer Blick auf die Argumente der Leipziger Linksjugend und die dahinterstehende Ideologie verrät. Die Weltsicht der jungen Linken ist klar dichotomisch geprägt. Es gibt Gut und Böse, und wie im Mainstream heißt es für die Linksjugend eindeutig "Wir sind die Guten!" – der Westen also. Diese Aussage ist in dieser Deutlichkeit schon überraschend, wenn sie von Nachwuchskräften der Nachfolgepartei der SED kommt.
Russland gibt in diesem Weltbild den Schurken ab, dafür werden auch gern die Fakten zurechtgebogen. Denn die russische Presse ist vielfältiger als die deutsche, die Bezeichnung "gleichgeschalteter Propagandaapparat" ist grotesk. Und auch was die Lage der Homosexuellen angeht, ist die Wirklichkeit eine andere. Homophobie ist in Russland mit Sicherheit nicht weiter verbreitet als in anderen ost- und südosteuropäischen Ländern.
Ebenso wenig faktenbasiert sind die Anwürfe der Linksjugend gegen ihre innerparteilichen Gegner, die in Russland angeblich den "sozialistischen Bruderstaat" sähen. Kein halbwegs normal informierter Mensch innerhalb und außerhalb der Linkspartei wird das heutige Russland für sozialistisch halten. Ebenso hohl ist der Vorwurf, die "Logik des Kalten Krieges zu reproduzieren", um den "Blick auf das imperialistische und undemokratische Wesen der russischen Staatsführung" zu verschleiern. Tatsächlich sind Parallelen zum Kalten Krieg objektiv vorhanden.
Dass Frieden und internationale Kooperation an sich erstrebenswerte Ziele sein können, erschließt sich den jungen Leipziger Linken nicht, weil es ihrem Weltbild widerspricht, das vom Ringen zwischen Gut und Böse bestimmt ist. Tatsächlich lässt sich aus dieser Haltung auch das Recht und gegebenenfalls die Pflicht des "Guten" zu einer gewalttätigen Intervention ableiten. Nicht zufällig erinnert dieses Weltbild an das der US-amerikanischen Neokonservativen.
Nachdenklich macht auch, dass die Linksjugend Frieden als "bloßen diplomatischen Friedenszustand" beschreibt, nicht als Abwesenheit massiver Gewalt, die Tod und Zerstörung über ganze Kontinente bringen kann. Hier macht sich wohl auch die zeitliche Distanz der jungen Aktivisten zum Zweiten Weltkrieg bemerkbar.
Zentrales Element linken Denkens war traditionell die kritische Analyse. Gesellschaftliche Widersprüche wie etwa der zwischen Kapital und Arbeit sollten aufgezeigt werden, um sie in der Folge überwinden zu können. Über diesen Punkt ist die Leipziger Linksjugend hinweg. Vergleiche zwischen Russland und "demokratischen Staaten" werden als krude bezeichnet. Das ist konsequent, denn bei genauerem Hinsehen könnte man viel Grau entdecken. Begründet wird diese Haltung mit diesem bemerkenswerten Satz:
Die Gleichsetzung qualitativ verschiedener Sachverhalte, also ihre moralische Äquivalenz, ist ein Wesensmerkmal des linken Antiamerikanismus.
Die nun in dem überarbeiteten Facebook-Post gezeigte Weltsicht der Leipziger Linksjugend gleicht auf verblüffende Weise der, wie sie auch in der Bild und anderen Mainstreammedien anzutreffen ist. Zum einen verlieren diese Linken die soziale Problematik aus den Augen und verlieren sich in den Verästelungen der Identitätspolitik. Zum anderen wirken ihre Ideen wie der passend zusammengezimmerte Überbau für eine "werteorientierte" Interventionspolitik, wie sie in den vergangenen Jahren zum Leidwesen der betroffenen Länder zu beobachten war.
In gewisser Weise spiegelt diese Denkschule der Linken das Versagen der SPD im Jahr 1914 wider, als sich die Sozialdemokraten für den imperialistischen Krieg einspannen ließen, weil es ja gegen den "russischen Despotismus" ging. Nun ruft die Leipziger Linksjugend ausdrücklich nicht zu Krieg mit Russland auf und ist von ihrer Forderung "Kein Frieden mit Russland!" abgerückt. Dennoch ist die Bereitwilligkeit, mit der hier mit oberflächlichen Behauptungen und Zuschreibungen Feindbilder aufgebaut werden, bemerkenswert. Sie sollte gerade Linken in Hinblick auf ganz andere unheilvolle Traditionen in der deutschen Geschichte zu denken geben.
Wer braucht eine solche Linke, wie sie sich hier präsentiert? Die sächsischen Wähler offenbar nicht. Bei den Landtagswahlen im September halbierte sich die sächsische Linke fast und kam auf nur noch gut zehn Prozent der Stimmen. Wenn die Leipziger Linksjugend die Zukunft der Partei darstellt, dürfte der Weg in Richtung Fünfprozenthürde nicht lange aufzuhalten sein. Denn, und das ist die gute Nachricht, außerhalb eines gewissen überschaubaren, urbanen Milieus wird die Linke mit derartigen Ideen kaum auf nennenswerte Zustimmung stoßen.
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