von Kani Tuyala
Die Angst vor dem zunehmenden Verlust der Kontrolle über globale Entwicklungen greift zunehmend auch in Deutschland um sich. Die Zeiten, in denen die Durchsetzung der eigenen und transatlantischen Interessen noch mit wolkigen Floskeln von Werten, Freiheit und Menschenrechten garniert wurde, sind nicht vorbei, doch der humanitäre Anspruch hat längst jede Glaubwürdigkeit verloren. Die dreiste und völkerrechtswidrige Okkupation syrischer Ölfelder durch die US-Armee ist da nur das aktuellste Beispiel.
Die tektonischen Platten der globalen Machtverhältnisse verschieben sich schneller, als in den kühnsten Analysen westlicher Thinktanks bislang befürchtet wurde. Die Möglichkeit, anderen Nationen den eigenen Willen aufzuzwingen, erodiert zunehmend spürbar. Jetzt geht es also ums Ganze.
Nach Ursula von der Leyen ist eine deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer die ideale Nachfolgerin, um die Notwendigkeit der militärischen Interessendurchsetzung unbekümmert zu verkaufen. Schließlich befindet man sich im "globalen Machtwettbewerb". Oder wie es Kramp-Karrenbauer bei ihrer Grundsatzrede an der Universität der Bundeswehr München am Freitag formulierte:
Wenn man merkt, es ändert sich etwas, aber das Neue hat noch keine Gestalt erhalten. Dieser Eindruck entsteht derzeit beim Blick auf die internationale Lage und beim Nachdenken über Deutschlands Rolle in der Welt. Einer Welt, wie inzwischen viele sagen, die aus den Fugen geraten ist.
China und Russland als globale Aggressoren
Kramp-Karrenbauer nennt dabei auch die großen Herausforderungen, denen es nun zu begegnen gilt. Da haben wir: "die russische Aggression in der Ukraine und insbesondere die völkerrechtswidrige Annexion der Krim", gefolgt von den "weltumspannenden Netzwerke(n) des Terrorismus". Auf Platz drei "der machtpolitische Aufstieg Chinas, der mit einem Herrschaftsanspruch einhergeht – inzwischen nicht mehr nur in seiner unmittelbaren Nachbarschaft". Abgeschlagen folgen der "Klimawandel" und der "Cyber-Raum". Ein Kampf Gut gegen Böse bahnt sich an:
Wir erleben autoritäre Herausforderungen gegenüber unseren offenen Gesellschaften", ordnet die CDU-Chefin ein.
Man ist nicht mehr in der Lage, im Tandem mit der NATO die Welt auf autoritärste Weise nach den eigenen Vorstellungen zu formen. Doch eine Kramp-Karrenbauer ist am Ende wohl auch tatsächlich von dem überzeugt, was sie sagt. Nur so sind Aussagen wie die folgende in München zu erklären:
Es wird immer Krisen geben, und wir werden nicht jede Bedrohung ausschalten, jedes zerrissene Land befrieden können.
Aber selbst der CDU-Chefin gelingt es nicht, die Fassade durchgehend zu wahren. Am Tag vor ihrer Rede in München gab die Ministerin der Süddeutschen Zeitung ein Interview, das in dieser Hinsicht erfrischender kaum hätte sein können. Deutschland müsse künftig "offen damit umgehen, dass wir – so wie jedes andere Land dieser Welt – eigene strategische Interessen haben", hieß es da etwa.
Einen Bundespräsidenten haben solche Worte schon das Amt gekostet. "Offen damit umgehen", klingt danach, als sei man beim Verfolgen der "eigenen strategischen Interessen" bisher einfach nicht offen genug vorgegangen. Und nach einer zur Reaktion gezwungenen "offenen Gesellschaft" klingt das auch nicht gerade. Weg mit den Fußfesseln.
Deutschland als Schutzmacht der "Werte und Interessen"
Doch Kramp-Karrenbauer kann sich doch nicht richtig entscheiden: "Werte" oder "strategische Interessen". Es geht in ihrer Rede an der Bundeswehruni zunächst bunt durcheinander. Auf ihre eigene Art auch für sie ein Problem:
Wir Deutschen sind oft besser darin, hohe Ansprüche, auch moralisch hohe Ansprüche zu formulieren, an uns und andere, als selbst konkrete Maßnahmen vorzuschlagen und umzusetzen.
Jetzt ist es demnach aber höchste Zeit "Verantwortung" zu übernehmen. Zwar wisse sie, so Kramp-Karrenbauer weiter, "wie schwer das ist, wie viele Opfer das verlangt", aber Deutschland müsse "auch selbst die Initiative ergreifen, Impulse setzen, Optionen aufzeigen", ist sich Kramp-Karrenbauer im SZ-Interview sicher. Und dann bewegt sie sich wieder auf dem dünnen Eis zwischen "Werten" und Interessen" und zwar in einen Satz gegossen:
Nur so könne Deutschland "ein internationales Umfeld beschützen und gestalten, das unseren Werten und Interessen gemäß ist".
Deutschland als Schutzmacht der "Werte und Interessen" darf es nun also offen heißen. Für manche Beobachter eine widersprüchliche Kombination, nicht nur für Kramp-Karrenbauer aber die neue sicherheitspolitische Selbstverständlichkeit.
Für die Ministerin ist die Logik eben eine andere. Die Interessen dienen dem Wert der "Freiheit". Gerade die Bundesrepublik sei wie kein anderes Land "darauf angewiesen, dass wir einen freien Handel haben, der auf Regeln basiert", und dass es "offene Handelswege" gebe. Hierin liegt das "strategische Interesse". Selbst Horst Köhler hätte so viel Offenherzigkeit wohl beschämt.
Die für die "offenen Handelswege" notwendigen "Regeln" weiterhin bestenfalls zu kontrollieren, selbst unterlaufen und anderen aufzwingen zu können, darum geht es. Das ist das "Sicherheitsinteresse" im globalen Wettbewerb mit den "autoritären Staaten".
Made in Germany als NATO-Treueschwur
Die Schutzmacht dieser Interessen ist die NATO. Deswegen will man auch den Wünschen aus Übersee beim Verteidigungshaushalt entgegenkommen, und zwar "auf 1,5 Prozent des BIP bis 2024 und 2 Prozent bis spätestens 2031".
Für Kramp-Karrenbauer ist das nicht die Antwort auf eine rationale Gefahrenanalyse, sondern eine Frage des Stolzes:
Made in Germany hat für mich immer bedeutet, dass es Ausdruck besonderer Verlässlichkeit ist. Es geht auch um unsere Glaubwürdigkeit", ist Kramp-Karrenbauer überzeugt.
Aber mehr Unabhängigkeit vom so unkalkulierbar gewordenen großen Bruder aus Übersee wünscht man sich gleichzeitig auch.
Damit bei der Verteidigung der transatlantischen Interessen alles läuft wie frisch geölt, braucht es laut der Ministerin als "zusätzliches Scharnier" zwischen NATO und EU "das in der Iranfrage entstandene 'E3-Format' aus Frankreich, Großbritannien und Deutschland".
Ein "Nationaler Sicherheitsrat" soll Kompetenzen bündeln
Allerdings war man sich ja gerade bei der Frage des Ausstiegs Washingtons aus dem Nuklearabkommen – offiziell zumindest – nicht einig. Vielleicht hilft E3 jedoch, Differenzen in Zukunft zu überbrücken, oder dabei, sich weiter als geopolitisches Kerneuropa von Washington zu emanzipieren. Folgerichtig, wirbt Kramp-Karrenbauer für eine Vertiefung der EU-Zusammenarbeit im Bereich Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Für Deutschland sollte weiter an der Idee eines schlagkräftigeren Bundessicherheitsrats gearbeitet werden.
Wir sollten den jetzigen Bundessicherheitsrat weiterentwickeln”, fordert Kramp-Karrenbauer.
Bei diesem "Nationalen Sicherheitsrat", von dem die Ministerin ganz nach US-Vorbild spricht, soll zusammengeführt werden, was zusammengehört. Ein Knotenpunkt für alle strategischen sicherheitspolitischen Instrumente zur Wahrung der eigenen Interessen, oder wie es Kramp-Karrenbauer in diesem Fall ausdrückt:
Ein Ort, an dem zusammengedacht wird, was zur Schaffung einer auf Humanität beruhenden Ordnung zusammengehört: Diplomatie, Militär, Wirtschaft und Handel, Innere Sicherheit und Entwicklungszusammenarbeit.
Die eigene Sicherheit wird auch im Sahel verteidigt
Was aber auch noch fehlt, sind schnellere Entscheidungen. Wenn es nach Kramp-Karenbauer geht, soll die Bundeswehr allerdings eine "Parlamentsarmee" bleiben.
Wenn klar ist, dass es internationale Missionen sind, ob von der NATO geführt oder von den Vereinten Nationen, könnte das Verfahren im Parlament beschleunigt werden. Das sollte auch möglich sein, wenn wir mit europäischen Partnern zusammen tätig werden wollen. Eine Bundeswehr ohne Parlamentsvorbehalt kann ich mir aber nicht vorstellen.
Und diese "Parlamentsarmee" muss schließlich auch gegen den Terrorismus ins Feld geschickt werden. Wie etwa in der vor allem durch das Wüten der NATO-Staaten in Libyen vollkommen destabilisierten Sahelzone. Dort gebe es "eine der größten Drehscheiben für islamistischen Terrorismus", weiß Kramp-Karrenbauer zu berichten. Das ist jedoch alles, was ihr nicht nur während ihres Interviews zum Themenkomplex einfällt.
Für die Verteidigungsministerin macht es deshalb absolut Sinn, wenn sie zu guter Letzt sagt: "Die Sicherheit in der Sahelzone ist Teil unserer eigenen Sicherheit." Peter Struck hatte als es Verteidigungsminister in einer Rede zum neuen Kurs der Bundeswehr im Jahr 2004 noch so formuliert: "Unsere Sicherheit wird nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt."
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